Nuklearer Schatten: „In the Morning You Wake“ ist ein eindringlicher Weckruf

In den Morgenstunden des 13. Januar 2018 erhält die hawaiianische Bevölkerung eine schockierende SMS: Eine ballistische Rakete ist auf dem Weg zur Insel. „Suchen Sie sofort Schutz. Das ist keine Übung“, steht in der Nachricht.

Unter den 1,4 Millionen Einwohnern bricht Panik aus. Die Menschen suchen Schutz in Gebäuden, klettern in die Kanalisation, setzen Notrufe ab. 38 Minuten lang herrscht Ungewissheit und Todesangst, bis eine zweite SMS Entwarnung gibt: Es handelt sich um einen versehentlich ausgelösten Fehlalarm. Der VR-Film „In the Morning You Wake (To the End of The World)“ zeigt, wie die Einwohner auf den Ernstfall eines nuklearen Angriffs reagierten und er tut dies mit Mitteln, die das Erzählmedium Virtual Reality auszeichnen.

Die halbstündige Dokumentation wird in Echtzeit auf der Meta Quest 2 gerendert und erlaubt es, die Szenen frei zu begehen. Viele der Schauplätze setzen sich aus Punktewolken zusammen, die den nuklearen Schatten symbolisieren, unter dem die Menschheit lebt. Die tanzenden Punkte verleihen dem VR-Film visuelle Dynamik und regen die Vorstellungskraft der Zuschauer:innen an, da sie die Welt nur umrisshaft zeigen.

Überhaupt ist alles in Bewegung. Die Dokumentation spielt mit Kamerafahrten, Perspektiven und Größenverhältnissen und inmitten all dessen steht das Publikum und erlebt, was Hawaiis Bewohner empfunden haben mussten: eine aus den Fugen geratene Welt.

Eine weitere Besonderheit des VR-Films sind die volumetrischen Darsteller, die vorab mithilfe 140 Kameras eingescannt wurden und in den Szenen als Hologramme erscheinen. Sie stehen für die Menschen, die diesen Albtraum durchleben mussten und deren Stimmen man in der Dokumentation erzählen hört. Die Aufzeichnungen stammen aus 100 Stunden Interview-Material.

On the Morning You Wake ist voller Szenen, die ich niemals vergessen werde, die sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt haben: eine Visualisierung des Einschlags der Hiroshima-Bombe, atomare Raketen, die um den verletzlich wirkenden Erdball fliegen und die letzte Szene, die durch Einbeziehung des Publikums auf ergreifende Art an nukleare Abrüstung appelliert.

Dieser Beitrag erschien am 2. April 2022 bei MIXED.

Ich liebe Virtual Reality – aber das Metaverse juckt mich nicht

Mark Zuckerberg beschreibt das Metaverse als Nachfolger des Internets, den wir als Avatare betreten und räumlich erfahren. Das soll ein Gefühl von Anwesenheit und soziale Nähe vermitteln, zu der Chaträume und Videotelefonie nicht in der Lage sind. Im Metaverse wird man unter anderem spielen und arbeiten können, aber für den Gründer des weltweit größten sozialen Netzwerks ist das nächste Internet primär eines: eine Begegnungsplattform.

Fortnite, Roblox und Minecraft geben Zuckerberg recht. Alle drei Plattformen werden als Vorläufer des Metaverse gehandelt und haben eine starke soziale Komponente: Hier dreht sich alles um das gemeinsame Erleben oder Bauen digitaler Welten.

Auch Virtual Reality hat erste Mini-Metaversen wie VRChat und Rec Room hervorgebracht, die sowohl in VR als auch in 2D zugänglich. Metas eigener Wurf Horizon Worlds startete Ende 2021 in Nordamerika und soll dieses Jahr auch für mobile Geräte erscheinen, wie Zuckerberg vor kurzem ankündigte. Das ist unabdingbar, da VR-Brillen längst nicht so verbreitet sind wie Smartphones und die Attraktivität eines sozialen Netzwerks mit der Größer seiner Nutzerschaft steigt. Die braucht Horizon Worlds, um überhaupt relevant zu werden.

Eine Szene aus der Social-VR-Plattform Rec Room.

