§ 77. Das Computerspiel als eine eigenständige Form von Spiel

Aber wenn das Computerspiel kein Computer-Spiel bezeichnet, was bezeichnet es dann? Das Computerspiel bezeichnet dasjenige, was aus dem Spiel hervorgeht, wenn es auf der Grundlage jenes neuen Mediums erscheint. Denn tritt etwas in ein Medium ein, erscheint es auf dessen Grundlage, so erscheint es unter anderen Bedingungen und nimmt infolgedessen eine neue Gestalt an. Das Computerspiel bezeichnet also nichts weiter als eine eigenständige Form des Spiels, wobei sich diese Eigenständigkeit dem Medium verdankt, auf dessen Grundlage es erscheint: dem Computer. Wofür sich die junge Wissenschaft folglich interessierte, wären nicht Computer-Spiele, sondern Computerspiele als eine eigenständige Form von Spiel.

§ 78. Die Frage nach dem Computerspiel als formwissenschaftliche Frage nach dem Eigenständigen besagter eigenständiger Form von Spiel

Aber auch diese Charakterisierung bleibt vage, weshalb ich vorschlage, den Gegenstand des Interesses folgendermaßen zu bestimmen: Dasjenige, wofür sich die Wissenschaft interessiert, ist das Eigenständige dieser eigenständigen Form des Spiels, mithin dasjenige, was unter dem Einfluss des Mediums mit dem Spiel geschieht. Dieses Fragen ist ein formwissenschaftliches Fragen, denn es fragt nach der Form, die ein Medium seinem Inhalt aufprägt. Als ich das Computer-Spiel als den Gegenstand des Interesses jener jungen Wissenschaft ausschloss, hatte ich bereits formwissenschaftlich argumentiert. Wenn ich das Computerspiel nun gleichermaßen davon ausschließe, so geschieht dies aus einem noch radikaleren formwissenschaftlichen Anspruch heraus, weil ich der Auffassung bin, dass nur die formwissenschaftliche Frage zu Tage fördern kann, was der eigentliche Gegenstand des Interesses ist. Nicht eine eigenständige Form des Spiels, sondern bloß das Eigenständige dieser eigenständigen Form des Spiels, mithin dasjenige, was unter dem Einfluss des Mediums mit dem Spiel geschieht.

§ 79. Der Vorrang der Frage nach dem Medium

Die Frage nach dem Computerspiel als einer eigenen Form des Spiels wird folglich mehr und mehr zu einer Frage nach dem Medium, dem es zugrunde liegt. Ich glaube, dass dasjenige, was auf der Grundlage dieses Mediums erschienen ist, nicht bloß eine eigene Form des Spiels darstellt, sondern stets schon etwas anderes, das den Spielbegriff transzendiert und in der sonderbaren Natur des Mediums gründet und genau dieses andere bildet den eigentlichen Gegenstand des Interesses jener Wissenschaft, dasjenige, worauf sie zurückkommen muss, um die Erscheinungen zu verstehen, die sie beschreibt. Der Begriff des Spiels ist für eine Untersuchung dieser Erscheinungen zwar wesentlich, aber seiner Bedeutung nach dem Computer als jenem anderen Bestandteil des Kompositums, unter welchem diese Erscheinungen gemeinhin zusammengefasst werden, gleichwohl nachgeordnet.

§ 80. Die Verallgemeinerung des Spiels

Jenes andere, das im Computerspiel seit jeher hervordrängt und den Spielbegriff transzendiert, ist die Form eines Allgemeinen, die in seinem Medium, dem Computer, gründet, weshalb das Eigenständige dieser eigenständigen Form von Spiel sich in der Verallgemeinerung des Spiels kundtut, die in der Erweiterung seiner Strukturelemente besteht: der Spielregeln, der Spielhandlung und des Spielers.

§ 81. Die Erweiterung des ersten Strukturelements. Von der Spielregel zum Naturgesetz, vom magischen Zirkel zur Welt

Das Regelwerk des Spiels erscheint mit dem Computerspiel unter den Bedingungen der Form eines Allgemeinen und wird infolgedessen auf die Welt hin erweitert, was sich daran zeigt, dass die Spielregeln als etwas, das einer Ausführung bedarf, mehr und mehr in den Hintergrund treten. Sie sind zu den Gesetzen der Welt selbst geworden und treten als solche gar nicht mehr ins Bewusstsein. Das Computerspiel hat immer schon dasjenige durchbrochen, was Huizinga den Zauberkreis nannte und worin er eines der Grundmerkmale des Spiels sah, die künstliche Abgrenzung des Spiels gegen das Leben. Denn der Schauplatz des Computerspiels war immer schon die Welt und das, was man in Computerspielen tat, war stets auch etwas Konkretes gewesen. Dies verdankt sich gewiss auch dem Umstand, dass das Computerspiel auf einem Bildschirm, folglich innerhalb eines gerahmten Bildraums erschien, der die Welt darzustellen vermochte, weshalb man es mit Recht auch Video-Spiel nannte: das Spiel, das ich sehe. Bildlichkeit war seit jeher ein zweitrangiges Merkmal der Spiele. Man denke an das Schachspiel, das durch seine Metaphorik des Krieges nichts Wesentliches hinzugewinnt. Mit dem Computerspiel als einer eigenständigen Form von Spiel ist dies anders geworden, denn was es zeigt, ist die Welt und die Welt ist sein Schauplatz.