§ 8. Die Erzeugung des Wirklichen vermöge des Algorithmus

Was den Computer auszeichnet, ist sein Vermögen, Artefakte zu erzeugen, welche über diese Eigenschaft, die Eigenschaft des Wirklichen verfügen. Das Element solcher Artefakte ist der Algorithmus, von welchem man sagen könnte, er habe einiges mit Naturgesetzen als einer naturwissenschaftlichen Form der Beschreibung jenes Wirklichen gemein. Wovon waren die Menschen fasziniert, als sie zum ersten Mal einer solchen Art von Artefakt begegneten? Diese Frage ist deshalb von Bedeutung, weil sie begreiflich machen kann, worin das Besondere einer solchen Art von Artefakt besteht. Ich glaube, es war jenes Wirkliche, das zum ersten Mal in einem Artefakt zu Tage trat: die Anmutung eines Systems, das durch das Wirkliche, das ihm zugrunde lag, einen eigenen Seinsstatus und eine eigene Kraft der Suggestion besaß. Vermöge des Algorithmus war es zum ersten Mal gelungen, Wirklichkeit zu erzeugen und damit einen grundlegenden Wesenszug der Welt in ein Artefakt zu überführen. Man könnte sogar sagen, dass die in Artefakten wiedererzeugte Natur erst mit diesem Schritt zu sich selbst gekommen war als die Einheit eines Sinnlichen und Wirklichen.

§ 9. Zur Dialektik von Natur und Kunst als der Bedingung einer Wissensgeschichte

Ich habe soeben behauptet, dass die Natur sich durch zwei Eigenschaften auszeichnet, die eine Einheit bilden: die Dimension des Wirklichen und die Dimension des Sinnlichen. Man muss sich vor Augen führen, dass dasjenige, was zu dieser Behauptung Anlass gegeben hat, nicht der Betrachtung der Natur, sondern der Betrachtung eines Artefakts entsprungen ist. Man könnte eine solche Art von Schlussfolgerung für nicht gültig erklären, aber genau genommen stellt sie die Bedingung für so etwas wie eine Wissensgeschichte dar, die nichts weiter als der Nachvollzug der Natur durch Kunst ist, da selbst der sich unendlich fortschreibende Text, in welchem solche Wissensgeschichte vorliegt, ein Artefakt ist. Was sich in jener neuesten Erscheinung abzuzeichnen beginnt, ist somit bloß die historisch gesehen jüngste Form eines Artefakts, dessen Beitrag zur Wissensgeschichte Gegenstand einer Theorie der Zehnten Kunstform ist. Was dieses Artefakt vor allen anderen Artefakten auszeichnet, ist sein Wirkliches. Durch dasselbe vermag das Artefakt in einem bisher nicht für möglich gehaltenen Ausmaße die Form der Welt und das Verhältnis unseres Geistes zu dieser Welt, die allgemeine Form des Lebens, anzunehmen.

§ 10. Von der Natur zur Kunst. Zum Wandel der Wissensgeschichte

Wollte man die Wissensgeschichte als Nachvollzug einer Dialektik von Natur und Kunst begreifen und diese in Bezug setzen zu den Fragen, die sich mit der Erscheinung einer Zehnten Kunstform stellen, so könnte man zur Beobachtung gelangen, dass diese Wissensgeschichte eine Bewegung von der Vorherrschaft eines Paradigmas der Natur zur Vorherrschaft eines Paradigmas der Kunst vollzogen hat. So war unter dem überwältigenden Eindruck der sie umgebenden Naturgewalten die erste überlieferte Philosophie zunächst Naturphilosophie. Erst in der Neuzeit, als der Mensch sich vermöge der Wissenschaft, Technik und Kunst mehr und mehr der Natur zu bemächtigen begann, entstand allmählich ein Bewusstsein dafür, dass selbiger die Wirklichkeit mitgestaltet, ein Bewusstsein, das in der kopernikanischen Wende der Philosophie mündete. Diese Bewegung hat sich seither fortgesetzt und ihren vorläufigen Höhepunkt in einer Kunstform erreicht, welche die Natur mehr als alle anderen Kunstformen zuvor unter den Bedingungen der Kunst und der Künstlichkeit erscheinen lässt. Das Ende dieser Entwicklung ist damit erreicht, dass die Kunst nicht mehr innerhalb der Natur, sondern die Natur innerhalb der Kunst erscheint. Die Wissensgeschichte gelangt damit an einen Punkt, an welchem das Paradigma der Kunst vorherrschend geworden ist, womit alle philosophischen Fragen, die sich in unserer Zeit stellen, zu Fragen der Kunst geworden sind. Aber mit gleichem Recht kann man sagen, dass die Kunst durch und durch philosophisch wird. Dass es notwendig wird, vom Allgemeinen und Besonderen, von Geist und Welt zu sprechen, um eine Kunstform auch nur im Ansatz begreifen zu können, ist Ausdruck des philosophischen Charakters derselben. Sofern nämlich das Geschäft der Philosophie dasjenige des Allgemeinen ist, kann man die Zehnte Kunstform mit Recht als die philosophischste, als die im eigentlichen Sinne philosophische Kunstform begreifen.

§ 11. Die Frage nach einer Neubeurteilung des Verhältnisses von Natur und Kunst

Alle Fragen, die sich mit dem Hervortreten einer Zehnten Kunstform stellen, münden in die Frage nach einer Neubeurteilung des Verhältnisses von Natur und Kunst. Diese Frage mitsamt all ihrer Teilfragen drängt sich bereits heute auf, und zwar mit der Erscheinung dessen, was man gemeinhin Computerspiel nennt. Denn jedes Fragen setzt ein mit etwas, das erscheint, wobei sich solches gängigen Begriffen entzieht, weshalb es in der Folge auch zum Fragen Anlass gibt.

§ 12. Das technische Medium und die Frage, weshalb man auf den Ausdruck des Mediums zurückgriff, um diese Erscheinungen zu beschreiben

Die Allgegenwärtigkeit technischer Medien hat dazu geführt, dass man im heutigen Sprachgebrauch unter einem Medium vornehmlich ein technisches Medium versteht. Von einem Medium sprach man zwar schon früher, wobei es manches andere bezeichnete, zu der heutigen Verbreitung und Verwendung fand dieser Ausdruck aber erst durch die technischen Medien. Damit ist jedoch nicht geklärt, weshalb man gerade den Begriff des Mediums für geeignet hielt, diese neuen Phänomene zu beschreiben.