Obwohl ich mich seit 2016 eingehend mit Virtual Reality beschäftige, habe ich mir VRChat und ähnliche Plattformen erst vor kurzem näher angesehen und auch das nur wegen des gegenwärtigen Metaverse-Hypes. Der Grund für meine Metaverse-Abstinenz ist ganz einfach der, dass ich schlicht kein Bedürfnis habe, andere Menschen in Virtual Reality kennenzulernen, weshalb mein Mikrofon auch meisten abgeschaltet bleibt. In dieser Frage bin ich altmodisch und bevorzuge Treffen im physischen Raum, sofern sie geografisch möglich sind.

Ich bin wohl ein Spezialfall und liebe VR gerade, weil sie mich für eine halbe Stunde oder Stunde von meiner physischen und sozialen Umwelt isoliert. Zum Glück bin ich nicht der Einzige, der so denkt. Der ehemalige Oculus-Technikchef John Carmack bezeichnet die VR-Brille als „Kopfhörer für die Augen“ und sieht sich innerhalb Metas als Quertreiber, der für die Macht der Isolation eintritt.

Das Wort ist negativ konnotiert, doch Isolation muss an sich nichts Schlechtes sein. Bücher liest man in der Regel allein, ohne dass man darüber zum Sonderling wird und auch andere Formen der Unterhaltung werden nicht zwingend besser dadurch, dass man sie mit anderen teilt.

Wie ich vor zwei Jahren schrieb: Virtual Reality ist das ideale Medium, um vom Alltag Abstand zu nehmen und sich zu sammeln. Sie ist meine Oase der Ruhe, die durch soziale Interaktion nur gestört würde. Was nicht heißt, dass ich mich gelegentlich gerne in der Virtual Reality treffe. Aber in VRChat und Konsorten wird man mir bis auf Weiteres eher nicht begegnen. Was mich betrifft, kann das Metaverse warten.

Dieser Beitrag erschien am 13. Februar 2022 bei MIXED.

Dieses Spiel zeigt, was an AR fasziniert – und beunruhigt

Ich habe dieser Tage eine neue Beschäftigung gefunden, die ich als beglückend empfinde: Ich setze mich abends mit meiner Meta Quest 2 hin und stelle im Raum schwebende Puzzlesteine zu geometrischen Figuren zusammen. Dazu erklingt klassische Klaviermusik.

Die Puzzlesteine erscheinen nicht auf dem Fernseher, meinem Smartphone oder in einer virtuellen Welt. Nein, sie schweben im Wohnzimmer direkt vor mir. Und ich kann sie mit den eigenen Händen und Fingern greifen und bewegen. Controller oder Gamepads? Überflüssig. Gerät ein Stein außer Reichweite, ziehe ich ihn mit einer einfachen Geste zu mir heran, so lässig wie ein Jedi aus Star Wars.

Mit seinem neuen AR-Modus und dem geschmeidigen Handtracking zeigt Cubism wie kein anderes Spiel, was die Zukunft der Augmented Reality bereithält, gerade wegen seiner Schlichtheit und Eleganz und dem Umstand, dass es sich so wunderbar ins alltägliche Leben fügt.

Spieler berührt digitale Spielemente in physischer Umgebung

Video-AR, Handtracking und ein geniales Design machen Cubism einzigartig. | Bild: Thomas van Bouwel

Cubism holt nicht die physische Umgebung ins Spiel, es bringt das Spiel in die physische Umgebung. Und mein Hirn akzeptiert diese Illusion einer digital erweiterten Realität bereitwillig und ohne Anstrengung, selbst mit dem grobkörnigen Schwarzweiß-Kamerabild der Meta Quest 2.

Heutzutage muss man sich für eine solche Erfahrung eine wuchtige VR-Brille aufsetzen, doch entsprechende Geräte werden schon bald leichter, bequemer und leistungsfähiger sein. Gelingt es Meta, Apple und Microsoft, die Technologie weiter zu miniaturisieren, könnte sie in dieser oder ähnlicher Form alltäglich werden.

Cubism ist natürlich erst der Anfang, ein schmales Fenster in die Zukunft der Augmented Reality. Seine erstaunliche Effektivität wirft die Frage auf, wohin die Technologie uns eines Tages führen könnte.

Vom Smartphone sagt man, dass es Superkräfte verleiht. Wir können von überall aus und jederzeit auf das gesamte menschliche Wissen zugreifen, uns mit Menschen verbinden und unterhalten, die auf der anderen Seite der Erdkugel leben und navigieren zielsicher an jeden Bestimmungsort. Kein Wunder, tragen wir diese Geräte ständig mit uns herum und fühlen uns hilflos, wenn sie uns abhandenkommen.

