§ 65. Der Vorrang einer Verhältnisqualität als Bedingung für die Dichte einer Verhältnisform

Ahmt eine Kunstform die Verhältnisform des Lebens nach, so ahmt sie dasjenige nach, was ich die allgemeine Form des Lebens nenne. Solches muss sie jedoch keineswegs. Das Wesen der Kunst gründet seit jeher in der Freiheit, sich von dieser ersten und letzten Verhältnisform zu lösen, indem sie sich der Möglichkeit bedient, deren Gestalt und Umfang neu zu definieren und auf diese Weise zu unentdeckten Verhältnisformen eigenständigen Charakters zu gelangen. So hat sich die Musik von der allgemeinen Form des Lebens allein schon dadurch gelöst, dass sie den Schwerpunkt auf eine andere Verhältnisqualität, diejenige des Sinnlichen, gelegt hat. In ihr wird eine andere Verhältnisqualität als die des Wirklichen dominant, was dafür spricht, dass der Vorrang einer Verhältnisqualität innerhalb einer Verhältnisform eine notwendige Bedingung dafür ist, dass die Verhältnisform eine Dichte entwickelt. So gesehen konzentrieren sich Kunstformen stets auf eine Verhältnisqualität, wodurch sie in der Lage sind, deren Eigenheiten herauszuarbeiten.