§ 83. Die Erweiterung des dritten Strukturelements. Vom Spieler zum Menschen

Wie die Erweiterung des ersten Strukturelements mit einer Erweiterung des zweiten Strukturelements einhergeht, so geht die Erweiterung des zweiten Strukturelements mit einer Erweiterung des dritten Strukturelements einher. Vermöge der Erweiterung des Handlungsbegriffs geht der Spieler mehr und mehr darin auf, etwas sehr viel Allgemeineres, nämlich Mensch zu sein. Damit ist dem Umstand Rechnung getragen, dass das Computerspiel weitaus mehr Dimensionen menschlichen Seins zur Entfaltung bringt als das Spiel. So können Fragen moralischer Natur zu einem zentralen Element des Computerspiels werden. Das Computerspiel als eine eigenständige Form von Spiel entdeckt den Menschen und im Computerspiel entdeckt der Mensch sich.

§ 84. Die Leistung des Computerspiels als einer eigenständigen Form von Spiel besteht darin, das Leben unter dem Vorzeichen des Spiels zu denken

Das Computerspiel trägt einen Konflikt aus, denn es öffnet sich zur Welt hin, aber zugleich verschließt es sich ihr, um seinen Spielcharakter zu bewahren. Man könnte sagen, dass die Leistung des Computerspiels als einer eigenständigen Form von Spiel genau darin besteht, den Spielbegriff wesentlich erweitert zu haben, ohne ihn ganz preiszugeben. Darin gründen seine Einzigartigkeit und sein Erfolg, dass es den magischen Zirkel nicht durchbrochen, sondern gleichsam über die Welt gestülpt hat. Damit lässt es das Leben unter dem Vorzeichen des Spiels erscheinen, es begreift das Leben als Spiel.

§ 85. Das Spiel als eine Form des Lebens und die Grenzen des ludologischen Zugriffs

Wie der Begriff des Mediums ist der Begriff des Spiels äußerst dehnbar und in dieser Elastizität gründet seine eigentümliche Kraft. Dass Caillois von agon, alea, ilinx und mimikry als den Dimensionen des Spiels spricht, zeugt davon, dass er unter dem Spiel etwas versteht, das sehr viel allgemeinerer Natur ist als der engere Spielbegriff der Ludologie. Das Spiel ist eine Form des Lebens, aber solches spricht nicht für das ludologische Paradigma, sondern gegen es. Es zeigt sich nämlich, dass das Computerspiel zu etwas hinstrebt, von dem her es erst begreiflich werden kann. In solcher Gestalt entpuppt sich das Computerspiel nicht als eine Erscheinungsform des Spiels, sondern als Erscheinungsform eines Allgemeinen, des Lebens und seiner allgemeinen Form. Das Medium, das dem Computerspiel zugrunde liegt, führte zu einer Verallgemeinerung des Spielbegriffs und in dieser Verallgemeinerung besteht das Eigenständige dieser eigenständigen Form von Spiel und der eigentliche Gegenstand jener jungen Wissenschaft. Dieses Eigenständige aber ist etwas, das sich mit einer engeren Auffassung dessen, was ein Spiel ist, nicht vollständig auslegen lässt.

§ 86. Zur Begriffskritik als der ersten Aufgabe jener Wissenschaft

Jene Wissenschaft hat nicht bei den Erscheinungen des Computerspiels anzusetzen, sondern bei einer grundlegenden Kritik dieser ihrer eigenen Begrifflichkeit. Diese Begriffskritik hat sich nicht gegen den Begriff des Spiels selbst zu richten, sondern gegen jene weitverbreitete Vorstellung, nach welcher alle Computerspiele unter dem Vorzeichen dessen betrachtet werden müssten, dass sie Spiele seien und auf ihren Spielcharakter reduziert werden können. Das Computerspiel hat sich in den Jahren seines Bestehens stetig fortentwickelt und etwas, das neue Möglichkeiten eröffnet, ist durch es hervorgetreten, so dass jenem Paradigma heute nichts weiter als ein Dogma zugrunde liegt, dessen Macht allerdings nach wie vor ungebrochen ist.