Augmented Reality könnte diese Superkräfte potenzieren, aber damit auch die Abhängigkeit von Technologie. Werden wir uns unserer Möglichkeiten beraubt fühlen, wenn wir die AR-Brille zu Hause vergessen oder verlegen und die pure physische Realität als grau und trostlos empfinden?

Eine beunruhigende Frage und Vorstellung, die so alt ist wie die Science-Fiction, aber längst nicht mehr so unwirklich und futuristisch, wie wir glauben.

Dieser Beitrag erschien am 30. Januar 2022 bei MIXED.

VR und AR: Weshalb sich Meta nicht vor Apple fürchten muss

Apple hat bekanntermaßen noch nichts in Richtung VR- und AR-Hardware angekündigt. Dass das Unternehmen an entsprechenden Geräten arbeitet, ist allerdings seit Jahren bekannt. Anfang 2021 verdichteten sich die Gerüchte und seit ein paar Wochen gibt es eine regelrechte Flut von Berichten seitens gut informierter Apple-Reporter wie Mark Gurman oder dem Lieferkettenanalysten Ming-Chi Kuo. Diesen zufolge wird Apple ein relativ leichtes, aber teures VR-Headset mit Video-AR vorstellen.

Eine leichte, schöne und leistungsfähige VR-Brille zu bauen, ist keine leichte Aufgabe. Nicht mal für Apple. Laut Gurman forscht das Unternehmen seit rund acht Jahren an XR-Brillen, ohne je eine Hardware auf den Markt gebracht zu haben. Klar, Apple ist nicht für Schnellschüsse bekannt. Aber dass das Unternehmen nach all den Jahren und so kurz vor dem geplanten Marktstart noch mit technischen Problemen wie Überhitzung kämpft und aus diesem Grund den Launch verschieben muss, ist kein gutes Zeichen. Ursprünglich hätte das unter dem Codenamen N301 entwickelte Produkt 2022 auf den Markt kommen sollen. Nun wird es laut den Quellen wahrscheinlich erst 2023.

Rendering von Apples mutmaßlicher VR-Brille.

Langfristig plant Apple mit einer schlanken AR-Brille. Weil die dafür benötigte Technologie erst noch reifen muss, geht Apple den Umweg über eine VR-Brille. Die fängt die Umgebung mittels integrierter Kameras ein und reichert sie auf den Displays um digitale Elemente an. Nach dem gleichen Prinzip funktioniert Metas und die Lynx R-1. | Bild: Ian Zelbo

Ebenfalls Ungutes ahnen lassen die Gerüchte zu einer grundlegenden technischen Frage: ob die VR-Brille autark läuft oder eines Zuspielers bedarf. Dass sich die Berichte in diesem Punkt widersprechen, könnte ein Hinweis darauf sein, dass Apple selbst nicht recht weiß, welcher Weg der erfolgversprechendste ist und deshalb parallel zwei ganz unterschiedliche Produkte entwickelt: Eines, das für den autarken Betrieb ausgelegt ist und eines, das für volle Leistung eines iPhone oder iMacs bedarf. Herrscht hier kurz vor Launch noch Unentschlossenheit, würde das nicht für Apples Produkt sprechen. Doch das bleibt abzuwarten.

Apple ist bekannt dafür, spät, aber stark in einen Markt einzusteigen und neue Standards zu setzen, an denen sich die Mitbewerber messen müssen. Womöglich gelingt das Apple auch im VR- und AR-Bereich. Die Frage ist, ob der Perfektionsdrang des Unternehmens in diesem Umfeld nicht eher hemmend wirkt. Während Apple seit zig Jahren im Labor forscht, bringt Meta dieses Jahr schon die siebte kommerzielle VR-Brille heraus: das High-End-Gerät Cambria, das in vielerlei Hinsicht mit Apples VR-Brille konkurrieren dürfte. Diese Markterfahrung und das von Meta in zig Jahren aufgebaute App-Ökosystem ist von unschätzbarem Wert und einer der größten Trümpfe, die Meta-Chef Mark Zuckerberg in der Hand hat.

