Man könnte im Computer das bedeutendste technische Medium des 21. Jahrhunderts sehen, ja aufgrund seiner sonderbaren Form, der Form eines Allgemeinen, unter welcher beinahe alles erscheinen kann, sogar behaupten, dass es das letzte technische Medium ist, das der Mensch erfinden wird. Diese Betrachtungen sind folglich nichts anderes als Ausdruck eines Bemühens, sich eine diesem Medium entsprechende Kunstform, aber nicht irgendeine Kunstform, sondern die Kunstform des 21. Jahrhunderts zu denken. Aber weshalb die Frage nach einer Kunstform? Weil die Bestimmung des Lebens als dasjenige, wodurch und wozu es bestimmt ist, in der Entdeckung liegt und die Kunst die höchste Manifestation solcher Entdeckung, die das Wahre, Schöne und Gute in concreto sucht, darstellt. Denn es gibt weder etwas, das über das Wahre, Schöne und Gute hinausginge, noch etwas, wonach man sich an dessen Stelle richten könnte. Darin liegt der Ursprung und die Bedeutsamkeit der ersten und letzten Frage dieser Betrachtungen, ob sich eine Kunstform denken ließe, die zur Grundlage den Computer hat. Der Zweck dieser Betrachtungen liegt folglich darin, eine Antwort auf die zweite Frage jener jungen Wissenschaft zu geben, welcher der unendlichen Möglichkeiten jener Erscheinungen der Vorzug gegeben werden solle. Die Antwort lautet: der Möglichkeit einer Zehnten Kunstform.
§ 92. Der Entwurf einer Zehnten Kunstform als die zweite Aufgabe jener Wissenschaft. Das Wahre, Schöne und Gute als Kriterien dieses Entwurfs
Die Antwort auf die zweite Frage jener jungen Wissenschaft besteht in der Bestimmung der Form, welche die Zehnte Kunstform annimmt. Diese Antwort besteht in einem begrifflichen Entwurf derselben. Ein solcher Entwurf bedarf der Kriterien, die einen brauchbaren Maßstab zur Beurteilung des Entwurfs abgeben und Teil eines Systems sind, aus welchem nicht bloß die Notwendigkeit dieser Kriterien im Einzelnen, sondern auch die Natur des Verhältnisses, das sie zueinander eingehen, einsichtig werden können. Diese Kriterien sind das Wahre, Schöne und Gute, genauer: die Bedingung, dass in dem Entwurf der Zehnten Kunstform zugleich ein Wahres, Schönes und Gutes hervortrete.
§ 93. Bestimmung und Entfaltung der Zehnten Kunstform
Wie nie zuvor wird sich zeigen, dass Philosophie und Kunst Erscheinungsformen ein und desselben höchsten Strebens sind, der Entdeckung des Wahren, Schönen und Guten, wobei sie sich allein darin unterscheiden, welchen Weg sie dabei einschlagen. An der Bestimmung eines Seienden teilzuhaben bedeutet, in abstracto zugleich an dessen Wodurch und Wozu teilzuhaben, an der Entfaltung eines Seienden teilzuhaben bedeutet, in concreto zugleich an dessen Wodurch und Wozu teilzuhaben. Sich an einer Bestimmung der Zehnten Kunstform zu versuchen ist nicht weniger notwendig, als sich an dessen Entfaltung zu versuchen. Gleichermaßen ist das Glück, an der Bestimmung der Zehnten Kunstform teilzuhaben, nicht weniger groß als das Glück, an dessen Entfaltung teilzuhaben. Der Versuch einer Bestimmung der Zehnten Kunstform kann außer nach dessen genauem Gegenteil nach nichts mehr trachten als danach, einen Leitstern abzugeben, der den abenteuernden Grenzgängern auf jenen dunklen Pfaden vorausleuchtet, auf welchen sich die Entfaltung der Zehnten Kunstform vollzieht. Darin zeigt sich nichts weiter als der gerechte Wunsch, dass die Bestimmung an der Entfaltung, die Entfaltung an der Bestimmung teilhabe.
§ 94. Die drei Fragen, welche der Entwurf einer Zehnten Kunstform beantworten muss
Die Kriterien jenes Entwurfs lassen sich zu drei Fragen umformulieren. Die erste Frage, die Dimension des Wahren umgreifend, lautet: Inwiefern vermag die Form, welche dem begrifflichen Entwurf einer Zehnten Kunstform zugrunde liegt, der Form ihres Mediums, mithin der Form eines Allgemeinen zu entsprechen? Die zweite Frage, die Dimension des Schönen umgreifend, lautet: Inwiefern vermag die Form, welche dem begrifflichen Entwurf einer Zehnten Kunstform zugrunde liegt, eine Grundlage abzugeben für die Kunst? Die dritte Frage, die Dimension des Guten umgreifend, lautet: Inwiefern vermag die Form, welche dem begrifflichen Entwurf einer Zehnten Kunstform zugrunde liegt, von Wert zu sein für das Leben?
§ 95. Inhaltliche und formale Kriterien dieser Fragen. Die Gliederung des Entwurfs in drei Teile
Diese Fragen formulieren inhaltliche Kriterien für die Einzeluntersuchungen, die den Entwurf einer Zehnten Kunstform in drei Teile gliedern. Zugleich formuliert das System dieser Fragen ein formales Kriterium für den Entwurf als Ganzes. Denn auf die Fragen im Einzelnen müssen nicht bloß überzeugende Antworten gefunden werden, diese Antworten bedürfen als Ganzes einer inneren Geschlossenheit. Die Fragen stehen nämlich nicht für sich allein, sie bilden eine Einheit, weshalb auch die Antworten zu einer solchen Einheit, einer solchen inneren Geschlossenheit finden müssen, um den Anforderungen der Untersuchung zu genügen.