VR & AR

Augmented Reality: 2022 passiert etwas, versprochen!

Bei Augmented Reality tat sich 2021 zwar einiges, eine herausragende Neuigkeit jedoch gab es nicht. Der nächste große Schritt könnte 2022 kommen, wenn auch anders als erwartet. Lassen wir das AR-Jahr 2021 im Schnelldurchlauf Revue passieren und wagen wir zugleich ein Blick ins nächste Jahr!

Was geschah 2021 in Sachen Hardware? Die große AR-Hoffnung Nreal Light erschien im Frühjahr in Deutschland und entpuppte sich als ein höchst experimentelles Produkt, dessen größte Stärke ist, virtuelle Monitore in die Umgebung zu projizieren. Dass das chinesische Unternehmen mit seinem nächsten Wurf, der Nreal Air, die bescheidene AR-Tauglichkeit der Nreal Light wieder aufgibt, ist bezeichnend für die technische Sackgasse, in der Augmented Reality derzeit steckt. Das dürfte so bleiben, bis es einen grundlegenden Durchbruch bei AR-Displays gibt.

Ein paar Wochen nach dem Deutschlandstart der Nreal Light stellte Snap die AR-Brille Spectacles vor, die aus gutem Grund nur für ausgewählte Entwickler greifbar ist. Sie bietet ein briefmarkengroßes Sichtfeld und muss nach einer halben Stunde Nutzung wieder an den Strom.

Die Nreal Light bietet weniger tolle Augmented Reality als gehofft. | Bild: MIXED.de

Im September kam die Ray-Ban Stories auf den Markt, ein Gemeinschaftsprojekt von Meta und Ray-Ban, das eine klassische Sonnenbrille um Kamera und Lautsprecher erweitert. Den attraktiven Formfaktor erkauft sich das Wearable durch den Verzicht auf ein AR-Display, womit sich die Frage nach dem Nutzen und Mehrwert des Geräts stellt. Möglich, dass Meta hier nur die Datenschutzreaktion auf Kamerabrillen abfragt.

Ansonsten gab es in erster Linie vage Ankündigungen und Gerüchte. Niantic-Chef John Hanke teaserte eine fertig wirkende AR-Brille, nur um ein paar Monate später anzumerken, dass deren Entwicklung noch Jahre dauern wird. Meta verriet im Herbst den Codenamen der ersten AR-Brille Project Nazare, die ebenfalls noch Jahre entfernt ist. Microsoft versprach einen transformativen Sprung für Hololens 3, die laut Gerüchten mit Samsung entwickelt wird und 2024 enthüllt werden könnte.

Das nächste Stück erweiterte Realität bringt Magic Leap in die AR-Branche. Das Unternehmen, in das Investoren erneut 500 Millionen US-Dollar pumpten, kündigte Magic Leap 2 für das erste Quartal 2022 an. Das Gerät richtet sich ausschließlich an Unternehmen und bringt Verbesserungen bei Sichtfeld, Gewicht und Formfaktor.

Metas VR- und AR-Chef Andrew Bosworth mit den Ray-Ban Stories. | Bild: Andrew Bosworth

In Ermangelung neuer Hardware blieb das Smartphone auch 2021 die meistgenutzte AR-Plattform. Und Smartphone-AR ist weiter auf der Suche nach sinnvollen Anwendungen.

Ja, AR-Filter bei Instagram und Co. waren auch 2021 beliebt und Pokémon Go scheffelt weiterhin Unmengen Geld. Aber diese beiden Beispiele als Argument dafür zu nehmen, dass Augmented Reality im Mainstream angekommen und wichtig ist, bringt die Branche nicht weiter. Google hat mit AR in der Google Suche zwar einen großen Hebel, den das Unternehmen in diesem Jahr aber nicht weiter einsetzte.

Denn abseits dieser beiden AR-Säulen gibt es nichts Erfreuliches zu berichten. Was haben Minecraft Earth, Catan AR und Harry Potter: Wizards Unite gemein? Alle drei AR-Spiele haben große Lizenzen im Rücken. Und alle drei wurden 2021 wegen mangelndem Interesse eingestampft. Pokémon Go bleibt wohl das Einhorn unter den Smartphone-AR-Spielen.