Virtual Reality und Augmented Reality: Das sind experimentelle Technologien, deren Mainstream-Appeal und Killer-Anwendung noch gefunden werden muss. Dem alten Facebook-Motto „Move Fast and Break Things“ treu, hat Meta womöglich einen Vorteil. Apple wirkt dagegen wie ein träger Riese. Kein Wunder: Auf dem Unternehmen lasten immens hohe Erwartungen. Weil Apple nun mal Apple ist und weil es seit der Apple Watch keine grundlegend neue Hardware-Kategorie mehr eingeführt hat. Das ist knapp sieben Jahre her.

Erstes Bild von Project Cambria

Das bislang einzige offizielle Bild von Metas Cambria. | Bild: Meta

Laut bisherigen Gerüchten wird Apples erste VR-Brille beeindruckende Technik bieten: zwei 4K-Displays, mehr als ein Dutzend Sensoren und die Rechenleistung von Apples eigenen Chips soll alles Bisherige in den Schatten stellen. Diese High-End-Technik schlägt sich im Preis nieder: Dem jüngsten Bericht zufolge wird Apples VR-Brille 2.000 US-Dollar aufwärts kosten. Damit stellt sich unweigerlich die Frage, für wen diese VR-Brille eigentlich gedacht ist. Ob Apple den Fokus (je nach Quelle) auf VR-Gaming, Unterhaltung und Kommunikation legt oder ein Allzweckgerät plant, ist unerheblich. Normalverbraucher werden zu diesem Preis nicht zugreifen, jedenfalls nicht in Massen. Apple hin oder her.

Laut Gurman will Apple sieben bis zehn Millionen Einheiten verkaufen. Das ist unrealistisch. Wenn überhaupt, dann werden sich professionelle Anwender, Entwickler und Unternehmen für das Gerät interessieren – eine vergleichsweise kleine Zielgruppe. Apple macht in erster Linie mit Endverbrauchern und hohen Margen Umsätze. In der frühen Phase der VR und AR greift diese Strategie nicht: Zu experimentell und verspielt sind die Anwendungen und ohne echten Nutzen, um den Premium-Preis zu rechtfertigen.

Meta geht den anderen Weg und subventioniert die eigene Hardware aggressiv, um möglichst früh möglichst viel Hardware unter die Leute zu bringen und sich damit zeitig einen Wettbewerbsvorteil zu schaffen. Möglich, dass Meta mit einer vergleichsweise günstigen Cambria besser fahren wird als Apple mit einer dreimal so teuren VR-Brille, die technisch nur geringfügig besser ist. Wenn Apple Akzente setzt, dann wird es in Bereichen wie Design, Komfort und Ökosystem-Integration sein. Hier dürfte es die größten Fortschritte und Überraschungen geben.

Avatare sind um einen Tisch versammelt.

Mark Zuckerbergs Metaverse-Vision wird häufig belächelt. Doch Meta steckt wahrscheinlich mehr in die Entwicklung von VR und AR als jedes andere Unternehmen, einschließlich Apple. Die Technologie könnte in zehn bis fünfzehn Jahren wesentlich weiter und wichtiger sein, als wir heute annehmen.| Bild: Meta

Apple hat einen großen Vorteil gegenüber Meta: Es hat das profitabelste Smartphone-Geschäft im Rücken und beherrscht dessen Wertschöpfungskette vom Betriebssystem über die eigenen Chips bis hin zum Hardware-Design. So neu und aufregend Virtual und Augmented Reality auch sind: Das Smartphone und dessen Ökosystem wird auf absehbare Zeit das dominierende Alltagsgerät bleiben. Apple kann das iPhone weitaus eleganter in das VR- und AR-Produktportfolio integrieren als die Konkurrenz mit ihren Smartphones. Das ist ein großer Wettbewerbsvorteil.

Anhand der bisherigen Informationen fällt es schwer, sich einen Reim auf Apples VR-Strategie zu machen. Die Masse wird das Gerät nicht ansprechen und nicht nur aus preislichen Gründen. Dafür müsste sie der Konkurrenz in Sachen Formfaktor, Technik und Apps um Jahre voraus sein – und das darf bezweifelt werden.

Mit wenigen Nutzern wird es schwierig für Apple, Entwickler für das eigene Ökosystem zu begeistern. Und die benötigt Apple. Sie entwickeln die Anwendungen, für die sich eine Anschaffung des Geräts überhaupt erst lohnt.

Um das Produkt aus der Nische herauszuführen, muss das Unternehmen die Integration in bestehende Apple-Ökosysteme vorantreiben und die Technik durch schnelle Iteration Jahr für Jahr verbessern. Apples größter Fehler wäre es, Meta zu unterschätzen.

