§ 132. Der zweite und ästhetische Teil eines Entwurfs der Zehnten Kunstform und die ihm zugrundeliegende Methode. Das Handeln und Erleben als die genuine Form von Erfahrung, welche die Zehnte Kunstform ermöglicht

Während die Aufgabe des ersten Teils darin besteht, die Form der Zehnten Kunstform in abstracto zu bestimmen und diese Bestimmung zu begründen, besteht die Aufgabe des zweiten Teils darin, diese Form in concreto zu denken. Somit gewinnt jene Form erst vermöge des zweiten Teils Gestalt. Worin der zweite Teil eines Entwurfs der Zehnten Kunstform gipfelt, ist eine Ästhetik, eine Ästhetik der allgemeinen Form des Lebens. Diese orientiert sich in der Herangehensweise an ihren Gegenstand an der klassischen Definitionsregel genus proximum et differentia specifica, wonach die Beschaffenheit eines Seienden am besten dadurch begreiflich wird, dass man seine nächstliegende Gattung einerseits, seine ihm eigene Art andererseits beschreibt. Die Ästhetik arbeitet folglich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Zehnten Kunstform und den traditionellen Kunstformen heraus, aber zunächst einmal durch Beschreibung und weniger durch Begriffe. Die These wird lauten, dass das Genuine einer Ästhetik der allgemeinen Form des Lebens im Handeln und Erleben besteht, den Dimensionen des Wirklichen und Sinnlichen entsprechend, die im Welthaften gründen.

§ 133. Die Dimension des Schönen

Die zweite Frage, mit welcher sich der Entwurf einer Zehnten Kunstform zu befassen hat, lautet: Inwiefern vermag die Form, welche dem begrifflichen Entwurf einer Zehnten Kunstform zugrunde liegt, eine Grundlage abzugeben für die Kunst? Dass diese Form eine Grundlage für die Kunst abgeben kann, bedeutet, dass sie das Hervortreten eines Schönen, und zwar eines genuin Schönen ermöglicht. Diese Frage sollte mit der Herausarbeitung einer Ästhetik der allgemeinen Form des Lebens beantwortet sein. Damit wäre für die Zehnte Kunstform erwiesen, dass mit der allgemeinen Form des Lebens ein und ihr Schönes hervortritt. Wogegen sich ein solcher Beweis und im Übrigen die Beantwortung der zweiten Frage richtet, ist die Auffassung, dass die Zehnte Kunstform ihre Vollendung darin finde, bestehenden Kunstformen nachzueifern.

§ 134. Der Begriff der Kunstform. Das Medium als das Fundament der Kunst, die Kunst als der Zweck des Mediums

Jeder Kunstform liegt als ihr Erstes ein Medium zugrunde als eine Einheit von Bedingungen in concreto. Man könnte vom Medium auch als der Materie, die jeder Kunstform zugrunde liegt, sprechen. Jeder Kunstform liegt als ihr Zweites die Kunst zugrunde als eine Einheit von Bedingungen in abstracto. Man könnte von der Kunst auch als der Idee, welche jeder Kunstform zugrunde liegt, sprechen. Die Idee der Kunst besteht darin, dass sie ein ihr zugrundeliegendes Medium mit einem Zweck versieht. Dabei ist es einerlei, ob man sagt, dass die Kunst diesen Zweck hat, oder ob man sagt, dass die Kunst dieser Zweck ist. Der Zweck der Kunst liegt in der Entdeckung eines Wahren, Schönen und Guten in concreto. Das Verhältnis, das Medium und Kunst in der Kunstform zueinander eingehen, ist folgendes: Das Medium ist das Fundament, das der Kunst zuteilwird, die Kunst ist der Zweck, der dem Medium zuteilwird.

§ 135. Zwischen Medium und Kunst

Wie schon im ersten Teil geht es auch im zweiten Teil um die dialektische Neubestimmung des Verhältnisses zweier Begriffe. Die Begriffe, die in ein neues Verhältnis zueinander treten, sind der Begriff des Mediums und der Begriff der Kunst. Die Fragen, die hieraus erwachsen, lauten: Welche Form nimmt das Medium an, wenn ihm der Zweck der Kunst zuteilwird, und welche Form nimmt die Kunst an, wenn ihr das Fundament des Mediums zuteilwird? Sowohl der Begriff des Mediums als auch der Begriff der Kunst geraten durch das Hervortreten einer Zehnten Kunstform in Bewegung. Damit ist das Feld, das die zweite Frage eröffnet und den zweiten Teil eines Entwurfs der Zehnten Kunstform bildet, hinreichend abgesteckt.

§ 136. Zwischen Leben und Kunst. Der dritte und ethische Teil eines Entwurfs der Zehnten Kunstform

Die dritte Frage, mit welcher sich der Entwurf einer Zehnten Kunstform zu befassen hat, lautet: Inwiefern vermag die Form, welche dem begrifflichen Entwurf einer Zehnten Kunstform zugrunde liegt, von Wert zu sein für das Leben? Während die Aufgabe des ersten und zweiten Teils darin besteht, die Form der Zehnten Kunstform in abstracto zu bestimmen und diese Form anschließend in concreto zu denken, besteht die Aufgabe des dritten und letzten Teils darin, nach dem Einfluss zu fragen, 106 den die Zehnte Kunstform auf das Leben hat. Denn alles, was der Mensch tut, ist in das Leben eingelassen. Wir treten ebenso wenig aus dem Leben heraus, wenn wir uns einem Kunstwerk zuwenden, als wir in es eintreten, sobald wir uns vom Kunstwerk abwenden. Das Kunstwerk kann nur vermöge des Lebens auf uns wirken, aber zugleich wirkt es auch auf dasselbe zurück, weil es uns stets eine Vorstellung dessen eingibt, was das Leben ist und sein kann. Wir sehen, dass auch der dritte Teil eine Neubestimmung des Verhältnisses zweier Begriffe notwendig macht, denn mit dem Hervortreten einer Zehnten Kunstform geraten die Begriffe der Kunst und des Lebens in Bewegung. Die Fragen, die hieraus erwachsen lauten: Welche Form nimmt das Leben unter dem Vorzeichen der Kunst und welche Form nimmt die Kunst unter dem Vorzeichen des Lebens an?