Smartphone-AR wird seinen Gimmick-Charakter nicht los, obwohl AR-Schnittstellen in den letzten Jahren große Sprünge hinlegten und technisch beeindruckend sind. Die beiden wichtigsten, ARKit und ARCore, haben dieses Jahr keine bedeutenden Updates erhalten und sind reif für die Technologie, für die sie ursprünglich entwickelt wurden: AR-Brillen. Die wiederum dürften noch Jahre auf sich warten lassen.

Professionelles Rendering eines angeblichen Apple-Headsetprototyps. | Bild: Ian Zelbo

Augmented Reality, die das Sichtfeld ausfüllt, realistisch wirkende Hologramme in die Welt beamt und mit der physischen Umgebung interagiert: Dies wird nächstes Jahr in Gestalt von Video-AR-Brillen Wirklichkeit. Diese Geräte sind eine Weiterentwicklung von VR-Brillen. Sie filmen die Umgebung mit integrierten Kameras und erzeugen auf den Displays ein täuschend echtes und frei manipulierbares digitales Videoabbild der physischen Wirklichkeit.

Viele schwerwiegende Nachteile transparenter AR-Brillen (Hololens, Magic Leap, Nreal Light) stellen mit dieser AR-Technik kein Problem mehr dar: Video-AR-Brillen bieten ein weites Sichtfeld, opake Hologramme, Darstellbarkeit von Schattierungen und Schwarz und eine hochwertige Bildqualität.

Metas nächste VR-Brille Cambria ist für Video-AR optimiert, genauso wie die Lynx R-1 und das erste Apple-VR-Headset, das laut zahllosen Gerüchten und Leaks im kommenden Jahr vorgestellt werden und vielleicht sogar erscheinen soll. Video-AR ist der nächste Schritt in der Entwicklung der Augmented Reality und wird zum ersten Mal das Potenzial fortschrittlicher AR offenlegen. Und die Zeit sinnvoll überbrücken, die benötigt wird, um transparente alltagstaugliche AR-Brillen zu bauen.

Dieser Beitrag erschien am 29. Dezember 2021 bei MIXED.

Weshalb Generation Alpha die Zukunft der Virtual Reality ist

Auch dieses Jahr lagen wieder viele Meta Quest 2 unter dem Weihnachtsbaum. So wie viele von uns sich vor Jahrzehnten (unglaublich, nicht wahr?) über ein NES, einen Game Boy oder die erste Playstation freuten, so jauchzt nun eine neue Generation über ihre erste VR-Brille.

Auf Reddit, Youtube und Twitter teilen Eltern die Reaktionen ihrer Kinder auf das VR-Geschenk: Einige flippen aus, andere  sind zu Tränen gerührt und manche eine oder einer wird sich darin wiedererkennen und an das eigene große Gaming-Weihnachtsgeschenk erinnern, damals, in den 90ern oder früher.

Ob die Gesellschaft das gut findet oder nicht: Generation Alpha wird die erste Generation sein, die mit Virtual Reality aufwächst und dadurch eine ganz andere Beziehung zu diesem Medium entwickeln. VR-Brillen werden für sie eine alltäglichere und weniger abschreckende Technologie werden, als für die, die Virtual Reality im Erwachsenenalter kennenlernten. Das wird auf Dauer verändern, wie die Technologie wahrgenommen und genutzt wird. Wie genau, das wissen wir noch nicht.

Wird klassisches 2D-Gaming für diese Generation an Faszination verlieren oder bleibt es das Maß aller Dinge? Auch diese Frage ist neu. Ich gehöre zu jenen, die nur noch der Nostalgie willen in die flache Gaming-Welt zurückkehren, auch wenn ich nicht mit Virtual Reality aufwuchs. Aber ich könnte nur die Ausnahme sein, die die Regel bestätigt.