Dieser Beitrag erschien am 23. Januar 2022 bei MIXED.

Ist Virtual Reality gefährlich für Kinder?

Statistiken und Berichte seitens VR-Studios belegen: Meta Quest 2 war auch diese Weihnachten ein beliebtes Geschenk, ganz besonders bei Kindern. Davon zeugen eine Flut von Beiträgen aus sozialen Netzwerken, die überraschende und berührende Reaktionen auf die Weihnachtsbescherung einfangen.

Was die meisten Eltern eher nicht wissen dürften: VR-Brillen werden primär für Erwachsene und deren Kopfgröße entwickelt und die meisten Hersteller untersagen eine Nutzung seitens Minderjähriger.

Meta nennt ein Mindestalter von 13 Jahren für die Nutzung eigener VR-Technik und Dienste, in Übereinstimmung mit weltweiten Kinderschutzvorschriften und dem US-Datenschutzgesetz COPPA, das die Online-Privatsphäre von Kindern unter 13 Jahren schützt.

Dass diese Altersbeschränkung kaum ein Kind davon abhält, sich in der Virtual Reality zu tummeln, wissen alle, die von Zeit zu Zeit beliebte VR-Treffpunkte wie Rec Room und VRChat besuchen oder Online-Spiele spielen. Hier sind Minderjährige häufig in der Mehrheit und an ihrer Stimme leicht zu erkennen. Das Phänomen ist so weitverbreitet, dass die „Kinderplage“ in der VR-Szene längst Meme-Status erreicht hat.

Ein Kind mit VR-Brille und abwehrender Haltung

Die Immersion von VR kann Kinder überwältigen und bei ungeeigneten Inhalten sogar gefährden.

Ob und wie sich Virtual Reality auf Kinder auswirkt, ist derweil kaum erforscht. Eine neue Studie etwa legt nahe, dass Kinder in VR Kopf-Körper-Koordinationsprobleme zeigen können – was allerdings keinerlei Rückschlüsse auf gesundheitliche Folgen zulässt, es sei denn, ein Kind würde dauerhaft Großteile seiner Zeit in VR verbringen. Eine nicht viel ältere Untersuchung findet keine negativen Auswirkungen auf die sogenannte Visuomotorik von Kindern. Auch wenn in der Forschung noch Unsicherheit herrscht, heißt das aber nicht, dass VR für Kinder keine Risiken beinhaltet.

Da der menschliche Sehapparat unter der VR-Brille anders arbeitet als beim Betrachten der physischen Umgebung (siehe Vergence-Accommodation-Konflikt), stellt sich die Frage, ob übermäßiger und anhaltender VR-Konsum die Entwicklung des Sehvermögens beeinträchtigen könnte. Hierfür bräuchte es längerfristige Studien, die allein aus ethischen Gründen nur schwer durchzuführen wären.

Neben medizinischen Bedenken könnte man auch psychologische anführen. Vorausgesetzt, ein Kind verbringt viel Zeit in VR: Könnte es dann eher Schwierigkeiten bekommen, zwischen Realität und Spiel zu unterscheiden, als wenn es etwa eine Fernsehsendung schaut?

Auch diese Frage ist berechtigt, weil Virtual Reality effektiver darin ist, die menschliche Wahrnehmung nachzuahmen und „Realität“ vorzutäuschen. Wäre dem so, dann wären ungeeignete Inhalte womöglich noch verstörender für Kinder, als sie es auf einem Monitor oder Smartphone wären. Wissenschaftlichen Belege für diese Thesen fehlen allerdings.

VRChat Avatare

VRChat ist ein ungefilterter Spiegel der Gesellschaft und daher nichts für Kinder. | Bild: VRChat

Unter den potenziell beeinträchtigenden Inhalten sind auch VR-Plattformen, die als soziale Treffpunkte dienen. Das Proto-Metaverse eines Rec Room und VRChat wird, wie oben schon erwähnt, besonders stark von Minderjährigen genutzt, da der Zugang kostenlos ist und soziale Interaktionen ermöglicht. Kommt es hier zu Belästigungen, können diese als besonders unangenehm empfunden werden, da die Nutzer innerhalb dieser Welten eine quasi-körperliche Präsenz haben.

