§ 86. Zur Begriffskritik als der ersten Aufgabe jener Wissenschaft

Jene Wissenschaft hat nicht bei den Erscheinungen des Computerspiels anzusetzen, sondern bei einer grundlegenden Kritik dieser ihrer eigenen Begrifflichkeit. Diese Begriffskritik hat sich nicht gegen den Begriff des Spiels selbst zu richten, sondern gegen jene weitverbreitete Vorstellung, nach welcher alle Computerspiele unter dem Vorzeichen dessen betrachtet werden müssten, dass sie Spiele seien und auf ihren Spielcharakter reduziert werden können. Das Computerspiel hat sich in den Jahren seines Bestehens stetig fortentwickelt und etwas, das neue Möglichkeiten eröffnet, ist durch es hervorgetreten, so dass jenem Paradigma heute nichts weiter als ein Dogma zugrunde liegt, dessen Macht allerdings nach wie vor ungebrochen ist.

§ 87. Analyse des ludischen Dogmas und seiner Fehlschlüsse

Man könnte von einem ludischen Dogma sprechen, das folgende Form annimmt: Computerspiele sind zunächst einmal Spiele und haben folglich auch zunächst einmal Spiele zu sein. Dass Computerspiele zunächst einmal Spiele sind, ist ein Urteil darüber, wie etwas ist. Dass Computerspiele zunächst einmal Spiele zu sein haben, ist ein Urteil darüber, wie etwas sein soll. Die ungebrochene Vorherrschaft dieses Dogmas gründet einerseits darin, dass diese Urteilsformen durcheinandergeraten, so dass man eine Urteil mit dem anderen verwechselt, andererseits darin, dass sie auf unzulässige Weise voneinander abgeleitet werden, so als würde das eine Urteil aus dem anderen folgen. Auf solche Weise entwickelt das ludische Dogma eine allen gegenläufigen Deutungsmächten trotzende Eigendynamik.

§ 88. Weshalb das Computerspiel genaugenommen gar nicht existiert. Über die Unmöglichkeit, für all die mannigfaltigen Erscheinungen, welche jene Wissenschaft beschäftigen, einen geeigneten Begriff zu finden

Damit ist die Begriffskritik nicht abgeschlossen. Worin sie mündet, ist die Einsicht, dass das Computerspiel genau genommen gar nicht existiert. Denn dasjenige, was erscheint, kann durch die Auffassung, es sei ein Computerspiel, nicht nur nicht hinreichend begreiflich werden, der Anspruch des Begriffs selbst, in jenem, was erscheint, eine Einheit zu erkennen, ist unmöglich. Es existiert kein Computerspiel. Was existiert, ist eine Mannigfaltigkeit von Erscheinungen, für die es nicht bloß noch keinen Begriff gibt, sondern für die es keinen Begriff geben kann, es sei denn einen allgemeinsten, mithin leeren Begriff.

§ 89. Das Ziel der Begriffskritik

Wonach die Begriffskritik letztlich strebt, ist der Ausbruch aus einer Dogmatik, die einerseits behauptet, dass etwas allein so ist, die andererseits behauptet, dass etwas allein so sein muss. Was sie ihr entgegensetzt, ist einerseits, dass etwas gerade nicht allein so ist, ist andererseits, dass etwas bloß so sein kann. Hiermit macht sie den Blick frei für ein offenes, noch unentdecktes Land, dessen Reichtum jener unentfalteter Möglichkeiten ist.

§ 90. Die zwei Formen des Fragens jener jungen Wissenschaft nach der Wirklichkeit und nach der Möglichkeit jener Erscheinungen

Ist nach einer Begriffskritik die Freiheit des Blicks wiedererlangt und hiermit die erste Aufgabe jener jungen Wissenschaft erledigt, so treten die beiden strikt zu trennenden Hauptfragen jener Wissenschaft hervor, die Frage nach der Wirklichkeit jener mannigfaltigen Erscheinungen und die Frage nach deren Möglichkeit, genauer: welcher der unendlichen Möglichkeiten der Vorzug gegeben werden solle. In letzterer Frage zeigt sich nebst dem Umstand, dass sie ihren Gegenstand nicht widerspruchsfrei bestimmen kann, eine weitere Besonderheit jener jungen Wissenschaft: dass sie nicht bloß Wirklichkeit beschreibt, sondern nach dessen Möglichkeiten fragt, wodurch ihr letztlich eine gestalterische Aufgabe zukommt, fast so wie dem Bildhauer, der aus dem unbearbeiteten Stein alles herausschlägt, was seiner Vision nicht zuwächst.