Facebook ist tot, es lebe Meta!

Facebook ist das meistgehasste Unternehmen der Welt. Diesen Eindruck bekomme ich, wenn ich die Presseartikel der letzten zwei Wochen lese. Unvorstellbar, dass es eine Zeit gab, in der Facebook hip und Mark Zuckerberg ein gefeierter Unternehmer war.

Facebooks moralischer Fall geschah nicht von heute auf morgen. Wer Steven Levys Facebook-Historie „Weltmacht am Abgrund“ gelesen hat, weiß, dass das Unternehmen von Anfang nur nach aggressivem Wachstum strebte. Privatsphäre, Datenschutz und gesellschaftliche Auswirkungen sind nachrangig.

Die Enthüllungen der Whistleblowerin Frances Haugen und die Facebook Papers: So traurig diese jüngsten Armutszeugnisse Facebooks auch sind, sie sind nur ein weiteres Kapitel in einer endlosen Reihe von Skandalen und Grenzüberschreitungen, denen weitere folgen dürften, solange Facebook an seinem Geschäftsmodell festhält.

Keine Überraschung also, dass Facebooks Umbenennung und Neuausrichtung auf das Metaversum mit besonders viel Schrecken und Häme aufgenommen wurde. Erneut wurde eimerweise Verachtung über Mark Zuckerbergs Haupt gegossen, insbesondere seitens der Internetgemeinschaft, die sich mit einer Flut von Memes über den Facebook-Gründer und seine Metaverse-Pläne lustig macht.

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Mark Zuckerbergs Metaverse-Vision greift weit in die Zukunft und vieles von dem Gezeigten dürfte in der Form niemals Wirklichkeit werden, egal, wie gut die Technologie eines Tages wird. | Bild: Meta

Doch bei all dem Spaß sollte man eines nicht vergessen: dass Zuckerbergs Plan aufgehen könnte. Der ehemalige Harvard-Student ist ein gewiefter Unternehmer, der Facebook schon durch viele Krisen geführt hat. Seine Verbissenheit und sein Gespür für Trends und Marktentwicklungen könnten auch hier wieder zum Erfolg führen.

Bei aller Verachtung für Zuckerbergs Methoden: unternehmerisches Genie kann man ihm nicht absprechen. Wie oft hat die Öffentlichkeit Facebooks Produkte belächelt, um später eines Besseren belehrt zu werden?

Zuckerbergs bislang größter und gefährlichster Fehler war, die Smartphone-Revolution zu verschlafen. Doch wie so oft ging das Unternehmen gestärkt aus der Krise hervor und Facebooks Anzeigengeschäft explodierte dank der neuen allgegenwärtigen Plattform. Zuckerberg verwandelte das Smartphone in einen weiteren Steigbügel auf dem Weg zur Weltmacht Facebook.

Mit seinem Metaverse-Plan will Zuckerberg ein weiteres, folgenschweres Versäumnis dieser Größenordnung vermeiden. Agieren statt reagieren. Es wäre falsch, in dieser Vision nur ein Ablenkungsmanöver oder Lippenbekenntnis zu sehen. Metas Zahlen belegen das: Das Unternehmen steckte allein in diesem Jahr 10 Milliarden US-Dollar in die Entwicklung von Metaverse-Technologien. 10.000 Angestellte arbeiten bereits an VR und AR und in Europa sollen noch einmal so viel Fachkräfte rekrutiert werden.

Die Kühnheit von Zuckerbergs technologischer Wette ist enorm: Floppt die große Metaverse-Vision, könnte sie das Ende Metas bedeuten. Bewahrheitet sie sich, wäre sie Zuckerbergs bislang größter Streich. Dazwischen gibt es nicht viel.

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Meta arbeitet an ultrarealistischen Avataren, sogenannten Codec Avatars. | Bild: Meta

Die Zukunft des Metaversums: Sie wird bestimmt anders aussehen, als es sich Zuckerberg vorstellt. Zum Glück! Seine Metaverse-Fantasien sind weder neu noch besonders originell. In der Masse ankommen und gedeihen dürften das Metaversum und die zugrundeliegenden Technologien ohnehin nur dann, wenn sie das Leben sinnvoll ergänzen statt ersetzen.