Gerade VRChat hat den Ruf eines enthemmten sozialen Raums, in dem Kraftausdrücke, rassistische Äußerungen und sexualisierte Outfits zur Tagesordnung gehören. Das zeigten jüngst auch Untersuchungen der Non-Profit-Organisation CCDH (Center for Countering Digital Hate). Die Tester berichten von (sexueller) Belästigung, Hassrede und anderen Formen von Regelverstößen.

Diese Funde haben die britische Datenschutzbehörde ICO (Information Commissioner’s Office) auf den Plan gerufen. Die vermutet, dass Meta Quest 2 den „Children’s Code“ verletzt, eine neue Richtlinie der Behörde, die Minderjährige vor negativen Auswirkungen von Online-Diensten schützen soll und rechtlich bindend ist für alle Internet-Unternehmen. Die ICO will nun Meta zu einem Gespräch vorladen. Dem Unternehmen droht im Falle einer Bestätigung der Vorwürfe eine Verwarnung oder Geldstrafe.

Meta antwortete in einer Stellungnahme, man sei „zuversichtlich“, dass das VR-Headset die Bedingungen der Richtlinie erfülle und verwies auf die Nutzungsbedingungen, die eine Nutzung unterhalb von 13 Jahren verbietet. Im Oculus-Safety-Center unter Jugendschutz beruft sich Meta auf die Aufsichts- und Fürsorgepflicht der Eltern: „Erwachsene sollten darauf achten, wie ihre Kinder ab 13 Jahren Oculus-Geräte nutzen. Dazu zählen auch die Inhalte, die sie auswählen. Außerdem sollte die Kindersicherung genutzt werden, wenn diese verfügbar ist. Zusätzlich sollten Erwachsene darauf achten, wie viel Zeit ihre Kinder ab 13 Jahren mit ihren Headsets verbringen und dass sie regelmäßig Pausen einlegen.“

Eine Szene aus A Fisherman's Tale

VR-Spiele wie Fisherman’s Tale sind wie Märchen und unterhalten auf zauberhafte und herausfordernde Weise. | Bild: Innerspace vR

Für Virtual Reality gilt wie für jedes andere Medium, ob Buch, Film oder Videospiel, dass es a) auf die richtigen Inhalte und die Art und Weise des Konsums ankommt und b) dass die Eltern in dieser Hinsicht Verantwortung übernehmen müssen.

Die PEGI-Alterseinstufungen bei VR-Apps können bei der Auswahl der VR-Spiele helfen und will man überprüfen, was das eigene Kind unter der VR-Brille schaut und tut, gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die VR-Inhalte auf ein Zweitgerät zu streamen, etwa aufs eigene Smartphone. Oder noch besser: Man spielt zusammen mit den Kindern, indem man die VR-Brille weiterreicht.

Meta damit von jeglicher Verantwortung zu entbinden, wäre allerdings falsch. Es wäre wohl ein Leichtes für das Unternehmen, eine bessere Alterskontrolle oder Nutzerkonten für Kinder einzuführen, mit denen ungeeignete VR-Apps gar nicht erst installiert werden könnten. Das würde Eltern bei der Erfüllung ihrer Fürsorgepflicht helfen. Dafür müsste Meta zuerst öffentlich zugeben, dass Meta Quest 2 von Kindern genutzt wird. Davon ist erst mal nicht auszugehen angesichts der derzeitigen Forschungslage und der rechtlichen Probleme, die bei einer Vermarktung von VR-Geräten an Kinder drohen könnten.

Das ist schade, weil Virtual Reality riesiges Potenzial für die Kinder hat. Sie kann in gesunden Maßen und mit der richtigen Wahl an VR-Apps intelligent unterhalten, bilden oder kreative Kräfte freisetzen.

Tipps und weiterführende Informationen für Eltern:

Bei der Orientierung helfen die Richtlinien und Sicherheitstipps der Non-Profit-Organisation XRSI (Cross Reality Safety Initiative), die speziell für Kinder und Eltern geschrieben wurden (in englischer Sprache).

Außerdem empfehle ich Folge #284 des MIXEDCast. Hier besprechen drei VR-geprüfte Väter, wie sie selbst mit Spielen und anderen digitalen Inhalten groß wurden, wie die eigenen Kinder mit neuen Technologien – etwa Virtual und Augmented Reality – umgehen und auf was Eltern achten können.

Dieser Beitrag erschien am 22. Januar 2022 bei MIXED.