Wie sich die Technologie auf Kinder auswirkt, ist weitgehend unerforscht. Meta selbst macht klar, dass VR-Brillen kein Spielzeug sind und nennt ein Mindestalter von 13 Jahren. Die Kinder selbst wird das herzlich wenig interessieren. Wer schon mal ein Multiplayer-Spiel ausprobiert hat, weiß, dass sich dort viele Kinder herumtreiben, mit ihrer eigenen VR-Brille oder der ihrer Eltern.

Die gesellschaftlichen Folgen einer übermäßigen VR-Nutzung, ob bei Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen, dürften sich erst in ein paar Jahren zeigen. Denn Virtual Reality ist erst auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft.

Bevor es so weit ist und die große Kulturdebatte einsetzt, wird es hoffentlich erlaubt sein, sich über den beginnenden Durchbruch dieses neuen, an Möglichkeiten reichen Mediums zu freuen und optimistisch in die Zukunft zu schauen. Schließlich ist aus unserer Generation auch etwas geworden – NES, Gameboy und Playstation zum Trotz.

Dieser Beitrag erschien am 27. Dezember 2021 bei MIXED.

Im Atombunker des US-Präsidenten: VR-Erfahrung simuliert Ernstfall

Stellt euch vor, ihr seid der US-Präsident. Das Militär berichtet, dass russische Atomraketen auf dem Weg zur amerikanischen Küste sind. Binnen einer Viertelstunde müsst ihr entscheiden, wie die USA auf den Angriff reagieren. Denn so lange dauert es, bis die Flugkörper die US-Raketensysteme erreichen und außer Gefecht setzen.

Ist es womöglich nur ein Fehlalarm? Oder ein Cyberangriff auf die US-Sicherheitssysteme? Es bleibt keine Zeit, diesen Fragen nachzugehen. Die Generäle legen drei Optionen auf einen Tisch, darunter einen eingeschränkten Gegenangriff, der sich gegen russische Raketensilos, nukleare U-Boot-Basen und Luftwaffenstützpunkte richtet. Der könnte 5 bis 15 Millionen Menschenleben kosten. Die aggressivste Alternative ist ein Gegenschlag, der sich direkt gegen die russische Industrie und Führung richtete und bis zu 45 Millionen Todesopfer fordern könnte.

Das ist kein aus der Luft gegriffenes Szenario. Die VR-Simulation Nuclear Biscuit stützt sich auf umfangreiche Recherchen, einschließlich Interviews mit ehemaligen US-Beamten, zur Frage, was passieren würde, wenn die USA mit einem nuklearen Angriff konfrontiert wäre – oder das nur glaubt.

Die VR-Erfahrung ist nach der Plastikkarte benannt, die im Atomkoffer des US-Präsidenten aufbewahrt wird und die Aktivierungscodes enthält. Entwickelt wurde die VR-Simulation von Sharon K. Weiner, Professorin an der School of International Service lehrt und Moritz Kütt vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Die VR-Erfahrung simuliert eine realistische Krisensituation und zeigt, unter welch schwierigen Umständen Entscheidungen getroffen werden müssten, die das Schicksal der Menschheit besiegeln könnten.

In der Rolle des US-Präsidenten werdet ihr in einen Atombunker eskortiert und müsst entscheiden, wie die USA auf den mutmaßlichen Angriff antworten – inmitten einer unscharfen Nachrichtenlage, drängenden Aufforderungen des Militärstabs und durchdringendem Sirenengeheul. Ihr könnte euch für eine der drei Gegenschläge entscheiden oder entscheiden, euch nicht zu entscheiden. Die Simulation lässt eine Vielzahl an Interaktionen und Möglichkeiten zu, auf die Situation zu reagieren.

In den vergangenen Monaten führten Weiner und Kütt kontrollierte Experimente mit Simulationsteilnehmern durch und werteten die Ergebnisse aus. Das Ziel des Forschungsprojekts ist, herauszufinden, wie sich politische Entscheidungsträger in solchen Situation verhalten würden. „Wir wollen besser verstehen, wie sich Menschen während einer nuklearen Krise verhalten und inwieweit sie sich so verhalten, wie es die Theorie der Abschreckung erwarten lässt“, schreibt mir Weiner.

