VR-Zeitreisen sind noch immer faszinierend

Ich hatte an diesem Wochenende Zeit, mir einige neue und alte VR-Apps anzuschauen, und Wander hat bei mir den stärksten Eindruck hinterlassen.

Wander bringt Google Street View in die Virtual Reality und macht damit fast die ganze Welt virtuell begehbar. Mithilfe von VR taucht man in die 360-Grad-Ansichten ein und kann per Knopfdruck einer Straße folgen und binnen Sekunden von einem Ort auf der Welt zum nächsten teleportieren. Die Benutzeroberfläche ist intuitiv gestaltet und dank Spracherkennung kann man viele Orte ohne mühseliges Tippen finden.

Die Nutzeroberfläche von Wander. | Bild: Parkline Interactive

Das herausstechendste Feature der VR-App ist die Zeitreisefunktion. Wurden im Laufe der Jahre mehrere Street-View-Ansichten eines geografischen Standpunkts erstellt, kann man zwischen diesen wechseln und sieht dabei die Straße, auf der man sich gerade befindet, wie sie vor einem, drei, zehn oder noch mehr Jahren ausgesehen hat.

Ich wanderte vor nunmehr acht Jahren aus und besuchte die Straße, in der ich seither wohne und in der sich seit 2016 einiges verändert hat. Der Anblick der alten Straße löste starke Gefühle in mir aus. Neugierig geworden, reiste ich noch weiter zurück, bis ins Jahr 2011. Wenn man einen Ort so gut kennt, kann man sich gar nicht vorstellen, dass es ihn gab, bevor man ihn verinnerlicht hat. Ich suchte auch das Elternhaus auf und sah ein Waldstück aus meiner Kindheit, das vor zehn Jahren zwei Supermärkten und einer Tankstelle weichen musste. Auch die Einfahrt hatte sich verändert und andere Wohnhäuser waren hinzugekommen.

Mit Wander lasse ich 15 Jahre in einer Sekunde verstreichen. Aber erscheint die Vergangenheit im Rückblick nicht immer, als wäre sie einem Augenblick vergangen?

Dieser Beitrag erschien am 17. Juni 2024 bei MIXED.

Meta Horizon OS: Was steckt hinter Metas jüngstem VR-Schachzug?

Meta gab gestern drei wichtige Neuigkeiten bekannt:

Erstens: Hardware-Hersteller können zum ersten Mal das Betriebssystem der Meta Quest lizenzieren und eigene Headsets auf Basis von Meta Horizon OS auf den Markt bringen. Erste OEM-Partner sind Asus, Lenovo und Xbox.

Zweitens: Meta will die Barrieren zwischen dem Quest Store, der nun Meta Horizon Store heißt, und dem unkuratierten App Lab, abbauen. In einem ersten Schritt werden App-Lab-Titel einen eigenen Bereich im Meta Horizon Store erhalten, sodass sie zukünftig leichter gefunden werden können.

Drittens: Meta arbeitet an einem „Spatial Framework“, das es Entwickler:innen erleichtern wird, Smartphone- und Tablet-Apps für Meta Horizon OS herauszubringen.

Alle drei Schritte haben einen Zweck: Die Attraktivität von Metas XR-Ökosystem zu steigern und damit den Druck auf die drohende Konkurrenz seitens Apple und Google zu erhöhen. Doch warum erst jetzt?

Meta wird sein Quest-Betriebssystem zum ersten Mal an OEMs lizenzieren. | Bild: Meta

Meta ist nicht mehr unangefochten. Im Februar stieg Apple in den VR-Markt ein und Google könnte bis Ende des Jahres mit Hardware-Partner Samsung in den Ring steigen. Alle drei Unternehmen wollen XR beherrschen, indem sie ein marktführendes Betriebssystem samt Store etablieren. Zuckerberg spricht seit Längerem davon, in Abgrenzung zu Apple ein „offenes Modell“ nach dem Vorbild von Windows und Android anzustreben und sieht darin ein wichtiges Verkaufsargument für Meta. Tatsächlich verfolgt Apple mit visionOS, dem Betriebssystem der Vision Pro, ein Produkt, das sich nur auf Apples Ökosystem erstreckt, aber hochgradig dafür optimiert ist.

