Ich habe soeben behauptet, dass die Natur sich durch zwei Eigenschaften auszeichnet, die eine Einheit bilden: die Dimension des Wirklichen und die Dimension des Sinnlichen. Man muss sich vor Augen führen, dass dasjenige, was zu dieser Behauptung Anlass gegeben hat, nicht der Betrachtung der Natur, sondern der Betrachtung eines Artefakts entsprungen ist. Man könnte eine solche Art von Schlussfolgerung für nicht gültig erklären, aber genau genommen stellt sie die Bedingung für so etwas wie eine Wissensgeschichte dar, die nichts weiter als der Nachvollzug der Natur durch Kunst ist, da selbst der sich unendlich fortschreibende Text, in welchem solche Wissensgeschichte vorliegt, ein Artefakt ist. Was sich in jener neuesten Erscheinung abzuzeichnen beginnt, ist somit bloß die historisch gesehen jüngste Form eines Artefakts, dessen Beitrag zur Wissensgeschichte Gegenstand einer Theorie der Zehnten Kunstform ist. Was dieses Artefakt vor allen anderen Artefakten auszeichnet, ist sein Wirkliches. Durch dasselbe vermag das Artefakt in einem bisher nicht für möglich gehaltenen Ausmaße die Form der Welt und das Verhältnis unseres Geistes zu dieser Welt, die allgemeine Form des Lebens, anzunehmen.
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§ 10. Von der Natur zur Kunst. Zum Wandel der Wissensgeschichte
Wollte man die Wissensgeschichte als Nachvollzug einer Dialektik von Natur und Kunst begreifen und diese in Bezug setzen zu den Fragen, die sich mit der Erscheinung einer Zehnten Kunstform stellen, so könnte man zur Beobachtung gelangen, dass diese Wissensgeschichte eine Bewegung von der Vorherrschaft eines Paradigmas der Natur zur Vorherrschaft eines Paradigmas der Kunst vollzogen hat. So war unter dem überwältigenden Eindruck der sie umgebenden Naturgewalten die erste überlieferte Philosophie zunächst Naturphilosophie. Erst in der Neuzeit, als der Mensch sich vermöge der Wissenschaft, Technik und Kunst mehr und mehr der Natur zu bemächtigen begann, entstand allmählich ein Bewusstsein dafür, dass selbiger die Wirklichkeit mitgestaltet, ein Bewusstsein, das in der kopernikanischen Wende der Philosophie mündete. Diese Bewegung hat sich seither fortgesetzt und ihren vorläufigen Höhepunkt in einer Kunstform erreicht, welche die Natur mehr als alle anderen Kunstformen zuvor unter den Bedingungen der Kunst und der Künstlichkeit erscheinen lässt. Das Ende dieser Entwicklung ist damit erreicht, dass die Kunst nicht mehr innerhalb der Natur, sondern die Natur innerhalb der Kunst erscheint. Die Wissensgeschichte gelangt damit an einen Punkt, an welchem das Paradigma der Kunst vorherrschend geworden ist, womit alle philosophischen Fragen, die sich in unserer Zeit stellen, zu Fragen der Kunst geworden sind. Aber mit gleichem Recht kann man sagen, dass die Kunst durch und durch philosophisch wird. Dass es notwendig wird, vom Allgemeinen und Besonderen, von Geist und Welt zu sprechen, um eine Kunstform auch nur im Ansatz begreifen zu können, ist Ausdruck des philosophischen Charakters derselben. Sofern nämlich das Geschäft der Philosophie dasjenige des Allgemeinen ist, kann man die Zehnte Kunstform mit Recht als die philosophischste, als die im eigentlichen Sinne philosophische Kunstform begreifen.
§ 11. Die Frage nach einer Neubeurteilung des Verhältnisses von Natur und Kunst
Alle Fragen, die sich mit dem Hervortreten einer Zehnten Kunstform stellen, münden in die Frage nach einer Neubeurteilung des Verhältnisses von Natur und Kunst. Diese Frage mitsamt all ihrer Teilfragen drängt sich bereits heute auf, und zwar mit der Erscheinung dessen, was man gemeinhin Computerspiel nennt. Denn jedes Fragen setzt ein mit etwas, das erscheint, wobei sich solches gängigen Begriffen entzieht, weshalb es in der Folge auch zum Fragen Anlass gibt.
§ 12. Das technische Medium und die Frage, weshalb man auf den Ausdruck des Mediums zurückgriff, um diese Erscheinungen zu beschreiben
Die Allgegenwärtigkeit technischer Medien hat dazu geführt, dass man im heutigen Sprachgebrauch unter einem Medium vornehmlich ein technisches Medium versteht. Von einem Medium sprach man zwar schon früher, wobei es manches andere bezeichnete, zu der heutigen Verbreitung und Verwendung fand dieser Ausdruck aber erst durch die technischen Medien. Damit ist jedoch nicht geklärt, weshalb man gerade den Begriff des Mediums für geeignet hielt, diese neuen Phänomene zu beschreiben.
§ 13. Das Medium als ein Künstliches und Besonderes, das Leben als ein Natürliches und Allgemeines
Das Medium ist allein aufgrund seines technischen, d.h. künstlichen Charakters und dem Umstand, dass es die Realität bloß ausschnitthaft wiedergibt, dem Leben als einem Natürlichen und Allgemeinen entgegengesetzt, in das es, wie alles Seiende, eingelassen ist. Als eine menschliche Hervorbringung, als Artefakt stellt es jedoch etwas dar, das Realität selbst zu formen vermag. Man könnte sogar sagen, dass das Aufkommen dieses Ausdrucks genau diesem Umstand Rechnung getragen hat: dass sich innerhalb der vertrauten Realität eine Realität der Medien Bahn bricht. Je näher sich nun deren Inhalte, die zweifellos vermittelt sind, den unvermittelten Inhalten annähern, desto größer wird das Problem, dass ein Seiendes scheinbar ganz als es selbst erscheinen kann, obwohl es in Wirklichkeit durch etwas vermittelt ist, folglich gerade nicht ganz als es selbst erscheint. Die Vermittlung beginnt folglich mehr und mehr in den Hintergrund zu treten, sie büßt ihre Sichtbarkeit ein, woraus zuallererst die Dringlichkeit einer Frage nach der Form entspringt, welche die Vermittlung annimmt. Deshalb ist der Gegenstand des Interesses auch nie der Inhalt, sondern stets die Form eines Mediums gewesen, welche das Medium als dasjenige, was dessen Inhalt zugrunde liegt, selbigem aufprägt.