„Abschreckung setzt eine rationale Entscheidungsfindung voraus. Die verhaltenspsychologische Literatur legt jedoch nahe, dass Menschen in einer Krise oft Abkürzungen nehmen oder sich weniger rational verhalten. Eine erste Prüfung unserer Daten deutet stark darauf hin, dass letzteres der Fall ist.“ In einem Gespräch mit dem Guardian sagt Kütt: „Die meisten Teilnehmer entscheiden sich für eine Eskalation und nur sehr wenige dafür, nicht auf den Angriff zu antworten.“

Besonders beunruhigend: Die Forscher fanden keine Beweise dafür, dass vergangene US-Präsidenten an ähnlichen Simulationen teilgenommen haben, mit Ausnahme von Jimmy Carter. Sie seien also vollkommen unvorbereitet gewesen.

Das könnte sich ändern: Weiner und Kütt möchten die VR-Simulation im Januar Mitgliedern des US-Kongresses vorführen. Sie soll zum Nachdenken anregen und politisch etwas bewegen. Eine Reihe von Nuklearwaffenexperten und Ex-Politikern haben die VR-Erfahrung vor Kurzem in Washington durchlaufen. Die Reaktionen waren positiv.“Du gehst in diese Simulation und kommst als ein veränderter Mensch heraus“, sagte etwa Richard Burt, der ehemalige US-Chefunterhändler bei den Rüstungskontrollverhandlungen mit der Sowjetunion.

Laut Weiner hat Virtual Reality große Vorteile gegenüber physischen Simulationen. „Die Teilnehmer glauben eher, dass sie sich in einer echten Krisensituation befinden. Außerdem ermöglicht die Simulation ihnen, selbst zu agieren, anstatt so zu tun, als wären sie jemand anderes. Das Ergebnis sind Daten, die mit größerer Wahrscheinlichkeit das widerspiegeln, was im wirklichen Leben passieren würde.“

Derzeit gibt es keine Möglichkeit, Nuclear Biscuit selbst auszuprobieren. Weiner und Kütt würden die VR-Simulation jedoch in Zukunft gerne einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Das werde jedoch etwas Zeit benötigen und zusätzliche Mittel erfordern, heißt es.

Dieser Beitrag erschien am 19. Dezember 2021 bei MIXED.

Winds & Leaves: Fest für die Augen, Balsam für die Seele

Wir sind es gewohnt, von Spielen Komplexität einzufordern. Sie müssen Tiefgang und reiche Regelwerke besitzen, ansonsten werden sie schnell als simpel und anspruchslos abgestempelt. Winds & Leaves ist gerade deshalb schön, weil es solche Ansprüche größtenteils von sich weist.

Das VR-Spiel hat sehr wohl ein spielmechanisches Gerüst, aber dieses macht den wenigen einfachen Handlungen und dem Erleben der Welt Platz. Die Geschichte? Sie fließt, ohne dass man es merkt. Und dennoch hinterlässt das VR-Spiel ein befriedigendes Gefühl, eine wohlige Wärme in der Brust.

Winds & Leaves Wiesenlandschaft

Pastellfarbene Naturschönheit im VR-Spiel „Winds & Leaves. | Bild: Trebuchet

In Winds & Leaves verkörpert ihr ein mystisches Wesen, das sich in einer kargen Steppe wiederfindet und dieser neues Leben einhauchen muss. Schritt für Schritt werdet ihr an die Werkzeuge herangeführt, mit denen ihr Leben spendet: einen Holzstecken, der Löcher in den Boden gräbt, eine Tasche, in der ihr gesammeltes Saatgut aufbewahrt und eine magische Windmühle, die den Fluss der Zeit beschleunigt.

Habt ihr mit dem Stecken ein Loch gegraben, könnt ihr eine Frucht hineinfallen lassen. Mit der Zeit wächst daraus ein Baum und mit dem Baum greift das Leben in Gestalt von Gras, Blumen und weiteren Bäumen um sich. Haltet ihr die Windmühle in den Wind, seht ihr Tage und Nächte binnen Sekunden verstreichen und könnt beobachten, wie sich das Leben Bahn bricht.