Ich sehe keine Sci-Fi-Dystopie auf uns zukommen, in der die Gesellschaft sich vollends in virtuelle Welten verabschiedet. Zumindest nicht mit einer Technologie, die wir uns auf die Nase setzen. Hirn-Computer-Interfaces, die Matrix-gleiche Immersion ermöglichen: Das halte ich für eine Herausforderung des nächsten Jahrhunderts, wenn überhaupt.

Zuerst muss die aktuelle Technik reifen, die immer noch in den Kinderschuhen steckt. Virtual Reality und Augmented Reality sind heute vergleichsweise primitiv. Sie massentauglich zu machen, ist eine Herkulesaufgabe, die Meta fast allein stemmen muss. Google, Apple, Amazon und Microsoft: Sie forschen zwar an VR und AR, aber setzen andere Schwerpunkte wie Künstliche Intelligenz, smarte Alltagstechnik und Cloud-Infrastruktur.

Nur Meta setzt uneingeschränkt auf VR und AR und ist dafür bereit, die Technologien unter Aufwendung aller zur Verfügung stehenden Mittel in den Massenmarkt zu wuchten mit der Hoffnung, eines Tages die Bedingungen des Markts zu diktieren, wie Google und Apple es heute beim Smartphone können.

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Die Ray-Ban Stories, eine Sonnenbrille mit Kamera und Lautsprechern, die Meta in Kooperation mit Ray-Ban entwickelt – in Vorbereitung auf eine AR-Brille. | Bild: Meta / Ray-Ban

Wenn sich die übrigen Konzerne weiter in Zurückhaltung üben, wird Meta das technologische Wettrennen gewinnen. Doch für einen anhaltenden Erfolg muss das Unternehmen eine weitaus schwierigere Aufgabe meistern: Es muss das Vertrauen in die eigene Marke wiederherstellen.

Das kann Meta nur, wenn es den Datenschutz zur obersten Priorität erklärt und neue Geschäftsmodelle entwickelt. Naheliegend sind ein Metaverse-Marktplatz und Hardware-Verkäufe. Meta hat eine radikale Kehrtwende in Sachen Datenschutz angedeutet, doch Skepsis ist angebracht. Wenn die Öffentlichkeit etwas über Facebooks Geschäftsgebaren gelernt hat, dann dessen Rücksichtslosigkeit. Metas Wandel, wenn er denn stattfindet, wird viele Jahre dauern.

Wir leben in einer technologisch spannenden Zeit. Seit geraumer Zeit hört man, dass Virtual und Augmented Reality verändern könnten, wie Menschen mit Computern und der Welt interagieren. Bald werden wir erfahren, ob dem wirklich so ist. Denn niemals zuvor wurde in so kurzer Zeit so viel investiert, um die grundlegenden Probleme der Technologie zu lösen. In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird sie sich am Markt etablieren – oder mit Meta in der Versenkung verschwinden.

Technologische Revolutionen sind keineswegs selbstverständlich. Sie sind, mit den Worten des Oculus-Chefarchitekten Atman Binstock, das Ergebnis harter Arbeit seitens Erfinderinnen und Erfinder, „die zur richtigen Zeit an den richtigen Problemen arbeiten.“ Dazu bedarf es massiver Investitionen in die Grundlagenforschung, die in diesem Umfang derzeit nur Meta zu leisten bereit ist.

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Die VR-Brille Quest 2. | Bild: Meta

Die Quest 2 ist für mich das außergewöhnlichste Gadget der letzten Jahre, eine technische Meisterleistung und ein rundum gelungenes Produkt, das auf dem Markt seinesgleichen sucht. Das macht Meta in meinen Augen schon jetzt zum innovativsten Techkonzern. Mir fällt keine andere technische Neuheit seit dem Smartphone ein, die so faszinierend ist und Unterhaltung, Arbeit und Kunst dermaßen revolutionieren könnte wie VR und AR. Wobei die größten Durchbrüche in dieser Technologie noch bevorstehen.

Bei aller Skepsis gegenüber Meta: Die Kompromisslosigkeit, Kühnheit und Hingabe, mit der sich das Unternehmen der eigenen Vision verpflichtet hat, nötigt mir Respekt ab. Denke ich an Google, Apple, Amazon und Microsoft, so sehe ich Konzerne, die an etablierten Paradigmen festhalten und neue Versionen alter Produkte entwickeln.

Die technologische Zukunft ist so aufregend wie noch nie. Und damit denke ich nicht das iPhone 18, Azure 2.0 oder Amazon Echo X. Ich denke an Meta.

Dieser Beitrag erschien am 13. November 2021 bei MIXED.