Dass das Bestimmungsparadox beim Computerspiel so stark in den Vordergrund tritt, liegt daran, dass es zwei Ansprüchen genügen muss: sowohl Spiel als auch Erzählung zu sein. Die Schwierigkeit einer Synthese dieser beiden kulturellen Paradigmen besteht darin, dass das Spiel dahin strebt, dass man einen Gegenstand bestimmt, während die Erzählung dahin strebt, dass sie einen Gegenstand bestimmt. Die Erwartung, dass ein Kunstwerk beiden Ansprüchen gerecht werden müsse, stellt sich hier in einer bisher nicht dagewesenen Radikalität, die letztlich in der Hoffnung gipfelt, eine neue Einheit von Freiheit und Form zu gewinnen.
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§ 106. Der Computer als universales Ausgabegerät
Doch wie kam es eigentlich zu dem Anspruch, dass das Computerspiel eine Erzählung sein oder zumindest erzählerische Elemente enthalten müsse? Ein erster Grund kann im zugrundeliegenden Medium und dessen sonderbarer Natur gefunden werden. Der Computer kann Grundlage jeder anderen Kunstform werden in dem Sinne, dass er die Bedingungen bereitstellt, unter welchen die Kunstwerke erscheinen können. Der Computer kann und wurde folglich als ein universales Ausgabegerät gesehen, welches dadurch, dass es Kunstwerke erscheinen lässt, als etwas wahrgenommen wird, das in der Tradition der Kunst steht, woraus der Anspruch erwächst, dass es dasjenige, was es erscheinen lässt, einer gestalterischen Ordnung unterwirft.
§ 107. Die Funktion der Erzählung
Doch was ist es, das die Erzählung einer gestalterischen Ordnung unterwirft? Das Leben als eine zeitliche Folge von Handlungen. Handlungen gehen Absichten und Absichten gehen Handlungsgründe voraus, aber was Handlungsgründen vorausgeht, ist das Leben als ein Geflecht unüberschaubarer Umstände, in das Handlungsgründe eingebettet sind und aus dem heraus sie erst Gestalt gewinnen. Eine bedeutende Funktion der Erzählung bestand seit jeher darin, dieses Geflecht einer gestalterischen Ordnung zu unterwerfen und Handlungen damit einen Sinn und eine Einheit zu geben.
§ 108. Weshalb das Computerspiel Schwierigkeiten hat, einen rechten Anfang zu finden
Setzen wir uns zum ersten Mal ins Verhältnis zur Welt, die ein Computerspiel uns darbietet, und handeln wir, denn durch die Handlung ist diese im Wirklichen aufgehende Verhältnisform vornehmlich charakterisiert, so wirft uns dieses Handeln zurück auf etwas, das innerhalb jener Welt, in die wir geworfen werden, noch gar nicht existiert: unsere Absichten, unsere Handlungsgründe, unser Leben als ein Geflecht unüberschaubarer Umstände. All dies kann noch gar nicht existieren, zumal wir an einem anderen Ort, zu einer anderen Zeit, in einem anderen Körper wiedererscheinen. Daran liegt es, dass das Computerspiel stets schon Schwierigkeiten damit hatte, einen rechten Anfang zu finden. Zuweilen hat man sich damit zu helfen gewusst, dass man mit einer Amnesie des Alter Ego eingesetzt hat, wodurch die Erfahrung, die wir erleiden, wenn wir diese Welt betreten, mit den Bedingungen im Einklang steht, unter denen das Alter Ego sich innerhalb dieser Welt vorfindet.
§ 109. Was die erzählerische Funktion für das Computerspiel leistet
Die Leistung jener erzählerischen Funktion für das Computerspiel besteht zunächst einmal darin, dass sie seine Welt mit einem Universum geordneter Umstände versieht und damit erst ein Fundament für Handlungsgründe und Absichten schafft. Sie ahmt das Leben nach, innerhalb dessen jede Handlung stets schon in ein Geflecht unüberschaubarer Umstände eingebettet ist.