Die wiedererwachte Pflanzenwelt ist nicht nur zur Zierde da. Sie ermöglicht euch, neue Gebiete zu erkunden. Denn wandert ihr zu lange auf Sand, versiegen eure Lebenskräfte. Keine Sorge: Es ist nicht nötig, alle paar Meter einen Baum zu pflanzen, da sich das Leben von selbst in alle Richtungen ausbreitet.

Das Spiel bietet eine Reihe technischer Besonderheiten, die man nur in wenigen VR-Spielen zu Gesicht bekommt: Ich denke an ausladende Landschaften mit kilometerweiter Fernsicht, einen fließenden Tag-Nacht-Zyklus und eine dynamische Lebenssimulation, die in Kombination zu erstaunlichen Momenten führen.

Als ich nach einer Stunde in ein altes Gebiet zurückkehrte, stellte ich verblüfft fest, dass aus einer Reihe gepflanzter Bäume ohne weiteres Zutun ein üppiger Wald entstanden war. Wo sich vor wenigen Tagen noch eine braune Wüstenlandschaft hinzog, versperrten nun haushohe Bäume die Sicht. Toll: Dank eurer Kletterkünste könnt ihr euch mühelos Äste hochhangeln und binnen Sekunden die Baumkrone erreichen, um die Landschaft zu genießen – oder mit Schwindelgefühlen nach unten zu schauen. Winds & Leaves ist dank seiner Natursimulation und pastellfarbenen Naturdarstellung ein wahres Fest für die Augen und einer der schönsten VR-Titel, die ich gespielt habe.

Mit dem Pflanzen von Bäumen ist es nicht getan: Ihr müsst Schneisen durch die Wüste schlagen, neues Saatgut sammeln, Monumente entdecken und Windmaschinen aktivieren. Mehr will ich an dieser Stelle nicht verraten, weil es viel Freude macht, das Spiel und seine Mechaniken selbst zu entdecken.

Winds & Leaves Ferne Landschaft

Beeindruckende Fernsicht wie sie nur ein PC-VR bieten kann. | Bild: Trebuchet

Ich habe circa vier Stunden in dieser Welt verbracht und habe noch viele Gebiete zu erforschen. Eine grundlegende Weiterentwicklung des Regelwerks erwarte ich allerdings nicht – und begrüße das. Die Kunst dieses Spiels besteht darin, dass es einen unterhält, ohne dass man viele oder komplexe Dinge tut. Kämpfen, rätseln, bauen: Klassische Spielmechaniken stehen hier zurück zugunsten eines kontemplativen Spielerlebnisses. Aus welchem Grund auch immer: Solche Spiele funktionieren sehr gut in Virtual Reality.

So schön Winds & Leaves auch ist, es ist nicht frei von Mängeln: Die Fortbewegung und das Interface sind nicht optimal gelöst. Im Spiel bewegt ihr euch auf virtuellen Stelzen fort und indem ihr die Hände abwechselnd hoch- und runterbewegt. Während ersteres unnatürlich wirkt, sollte letzteres heute nicht mehr Standard sein. Das Studio hat die Steuerung der PSVR-Version offenbar unverändert übernommen, ohne VR-Fortbewegung mittels Analogsticks anzubieten.

Auch das Interface ist etwas sperrig. Die um den Avatar hängenden Werkzeuge müssen räumlich kalibriert werden und können in das Sichtfeld ragen, was irritieren kann. Mir gelang es, sie so einzustellen, dass sie die meiste Zeit über nicht stören. An die etwas seltsame Fortbewegung habe ich mich ebenfalls gewöhnt, sodass das Erlebnis dadurch nicht wesentlich getrübt wird.

Wer meditative VR-Spiele mit wunderschöner Grafik, einer beeindruckenden Naturdarstellung und einer geheimnisvollen Aura mag, wird über solche Schwächen gern hinwegsehen und Winds & Leaves lieben lernen.

