§ 53. Die Sprache als erstes Medium

Mit einem solchen Denken einhergehen würde die Vorstellung, dass die Sprache das erste Medium ist, dem alle anderen Medien als defiziente Formen desselben nacheifern müssten. Die Theorie, welche der Ikonischen Wende zugrunde liegt, hat dieses Ungleichgewicht zugunsten einer Unterform des Sinnlichen zu korrigieren versucht, aber indem der Leitbegriff, vom dem solche Theorie ausgeht, derjenige einer Sprache der Bilder ist, anerkennt sie den Vorrang von etwas an, das zunächst einmal im Geistigen aufgeht und läuft damit Gefahr, einen Anspruch zu formulieren, dem sie nicht gerecht werden kann: das Bild als etwas zu erweisen, das über dieselben Kapazitäten verfügt wie die Sprache. Die Kapazitäten des Bildes gründen in der Eigengesetzlichkeit des Sinnlichen und sollten nicht unter dem Vorzeichen einer Verhältnisform erörtert werden, die in geradezu paradigmatischer Weise im Geistigen aufgeht. Doch noch bevor man über die Kapazitäten des Bildes spricht, muss man sich fragen, was man tut, wenn man über die Kapazitäten des Bildes spricht, nämlich über die Kapazitäten des Bildes zu sprechen. Eine Theorie des Bildes nimmt ihren Anfang und ihr Ende genau in dieser Frage, die erkennen lässt, dass der Gegenstand ihres Interesses in einem sehr viel größeren Zusammenhang, demjenigen von Geist und Welt, steht. Denn tut man nicht etwas ganz und gar Sonderbares in der Absicht, das Bildliche unter Zuhilfenahme der Sprache zu charakterisieren, von der sich das Bildliche gerade unterscheiden soll? Ungeachtet des Umstands, dass man gar keine andere Wahl hat, dass man auf das Recht pochen muss, über Bilder zu sprechen?

§ 54. Teilhaftigkeit

Die Vorherrschaft eines Paradigmas des Geistigen zeigt sich auch im Umstand, dass die Sprache kein neutrales tertium comparationis für das Wirkliche, Sinnliche und Geistige kennt, weshalb ich aus der Verlegenheit heraus, die solchem Umstand erwächst, einen eigenen Ausdruck vorschlagen möchte, und zwar denjenigen der Teilhaftigkeit. Das Wirkliche, Sinnliche und Geistige sind also nicht Formen des Begreifens und Erkennens des Lebens, sondern Formen, vermöge welcher wir des Lebens als einer Vermittlung von Geist und Welt teilhaftig werden.

§ 55. Das Wahre, Schöne und Gute

Der Mensch sucht die Entdeckung im Nachvollzug der dialektischen Bewegung. Aber was sucht die Entdeckung? Die Entdeckung sucht das Wahre, Schöne und Gute. Denn es gibt weder etwas, das über das Wahre, Schöne und Gute hinausginge, noch etwas, wonach man sich an dessen Stelle richten könnte. Die Entdeckung des Wahren, Schönen und Guten findet in der Philosophie und Kunst ihre höchste Manifestation. Philosophie und Kunst unterscheidet, dass die Philosophie das Wahre, Schöne und Gute auf dem Weg der Abstraktion entdeckt, während Kunst das Wahre, Schöne und Gute auf dem Weg der Konkretion entdeckt, wobei Philosophie und Kunst mit gleichem Recht Geltung darauf beanspruchen, des Lebens teilhaftig zu sein als einer Entdeckung des Wahren, Schönen und Guten. Das Wahre, Schöne und Gute selbst manifestiert sich in den drei Dimensionen des Lebens: das Wahre vornehmlich im Geistigen, das Schöne vornehmlich im Sinnlichen, das Gute vornehmlich im Wirklichen, weshalb man auch sagen könnte, dass diese der Grund des Wahren, Schönen und Guten sind, ungeachtet dessen, dass das Wahre, das Schöne und das Gute stets in allen drei Dimensionen lebendig sind. Das Wahre, Schöne und Gute ist nicht etwas, das an sich gegeben ist, es ist vielmehr etwas, das aus der Entdeckung selbst hervorgeht als einem Nachvollzug der dialektischen Bewegung, weshalb die Entdeckung niemals zu einem Ende kommt, ja niemals zu einem Ende kommen kann. Denn die Möglichkeit der Entdeckung gründet in ihrer Unendlichkeit.

§ 56. Das Wahre, Schöne und Gute als etwas, das aus der Entdeckung des Göttlichen hervorgeht

Wenn ein Wahres oder Schönes oder Gutes zu Tage tritt, so fasst man ein solches als etwas auf, das von absolutem Wert ist. Doch das Wahre oder Schöne oder Gute ist nicht etwas, das an sich gegeben wäre. Es geht aus der Entdeckung des Göttlichen als dem Nachvollzug der zweifachen Bewegung des Dialektischen hervor, wobei das Wahre als der Widerschein der Entdeckung des Göttlichen auf dem Pfad des Geistigen, das Schöne als der Widerschein der Entdeckung des Göttlichen auf dem Pfad des Sinnlichen, das Gute als der Widerschein der Entdeckung des Göttlichen auf dem Pfad des Wirklichen begreiflich wird. Der absolute Wert des Wahren oder Schönen oder Guten gründet folglich in der Entdeckung des Göttlichen, so dass man im Gegenteiligen eines Wahren oder Schönen oder Guten das Ergebnis einer Beeinträchtigung dieser Entdeckung sehen kann. Die Entdeckung des Göttlichen als Nachvollzug der zweifachen Bewegung des Dialektischen liegt dem Leben als einer Vermittlung von Geist und Welt zugrunde, denn sie stellt sicher, dass der Geist an der Welt und die Welt am Geist teilhat. Diese Vermittlung findet ihre Vollendung darin, dass sowohl der Geist als auch die Welt gleichermaßen geben und empfangen. So tritt das Wahre als Ergebnis einer Vermittlung von Geist und Welt, das Schöne als Ergebnis einer Vermittlung von Wahrnehmung und Wahrgenommenem, das Gute als Ergebnis einer Vermittlung meines Tuns und dem Tun der anderen hervor.

§ 57. Worin das Verhältnis jeder Verhältnisform besteht

Das Leben ist die erste und letzte Verhältnisform. Das Verhältnis, das es eingeht, ist dasjenige von Geist und Welt. Das Verhältnis, das Geist und Welt eingehen, ist dasjenige von Subjekt und Objekt. Da das Leben die erste und letzte Verhältnisform ist, liegt allen anderen Verhältnisformen dasselbe Verhältnis, das Verhältnis von Subjekt und Objekt zugrunde.