Im Mai könnte Google auf der eigenen Entwicklerkonferenz ein XR-Betriebssystem für Headsets vorstellen, auf dessen Basis Samsungs kommendes Mixed-Reality-Headset und womöglich weitere OEM-Headsets laufen werden. Mit der Neuigkeit, das Quest-Betriebssystem für andere Hardware-Hersteller zu öffnen, kommt Meta Googles Ankündigung zuvor und kann mit Asus, Lenovo und wahrscheinlich auch LG bereits drei Hardware-Partner vorweisen. Weit mehr als Google.

Mit der zweiten großen Neuigkeit, dass Meta die Barrieren zwischen dem Meta Horizon Store und App Lab abbauen will, sendet Meta ein wichtiges Signal an Entwickler. Metas langfristiges Ziel ist, das App Lab gänzlich abzuschaffen und in einen einheitlichen Store zu überführen, der die offeneren Anforderungen des App Lab übernimmt. Der Meta Horizon Store wird dann weniger Konsolen-Stores als dem App Store und Google Play Store ähneln, wodurch Meta endlich mit der Konkurrenz mitzieht. Zudem steigt die Attraktivität von Metas XR-Ökosystem für Entwickler, da sie ihre Kundschaft in Zukunft besser erreichen können.

Die Ankündigung eines „Spatial Framework“ für Meta Horizon OS kam zuletzt, scheint mir aber enorm wichtig für Metas Strategie im kommenden Plattformkrieg. Vision Pro unterstützt durch visionOS Millionen von iOS- und iPad-Apps, während Samsungs kommendes Headset mit Googles XR-Betriebssystem den Google Play Store und Millionen von Android-Apps unterstützen dürfte. Eine der bis dato größten Schwächen von Meta Horizon OS ist, dass es abseits von Metas eigenen Apps wie Facebook, Instagram und Whatsapp nur eine Handvoll mobiler Apps unterstützt. Das Spatial Framework dürfte Metas Mittel werden, dieses Problem anzugehen.

So stellte sich Meta spezialisierte Horizons-OS-Headsets vor. | Bild: Meta

Das Spatial Framework soll es Entwicklern so leicht wie möglich machen, ihre mobilen Apps für Meta Horizon OS herauszubringen. „Ganz gleich, ob Sie eine bestehende Anwendung übertragen oder eine neue von Grund auf entwickeln wollen, dieses neue Framework sollte die Arbeit erleichtern, indem es Ihnen die Verwendung von Tools ermöglicht, mit denen Sie bereits vertraut sind“, schreibt Meta.

Die Unterstützung mobiler Apps wird im XR-Plattformkrieg eine große Rolle spielen. Nutzer wollen sich nicht vom Smartphone-Ökosystem abkoppeln, sobald sie ein Headset aufsetzen. Meta bat Google, den Play Store auf Meta Horizon OS zu bringen und bot Google an, die Einnahmen aus dem Store zu behalten. Google wiederum wollte Meta als Partner für das eigene XR-Betriebssystem gewinnen, was mit einer Aufgabe von Meta Horizon OS einhergegangen wäre. Meta schlug das Angebot aus. Der Google Play Store dürfte daher Googles XR-Betriebssystem und Samsungs Headset vorbehalten bleiben, da dieser ein Verkaufsargument für die Plattform ist.

Wie offen Meta Horizon OS am Ende sein wird, muss sich zeigen. Alle Headsets, die Meta Horizon OS nutzen, setzen ein Meta-Konto voraus und Meta wählt seine Hardware-Partner derzeit sorgfältig aus, wahrscheinlich um eine Flut an Produkten zu vermeiden und ein gutes Zusammenspiel von Soft- und Hardware sicherzustellen. Ohnehin dürften die neuen Headsets noch eine Weile auf sich warten lassen. Laut Mark Zuckerberg wird es wahrscheinlich „ein paar Jahre“ dauern, bis einige dieser Produkte auf den Markt kommen.

Die größte Frage für mich ist, was sich OEMs davon versprechen, eigene Headsets auf Basis von Meta Horizon OS auf den Markt zu bringen. Die Software-Erlöse des Meta Horizon Store gehen an den Plattformbetreiber Meta und an der Hardware dürften die OEMs kaum etwas verdienen, da die Nachfrage nach spezialisierten Headsets (Zuckerberg nennt Produktivität, Medienkonsum, Gaming und Fitness als Beispiele) überschaubar sein dürfte. Darüber hinaus hat Meta Headset-Preise in einen Bereich gedrückt, in dem kaum noch Gewinne zu erzielen sind.