Dieser Beitrag erschien am 14. Dezember 2021 bei MIXED.

Valve und Virtual Reality: Was ist los und wie geht es weiter?

Die Theorien des Valve-Fans und Youtubers Tyler McVicker haben hohe Wellen geschlagen. Valve sei enttäuscht, wie langsam sich die eigene PC-VR-Plattform SteamVR entwickle und habe sich infolgedessen größtenteils von Virtual Reality abgewandt, behauptet McVicker in einem Youtube-Video. Priorität habe jetzt der Launch der portablen Spielkonsole Steam Deck, die schon jetzt auf weit mehr Resonanz stoßen solle als Valves teures Highend-VR-Produkt.

In einer Stellungnahme wollte Valve die Gerüchte weder bestätigen noch dementieren. Ob sie stimmen, wissen wir demnach nicht. Aber die derzeit herrschenden Marktbedingungen und Valves bisherige VR-Strategie sprechen eher für die Gerüchte als dagegen.

Gabe Newell trägt einen VR-Brillenprototyp.

Valve-CEO Gabe Newell mit einem frühen VR-Brillenprototyp. | Bild: Valve

Es ist kein Geheimnis, dass SteamVR nicht vom Fleck kommt. Das belegen Valves eigene Steam-Statistiken. Dass selbst Half-Life: Alyx nichts am Nischenstatus ändern konnte, könnte intern zu einem Umdenken geführt haben. Ich bin überzeugt, dass Valve das Spiel primär deshalb entwickelte, weil es das Team begeisterte. Ein VR-Titel dieser Größenordnung existierte schlicht noch nicht: Eine AAA-Produktion, die von einem der besten Studios der Welt eigens für Virtual Reality entwickelt wurde und keinen Vergleich mit den besten 2D-Spielen scheuen muss. Valve kann sich solche Projekte leisten.

Aber zugleich wird sich das Unternehmen mehr von Half-Life: Alyx erhofft haben und sich zu schade sein, weiterhin jahrelang an VR-Spielen zu arbeiten, die am Ende nur wenige Fans spielen. Valve hat größere Ansprüche: Gaming umzukrempeln. Aber weder die Valve Index noch Half-Life: Alyx konnten das leisten.

Der Hauptgrund dafür sind die hohen Einstiegshürden. PC-VR ist zu kostspielig und kompliziert für Normalverbraucher. Valve spekulierte, dass herausragende Virtual Reality keinen Preis hat – und irrte sich. Der mit dem Launch von Half-Life: Alyx zusammenfallende Beginn der Pandemie verschlimmerte die Situation noch. Die Valve Index und andere VR-Brillen waren monatelang nicht lieferbar und neue Grafikkarten werden zu Mondpreisen verkauft. Inmitten einer globalen Gesundheits- und Wirtschaftskrise ist PC-VR-Gaming purer Luxus.

Diagramm des SteamVR-Markts.

Meta stellt mittlerweile (Stand: Januar 2022) zwei Drittel aller mit SteamVR genutzten VR-Brillen und knapp jede zweite VR-Brille ist eine Meta Quest 2. | Bild: MIXED.de

In diesem Marktumfeld hatte Meta leichtes Spiel mit Budget-VR. Die konkurrenzlos bepreiste und leicht zu nutzende Quest 2 hat den VR-Markt im Sturm erobert und ist mittlerweile zur Zielplattform der meisten VR-Studios geworden. Wer mit VR-Spielen Geld verdienen will, hat fast keine andere Wahl, als für Metas VR-Plattform zu entwickeln. SteamVR verkümmert derweil, weil immer weniger gute PC-VR-Spiele erscheinen. Die Behauptung, dass der relative Misserfolg von PC-VR und die starke Konkurrenz seitens Meta zu einer Ernüchterung bei Valve geführt haben, ist nicht weit hergeholt.

