Das Regelwerk des Spiels erscheint mit dem Computerspiel unter den Bedingungen der Form eines Allgemeinen und wird infolgedessen auf die Welt hin erweitert, was sich daran zeigt, dass die Spielregeln als etwas, das einer Ausführung bedarf, mehr und mehr in den Hintergrund treten. Sie sind zu den Gesetzen der Welt selbst geworden und treten als solche gar nicht mehr ins Bewusstsein. Das Computerspiel hat immer schon dasjenige durchbrochen, was Huizinga den Zauberkreis nannte und worin er eines der Grundmerkmale des Spiels sah, die künstliche Abgrenzung des Spiels gegen das Leben. Denn der Schauplatz des Computerspiels war immer schon die Welt und das, was man in Computerspielen tat, war stets auch etwas Konkretes gewesen. Dies verdankt sich gewiss auch dem Umstand, dass das Computerspiel auf einem Bildschirm, folglich innerhalb eines gerahmten Bildraums erschien, der die Welt darzustellen vermochte, weshalb man es mit Recht auch Video-Spiel nannte: das Spiel, das ich sehe. Bildlichkeit war seit jeher ein zweitrangiges Merkmal der Spiele. Man denke an das Schachspiel, das durch seine Metaphorik des Krieges nichts Wesentliches hinzugewinnt. Mit dem Computerspiel als einer eigenständigen Form von Spiel ist dies anders geworden, denn was es zeigt, ist die Welt und die Welt ist sein Schauplatz.
§ 82. Die Erweiterung des zweiten Strukturelements. Von der Spielhandlung zu einem allgemeinen Handlungsbegriff
Dadurch, dass das Regelwerk des Spiels auf die Welt hin erweitert wird, erweitert sich auch sein Handlungsbegriff. Was man innerhalb eines Spiels tut, hat folglich die Form eines Allgemeinen angenommen: man errichtet ein Haus, man geht auf Entdeckungsreisen, man treibt Geschäfte.
§ 83. Die Erweiterung des dritten Strukturelements. Vom Spieler zum Menschen
Wie die Erweiterung des ersten Strukturelements mit einer Erweiterung des zweiten Strukturelements einhergeht, so geht die Erweiterung des zweiten Strukturelements mit einer Erweiterung des dritten Strukturelements einher. Vermöge der Erweiterung des Handlungsbegriffs geht der Spieler mehr und mehr darin auf, etwas sehr viel Allgemeineres, nämlich Mensch zu sein. Damit ist dem Umstand Rechnung getragen, dass das Computerspiel weitaus mehr Dimensionen menschlichen Seins zur Entfaltung bringt als das Spiel. So können Fragen moralischer Natur zu einem zentralen Element des Computerspiels werden. Das Computerspiel als eine eigenständige Form von Spiel entdeckt den Menschen und im Computerspiel entdeckt der Mensch sich.
§ 84. Die Leistung des Computerspiels als einer eigenständigen Form von Spiel besteht darin, das Leben unter dem Vorzeichen des Spiels zu denken
Das Computerspiel trägt einen Konflikt aus, denn es öffnet sich zur Welt hin, aber zugleich verschließt es sich ihr, um seinen Spielcharakter zu bewahren. Man könnte sagen, dass die Leistung des Computerspiels als einer eigenständigen Form von Spiel genau darin besteht, den Spielbegriff wesentlich erweitert zu haben, ohne ihn ganz preiszugeben. Darin gründen seine Einzigartigkeit und sein Erfolg, dass es den magischen Zirkel nicht durchbrochen, sondern gleichsam über die Welt gestülpt hat. Damit lässt es das Leben unter dem Vorzeichen des Spiels erscheinen, es begreift das Leben als Spiel.
§ 85. Das Spiel als eine Form des Lebens und die Grenzen des ludologischen Zugriffs
Wie der Begriff des Mediums ist der Begriff des Spiels äußerst dehnbar und in dieser Elastizität gründet seine eigentümliche Kraft. Dass Caillois von agon, alea, ilinx und mimikry als den Dimensionen des Spiels spricht, zeugt davon, dass er unter dem Spiel etwas versteht, das sehr viel allgemeinerer Natur ist als der engere Spielbegriff der Ludologie. Das Spiel ist eine Form des Lebens, aber solches spricht nicht für das ludologische Paradigma, sondern gegen es. Es zeigt sich nämlich, dass das Computerspiel zu etwas hinstrebt, von dem her es erst begreiflich werden kann. In solcher Gestalt entpuppt sich das Computerspiel nicht als eine Erscheinungsform des Spiels, sondern als Erscheinungsform eines Allgemeinen, des Lebens und seiner allgemeinen Form. Das Medium, das dem Computerspiel zugrunde liegt, führte zu einer Verallgemeinerung des Spielbegriffs und in dieser Verallgemeinerung besteht das Eigenständige dieser eigenständigen Form von Spiel und der eigentliche Gegenstand jener jungen Wissenschaft. Dieses Eigenständige aber ist etwas, das sich mit einer engeren Auffassung dessen, was ein Spiel ist, nicht vollständig auslegen lässt.