§ 16. Der Begriff des Mediums ist nur in Abhebung vom Leben zu denken

Der Begriff des Mediums pflegt ein zweifaches, durch und durch widersprüchliches Verhältnis zur Realität. Er grenzt sich nicht bloß von ihr ab, wie man zunächst meinen könnte, nein, er bedarf ihrer, und zwar auf fundamentalste Weise, denn offensichtlich gestand man den technischen Medien die Macht zu, eine eigene Form von Realität zu schaffen, die offensichtlich nur vermöge dessen überhaupt eine eigene Realität sein konnte, als ihr eine Realität zugrunde lag. Man könnte folglich sagen, dass der Begriff des Mediums im doppelten Sinne des Wortes nur in Abhebung vom Leben zu denken ist. Er ist stets von einer Realität her gedacht, zu der er nun, als seiner Quelle, zurückfindet. Denn das Leben ist nun selbst zur Form geworden, sie wird nun als jenes Unsichtbare entdeckt, das sich hinter all jenem, das erscheint, verbirgt.

§ 17. Die Philosophie als Formwissenschaft

Jener Zweig der Medienwissenschaften, welcher der unsichtbar gewordenen Form eines durch ein Medium vermittelten Inhalts nachspürt, hatte sich selbst immer schon als eine Wissenschaft der Form verstanden. Aber es gibt eine andere, sehr viel ältere und umfassendere Wissenschaft, die schlechthin Formwissenschaft ist. Diese heißt Philosophie. Das wohlbekannte Diktum, dass nicht der Inhalt eines Mediums, sondern seine Form dasjenige sei, was untersucht werden müsse, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als der Grundsatz philosophischen Denkens, welche Gestalt er im Einzelnen auch annimmt: als ontologische Frage, als Frage nach dem Grund oder als Frage nach der Bedingung der Möglichkeit, dass etwas erscheint. So gesehen reicht die Medientheorie sehr viel weiter zurück. Denn das Fragen, das sie hervortreibt, war stets ein Fragen nach einem Zugrundeliegenden, einer Form, sei solche durch die Sprache, die Vernunft oder das Seiende als Seiendes selbst geprägt.

§ 18. Weshalb es nichts Unvermitteltes geben kann

Ein Unvermitteltes, ein Ding an sich, lässt sich nicht vorstellen, und zwar bis zu dem Punkt, an dem es schwierig wird, sich ein solches überhaupt zu denken. Denn geht man zurück bis zu den ersten und letzten Dingen, so erscheint bloß noch so etwas wie Geist und erscheint bloß so noch etwas wie Welt, aber sie erscheinen nicht als Größen, die unabhängig voneinander existierten, sondern sie sind zuallererst durch das sonderbare Verhältnis gegeben, das sie zueinander eingehen und das eines der Vermittlung ist, wodurch der Geist unter der Bedingung der Welt, die Welt unter der Bedingung des Geistes erscheint, ohne dass diese Vermittlung selbst gänzlich begreiflich werden könnte.

§ 19. Das Medium, als Leben vorgestellt. Das Leben, als Medium vorgestellt

Dass ich bewusst die Grenzen der Wissenschaften verwische und Dinge zusammenbringe, die nicht zusammengehören, dass ich es als notwendig erachte, vom Allgemeinen und Besonderen, von Geist und Welt zu sprechen, um eine Kunstform zu begreifen, all dies ist Ausdruck eines Denkens, das den Paradigmenwechsel bereits vollzogen hat, der sich mit dem Hervortreten einer Kunstform aufdrängt, welche die allgemeine Form des Lebens annimmt. Die Grenze zwischen dem Begriff des Mediums als dem Künstlichen und Besonderen und dem Begriff des Lebens als dem Natürlichen und Allgemeinen wird sich infolge dieser Entwicklung zwar nicht vollkommen auflösen, aber sie muss begrifflich neu bestimmt werden. Wodurch aber bestimmt sich eine neue Grenze? Eine neue Grenze bestimmt sich dadurch, dass das Medium unter den Bedingungen des Lebens, das Leben unter den Bedingungen des Mediums erscheint, infolgedessen das Medium ein Stück weit als Leben, mithin als ein Natürliches und Allgemeines, das Leben ein Stück weit als Medium, mithin als ein Künstliches und Besonderes, begreiflich wird.

§ 20. Die zwei Fragen einer Formwissenschaft als Fragen nach dem Schein

Dies bedeutet nicht, dass die klassische Frage der Formwissenschaft nach der Differenz von Medium und Leben nicht mehr von Bedeutung ist, denn die Erfahrungen, welche die neue Kunstform bietet, unterscheidet sich in mancherlei Hinsicht von den Erfahrungen des Lebens, auch deshalb, weil sie bloß die Form des Lebens nachahmt und selbst diese unvollständig. Es bedeutet lediglich, dass das Fragen nicht mehr allein in dieser Differenz aufgeht und dass ein Begreifen dessen nottut, worin die allgemeine Form des Lebens als eine Form und nicht als etwas schlicht Gegebenes, Unvermitteltes besteht. Diese Frage fragt nicht nach der Differenz von Medium und Leben, sie fragt nach der Eigengesetzlichkeit des Lebens als einer Vermittlung von Geist und Welt. Beide Fragen haben zum Ziel, hinter den Schein zu gelangen, wobei solcher dadurch zustande kommt, dass die Eigengesetzlichkeit unter weitere, ihr wesensfremde Gesetze tritt, folglich unter veränderten Bedingungen erscheint. Nicht von ungefähr war das formwissenschaftliche Fragen einer Medienwissenschaft oft allein dadurch motiviert, Mechanismen der Suggestion aufzudecken. Dass die Zehnte Kunstform die allgemeine Form des Lebens annimmt, bedeutet nicht, dass sie gegen Missbrauch gefeit ist. Gerade das Gegenteil ist der Fall, und zwar deshalb, weil die allgemeine Form des Lebens die Anmutung eines Natürlichen und Allgemeinen besitzt, sie wird unsichtbar, wodurch sie ein größtmögliches Maß an Suggestionskraft entwickelt. Hieraus lässt sich folgern, dass die Frage nach dem Schein sich für kein Medium mit so viel Nachdruck stellt wie für ein Medium, das die allgemeine Form des Lebens annimmt. Diese Frage aber fragt nach der Eigengesetzlichkeit des Lebens.