Ich sehe zwei Wege aus der SteamVR-Misere. Der erste wären massive Investitionen ins PC-VR-Ökosystem und in die Entwicklung PC-VR-exklusiver Spiele. Da Meta diese Sparte praktisch aufgegeben hat und Sony (fast) nur das eigene Playstation-Feld bestellt, bleibt derzeit nur Valve als potenzieller Investor. Wer das Unternehmen kennt und die letzten fünf Jahre aufgepasst hat, weiß, dass sich Valve nicht in dieser Rolle sieht. Während Meta Milliarden ins eigene VR-Ökosystem pumpt und ein VR-Studio nach dem anderen kauft, hat Valve auf ein einziges VR-Spiel gewettet.

Szene mit Combine-Soldaten aus Half-Life: Alyx

Eine Szene aus Half-Life: Alyx. | Bild: Valve

Der zweite Weg wäre ein Frontalangriff auf die Quest 2 mit einer hybriden VR-Brille, die optional an der SteamVR-Bibliothek andockt oder autark ein davon abgekoppeltes eigenes VR-Ökosystem ähnlich Metas VR-Brille nutzt. Ein solches Gerät mit Codenamen Deckard ist Gerüchten zufolge in Entwicklung. Aus der PC-VR-Nische herauswachsen und wirklich erfolgreich werden dürfte eine solche VR-Brille allerdings nur dann, wenn sie ohne Rechner, also autark läuft. Denn zumindest heute gilt: Budget-VR schlägt Highend-VR mit Abstand. Das hat Meta Quest 2 bewiesen. Das Problem ist, dass Valve kein Interesse haben dürfte, ein komplett neues Ökosystem eigens für Virtual Reality aufzubauen. Valves Domäne ist und bleibt das PC-Gaming, weshalb dieser zweite Weg unwahrscheinlich ist.

Im heutigen Marktumfeld hat Valve mehr zu verlieren als zu gewinnen und dürfte daher auf eine spätere und weniger riskante Gelegenheit warten, wieder in den VR-Markt einzusteigen. Das Steam Deck könnte den Weg dahin bereiten. Mit dem Handheld versucht Valve etwas Neues und macht das eigene PC-Ökosystem mobil. Steam Deck und Quest 2 haben etwas gemein: Beide Geräte machen kostspielige Zuspieler überflüssig, um neue Käuferschichten zu erreichen.

Möglich machen das immer leistungsfähigere mobile Chips. Was heute nur mit Mühe und Not umsetzbar wäre, könnte in fünf Jahren Standard sein: dass man PC-VR-Spiele in einer grafisch akzeptablen Qualität auf einer autarken VR-Brille spielen kann. Und wenn dieser Moment gekommen ist, könnte Valve bei VR wieder mehr Umsatzpotenzial sehen.

Valve Index

Valves eigenes PC-VR-System: die Valve Index. | Bild: Valve

Gabe Newell hat klargemacht, dass Virtual Reality eine langfristige Investition ist. Dass sich Valve vorerst auf das Steam Deck konzentriert, liegt nahe: Der Handheld könnte ein wichtiger Pfeiler von Steams Zukunft werden. Die Entwicklung eigener VR-Technologie dürfte derweil weitergehen und mit Valves Plan, PC-Gaming mobil zu machen, eines Tages wieder an Bedeutung gewinnen – sofern Meta der Konkurrenz in der Zwischenzeit nicht davongelaufen ist.

Die VR-Industrie wird eine potenzielle VR-Pause Valves verschmerzen. Denn SteamVR kratzt dank Valves passiv-aggressivem Verhalten bereits heute an der Grenze der Irrelevanz. Meta, Sony und womöglich auch Apple werden in den nächsten Jahren zu den wichtigsten Treibern der Technologie.

Während Meta bis auf Weiteres auf Budget-VR setzen wird, dürfte Sony mit Playstation VR 2 zum Fackelträger des Highend-VR-Gamings werden. Ob das positive Effekte auf SteamVR hat und teure VR-Produktionen ihren Weg auf Valves VR-Plattform finden, bleibt abzuwarten.

Dieser Beitrag erschien am 5. Dezember 2021 bei MIXED.