§ 28. Es gibt nichts, das unvermittelt wäre, weil das erste Prinzip dasjenige der Vermittlung ist

Fragt man nach den ersten und letzten Bedingungen, so ließen sich Geist und Welt als solche ersten und letzten Bedingungen aller Erscheinungen denken. Aber Geist und Welt ließen sich mit gleichem Recht als die ersten und letzten Erscheinungen denken. Für die ersten und letzten Dinge scheint somit zu gelten, dass sie sowohl die ersten und letzten Bedingungen als auch die ersten und letzten Erscheinungen sind, dergestalt, dass der Geist unter den Bedingungen der Welt erscheint und die Welt unter den Bedingungen des Geistes erscheint. Damit ist das erste Prinzip eines der Vermittlung, wodurch die formwissenschaftliche Frage nach der Differenz von Medium und Leben in die formwissenschaftliche Frage nach der Eigengesetzlichkeit des Lebens selbst als einer Vermittlung von Geist und Welt eingeht. Zu leben bedeutet, zwischen Geist und Welt zu vermitteln und die allgemeine Form des Lebens ist dasjenige, was die Eigenschaften dieser Vermittlung beschreibt.

§ 29. Das Schillern des Dialektischen. Zur Natur dieses ersten Prinzips

Wollte man das Verhältnis zwischen Geist und Welt näher beschreiben, so würde man von solchem etwas sehr Sonderbares sagen müssen: dass die Begriffe Geist und Welt sich voraussetzen und nicht voraussetzen. Denn sie setzen sich insofern voraus, als Geist nicht ohne Welt, Welt nicht ohne Geist vorstellbar wird und sie setzen sich insofern nicht voraus, als Geist nur in Abgrenzung zu Welt, Welt nur in Abgrenzung zu Geist vorstellbar wird. Aber solchem Denken wohnt immer schon ein Schillern inne. Sagt man nämlich, dass Geist und Welt sich voraussetzen, wodurch ihnen eine Einheit zugrunde liegen muss, weil Geist nicht ohne Welt, Welt nicht ohne Geist vorstellbar ist, so widerspricht man sich, weil sich in solchem Sprechen die Vorstellung einer Zweiheit kundtut. Sagt man hingegen, dass Geist und Welt sich nicht voraussetzen, wodurch ihnen eine Zweiheit zugrunde liegen muss, weil Geist nur in Abgrenzung zu Welt, Welt nur in Abgrenzung zu Geist vorstellbar ist, so widerspricht man sich ebenfalls, weil sich in solchem Sprechen die Vorstellung einer Einheit kundtut. Das Schillern, das solchem Denken innewohnt, gründet weder ganz in jener ersten Kraft, die ineinander führt, noch gründet sie ganz in jener zweiten Kraft, die auseinander führt. Sie gründet in dem Dialektischen, das zwischen diesen Kräften vermittelt.

§ 30. Die zweifache Bewegung des Dialektischen. Der Abgrund des Geistes und der Aufgrund der Welt. Der Schrecken

Die Kraft, die ineinander führt, gründet im Geist, die Kraft, die auseinander führt, gründet in der Welt. Der Geist ist dasjenige, was stets im Begriff ist, eine Zweiheit in eine Einheit zu überführen, um zu einem Ende zu kommen. Die Welt ist dasjenige, was stets im Begriff ist, eine Einheit in eine Zweiheit zu überführen, um zu einem Anfang zu kommen. Der Abgrund, der dem Geist droht, ist derjenige der Tautologie, des Einen: die Vorstellung, dass alles Eines sei, als Vorstellung eines Kosmos, in welchem sich nichts mehr voneinander unterscheidet, so dass alles eine Form annimmt. Der Aufgrund, der der Welt droht, ist derjenige der Kontradiktion, des Keinen: die Vorstellung, dass alles Keines sei, als Vorstellung eines Chaos, in welchem sich alles voneinander unterscheidet, so dass alles keine Form annimmt. Das Dialektische besteht in der Vermittlung von Geist und Welt, sie ist gleichsam deren Dialog und damit jenes Organ, das sowohl dem Sturz in den Abgrund des Geistes als auch dem Sturz in den Aufgrund der Welt als den beiden Formen des Schreckens vorbeugt. Es beugt dem Schrecken dadurch vor, dass sie sich sowohl in den Abgrund als auch in den Aufgrund hineinbewegt. Man könnte sagen, dass es diese zweifache Bewegung ist.

§ 31. Weshalb das Dialektische nicht schlechthin begreiflich werden kann

Für das Dialektische kann es eigentlich keinen Begriff geben, weil das, wonach ein Begriff greift, stets eine Einheit ist, mithin etwas, das seinem Wesen nach zu einem Abschluss gekommen ist. Was das Dialektische letzten Endes ist, kann für den Geist folglich nicht schlechthin begreiflich werden. Aber die vorhergehende Betrachtung gibt eine Antwort darauf, weshalb dies der Fall ist: weil der Geist nur der Ausdruck einer Kraft innerhalb des Dialektischen darstellt und das Einzige, was schlechthin ist und damit ein Ende darstellt, die Unendlichkeit des Dialektischen selbst ist. Die Vorstellung, dass der Geist sich allein vermöge seiner selbst das Dialektische begreiflich machen könnte, und zwar schlechthin, ist eine irreführende Vorstellung, weil er dabei aus etwas hinaussteigen müsste, dessen bloßes Element er ist. Nein, die einzige Form, in der das Dialektische sich uns mitteilt ist das Leben, der Vollzug des Dialektischen selbst als einer Geistwerdung der Welt und als einer Weltwerdung des Geistes. Darin besteht letzten Endes die Vorstellung des Lebens als einer Vermittlung von Geist und Welt.

§ 32. Zum Geltungsgleichgewicht von Geist und Welt. Die Überwältigung der Welt durch den Geist

Aus dieser Betrachtung ergibt sich die bedeutsame Einsicht, dass Geist und Welt Wirkungsgrößen sind, die mit gleichem Recht Geltung beanspruchen. Eine Philosophie, welche sich mit dem Geist beschäftigt, ist ebenso notwendig wie eine Philosophie, die sich mit der Welt beschäftigt, aber weder Geist noch Welt kann als ein zugrundeliegendes Erstes angesehen werden, von dem her das jeweils Andere als eine defiziente Form desselben aufzufassen wäre. In der Philosophie schlägt diese Bewegung in der Regel zugunsten des Geistes aus, was kaum verwundert, ist doch der Zugang, den die Philosophie zum Leben hat, vornehmlich derjenige des Geistigen. Was infolge einer solchen déformation professionelle droht, ist eine Überwältigung der Welt durch den Geist. Man könnte in der Vorstellung, dass es nur einen Gott gebe, dass das Böse eine defiziente Form des Guten darstelle und dass ein Ding an sich existiere, Erscheinungsformen einer solchen Überwältigung sehen, in denen sich die unendliche Sehnsucht des Geistes ausdrückt, noch jenseits des Begreiflichen ein Ende zu setzen zu wollen.