Dieser Beitrag erschien am 23. April 2024 bei MIXED.

 

Wo steht VR im Jahr 2040? Jesse Schell zieht einen interessanten Vergleich

Jesse Schell ist Buchautor und Gründer von Schell Games, das seit 2016 mehrheitlich VR-Spiele entwickelt. Das Studio schuf die Escape-Room-Spiele I Expect You To Die, das Nahkampf-Roguelite Until You Fall und eine VR-Version von Among Us. Derzeit arbeitet das Studio an der Vampirjäger-Simulation Silent Slayer.

Schell ist bekannt für seine gewagten Prognosen. 2015 machte er 40 Vorhersagen zur Entwicklung der VR-Industrie, die ich 2019 auf den Prüfstand stellte. Rückblickend zeigt sich, dass Schell in vielen seiner Prognosen zu optimistisch war.

Seine neueste Einschätzung ist nüchterner und realistischer. Schell geht nicht davon aus, dass VR bis 2040 die Welt erobern wird. Vielmehr werde VR aus der Nische herauswachsen und sich als eine bedeutende Unterkategorie des Gamings etablieren.

Jesse Schell sagte Folgendes in einem Interview mit Gamesindustry.biz:

„Ich werde keine Prognosen für die Zeit nach 2040 abgeben, aber ich würde sagen, dass VR in den nächsten 15 Jahren das Potenzial hat, etwa 15 Prozent der Spieleindustrie auszumachen. Das ist ein gesunder Anteil. Das ist nicht nichts. Ich glaube nicht, dass VR größer sein wird als das. Wird VR in diesem Zeitraum die Flachbildschirme verdrängen? Das glaube ich nicht, aber ich glaube, dass es ein gesunder Teil der Branche sein wird.“

Er zieht außerdem einen interessanten Vergleich:

„Kinofilme sind spektakulärer. Sie bieten eine größere Leinwand, ein größeres Geschehen, aber sie sind nicht das, was dominiert. Sie sind nicht praktisch. Ich denke, mit VR ist es dasselbe. VR ist spektakulärer, immersiver, spannender, intensiver, emotionaler, aber es gibt auch Elemente, die nicht so alltagstauglich sind. Es wird nicht der größte Teil der Industrie sein, sondern nur der immersivste Teil.“

Dieser Beitrag erschien am 19. April 2024 bei MIXED.

Zehn Jahre Oculus-Übernahme: Wo die VR-Branche heute steht

Am 25. März 2014 kündigte Facebook die Übernahme des Start-ups Oculus an, das sich auf VR-Technologie spezialisierte. Die Akquisition kostete Facebook drei Milliarden US-Dollar.

Inzwischen ist viel passiert. Der erste Anlauf, in den Mainstream zu gelangen, ist gescheitert: 2020 gab Meta die PC-VR-Sparte größtenteils auf und setzte stattdessen auf autarke VR-Headsets. Das war im Rückblick die richtige Entscheidung: Meta Quest hat sich seither knapp 20 Millionen Mal verkauft und zum ersten Mal ein VR-Ökosystem geschaffen, von dem viele Studios und Entwickler leben können. Es ist schwer, sich vorzustellen, wo Virtual Reality ohne Facebooks Einfluss heute wäre.

Das Unternehmen hat viel in die Waagschale geworfen und sich 2021 sogar in Meta umbenannt, um seine Metaverse-Vision zu untermauern. Mit der Umbenennung wurde der Markenname Oculus, der bis heute für viele Menschen ein Synonym für Virtual Reality ist, aufgegeben. Oculus Quest heißt seither Meta Quest. Die Marke Oculus lebt heute nur noch in Metas Software-Bemühungen weiter: den Oculus Studios (Metas VR-Studios) und Oculus Publishing (Metas VR-Publisher). Der letzte Oculus-Gründer verließ Facebook 2019.

