§ 108. Weshalb das Computerspiel Schwierigkeiten hat, einen rechten Anfang zu finden

Setzen wir uns zum ersten Mal ins Verhältnis zur Welt, die ein Computerspiel uns darbietet, und handeln wir, denn durch die Handlung ist diese im Wirklichen aufgehende Verhältnisform vornehmlich charakterisiert, so wirft uns dieses Handeln zurück auf etwas, das innerhalb jener Welt, in die wir geworfen werden, noch gar nicht existiert: unsere Absichten, unsere Handlungsgründe, unser Leben als ein Geflecht unüberschaubarer Umstände. All dies kann noch gar nicht existieren, zumal wir an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, in einem anderen Körper wiedererscheinen. Daran liegt es, dass das Computerspiel stets schon Schwierigkeiten damit hatte, einen rechten Anfang zu finden. Zuweilen hat man sich damit zu helfen gewusst, dass man mit einer Amnesie des Alter Ego eingesetzt hat, wodurch die Erfahrung, die wir erleiden, wenn wir diese Welt betreten, mit den Bedingungen im Einklang steht, unter denen das Alter Ego sich innerhalb dieser Welt vorfindet.

§ 109. Was die erzählerische Funktion für das Computerspiel leistet

Die Leistung jener erzählerischen Funktion für das Computerspiel besteht zunächst einmal darin, dass sie seine Welt mit einem Universum geordneter Umstände versieht und damit erst ein Fundament für Handlungsgründe und Absichten schafft. Sie ahmt das Leben nach, innerhalb dessen jede Handlung stets schon in ein Geflecht unüberschaubarer Umstände eingebettet ist.

§ 110. Die Erzählung gründet im Leben, nicht das Leben in der Erzählung

Die erzählerische Funktion ahmt das Leben nach, aber das heißt nicht, dass sie solches selbst ist. Erzählungen sind Kunstwerke und Kunstwerke lassen stets nur Teile eines Ganzen hervortreten. Als Teile eines Ganzen gründen sie in diesem Ganzen und nicht umgekehrt. Das Leben existierte, bevor man sich Geschichten erzählte und aus dem Geschichtenerzählen eine Kunstform machte. Deshalb ist die Auffassung, dass das Leben eine Geschichte sei, irreführend. Die Lebensgeschichte ist vielmehr etwas, das wir aus dem Leben machen, damit dass wir von ihm erzählen und somit einer gestalterischen Ordnung unterwerfen.

§ 111. Die Überbeanspruchung der erzählerischen Funktion im Computerspiel

Im Computerspiel erschöpft sich die erzählerische Funktion allerdings selten darin, dass sie dessen Welt mit einem Universum geordneter Umstände ausstattet. In den meisten Computerspielen ist die erzählerische Funktion so stark ausgeprägt, dass sie dessen Verlauf vollständig bestimmt. Der Handlungsfreiheit sind enge Grenzen gesetzt, etwa so, als würde man von allen Seiten von einer unsichtbaren Wand umgeben. Aber diese Phänomene sind nichts weiter als Erscheinungsformen des Bestimmungsparadoxes, denn derselbe Gegenstand kann nur von einer Bestimmungskraft bestimmt werden, die Bestimmungsmacht muss aufgeteilt werden und die Mauer, die aus solcher Teilung hervorgeht, verläuft geradewegs durch die Mitte des Kunstwerks.

§ 112. Gesetzmäßigkeiten des Bestimmungsparadoxes

Das Bestimmungsparadox beschreibt etwas, das dichotomischer Natur ist. Wurde ein Gegenstand durch eine Bestimmungskraft bestimmt, so ist er hierdurch gleichsam besetzt und die andere Bestimmungskraft vermag ihn nur dadurch neu zu bestimmen, dass sie diese Bestimmung aufhebt. Hieraus ließen sich folgende, eng zusammenhängende Gesetzmäßigkeiten ableiten. Erstens gewinnt eine Bestimmungskraft an Bestimmungsmacht, so büßt die andere selbige ein. Zweitens, je größer der Einfluss einer Bestimmungskraft, desto kleiner wird der Einfluss der anderen. Drittens befindet sich die Bestimmungsmacht der Bestimmungskräfte im Gleichgewicht, so sind die Bestimmungskräfte jeweils im Besitz der halben Bestimmungsmacht, hat sich eine Bestimmungskraft durchgesetzt, so ist diese im Besitz der vollen Bestimmungsmacht.