Metas VR/AR-Forschungsabteilung feiert 2024 sein zehnjähriges Bestehen. | Bild: Meta

Metas VR-Geschäft ist nach zehn Jahren noch immer ein Verlustgeschäft. Zwar knackte Meta im vierten Quartal 2023 zum ersten Mal die Marke von einer Milliarde US-Dollar Umsatz, doch der Verlust beträgt ein Vielfaches dieses Beitrags. Insgesamt hat Mark Zuckerberg in den vergangenen zehn Jahren weit über 50 Milliarden US-Dollar in seine Metaverse-Vision investiert. Mehr als die Hälfte dieses Betrags floss in die Entwicklung von AR-Technologie.

Im Herbst dieses Jahres könnte Meta zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorstellen, woran es all diese Jahre im Geheimen gearbeitet hat: eine vollwertige AR-Brille, die mit einem neuronalen Armband gesteuert wird.

Meta hat heute ein Quasi-Monopol auf dem VR-Markt inne. Das ist die Schattenseite der VR-Erfolgsgeschichte der letzten Jahre. Meta hat durch aggressive Subventionierung unrealistische Preiserwartungen geschaffen und Mitbewerber aus dem Markt gedrängt. Da das Meta-Quest-Ökosystem die Lebensader der Industrie ist, ist die Mehrheit der Studios von Metas Wohlwollen abhängig, ein Machtgefälle, das missbraucht werden kann und wurde.

Wenige Wochen vor dem zehnten Jahrestag der Oculus-Übernahme geschah etwas, das im Rückblick mindestens ebenso wichtig sein dürfte: Apple betrat den VR-Markt. Das Unternehmen hat viel Aufholarbeit vor sich und wie viel Durchhaltewillen es hat, muss sich erst noch zeigen. Virtual Reality könnte auch die nächsten zehn Jahre ein Verlustgeschäft bleiben, für Meta und für Apple.

Wichtig ist, dass Meta einen ernsthaften Konkurrenten mit einer starken, eigenen Vision bekommt und nach allem, was wir bisher von Vision Pro gesehen haben, dürfte Apple perfekt in diese Rolle passen.

Dieser Beitrag erschien am 26. März 2024 bei MIXED.

Meta Quest 3 schlägt frühere Headsets in einem wichtigen Punkt

Metas Director of Content Ecosystem Chris Pruett sagte auf einem GDC-Vortrag, dass Quest-3-Nutzer eine bessere Bindungsrate als frühere Meta-Headsets aufweisen. Die Bindungsrate beschreibt den Anteil der Kunden, die ein Produkt über längere Zeit wiederholt nutzen und ist ein wichtiger Erfolgsfaktor von VR-Headsets. Nur wer die Geräte regelmäßig nutzt, gibt Geld für VR-Apps aus und hält das Ökosystem am Leben.

Meta hat knapp 20 Millionen VR-Headsets verkauft (gilt für Quest, Quest 2 und Quest Pro, Stand: Februar 2023). Die Frage ist, wie viele dieser Headsets tatsächlich genutzt werden. John Carmack deutete 2021 an, dass viele Geräte im Schrank verschwinden. Einem Bericht zufolge hatten Quest-Headsets im Oktober 2022 6,37 Millionen monatlich aktive Nutzer:innen, was circa einem Drittel der verkauften Geräte entspricht.

Die Antworten liegen wohl in den Alleinstellungsmerkmalen der Hardware: dem wesentlich schnelleren Chipsatz, der für ein flüssigeres Nutzungs- und Spielerlebnis sorgt, den klareren Pancake-Linsen und dem schmaleren Formfaktor, der zum verbesserten Tragekomfort beiträgt. Quest 3 bietet außerdem schärferes Passthrough in Farbe, wodurch das Gerät weniger von der Umgebung isoliert. Nutzer könnten aus demselben Grund auch häufiger auf Mixed-Reality-Apps zugreifen, von denen es mittlerweile mehr als 100 im Quest Store gibt. Meta Quest 3 könnte auch eine bessere Bindungsrate aufweisen, weil es ein teureres Gerät ist und vor allem Enthusiast:innen anspricht, die mehr Zeit in Headsets verbringen.

Mit der höheren Bindungsrate sendet Quest 3 ein positives Signal an die Industrie. Bei der Entwicklung von Quest 4 wird Meta in den Bereichen nachlegen, die für die Bindungsrate als relevant erachtet werden.

Dieser Beitrag erschien am 26. März 2024 bei MIXED.