Das Kriterium der Quantität betrifft den Ort, welchen die Verhältnisform zwischen dem Allgemeinen und Besonderen einnimmt, und bestimmt deren Umfang, indem sie diesen Ort zunächst für die drei Verhältnisqualitäten der Verhältnisform bestimmt. Das Allgemeine und Besondere bezeichnen zwei Pole, zwischen denen sich der Grad an Verhältnispotenzialität bestimmt, über welche die Verhältnisqualitäten im Einzelnen und die Verhältnisform im Ganzen verfügt. Setzen wir uns zu einem Stillleben, das einen Korb von Früchten zeigt, ins Verhältnis, so wird solche Verhältnisform, sofern wir bloß betrachten, durch die Verhältnisqualität des Sinnlichen dominiert, deren Umfang sich im Sehen erschöpft. Setzen wir uns hingegen zu einem sich vor uns befindenden realen Korb von Früchten ins Verhältnis, so besteht der Umfang der sinnlichen Verhältnisqualität dieser Verhältnisform nicht bloß im Sehen, sondern der Möglichkeit nach ebenso im Riechen oder Tasten. Die Verhältnisqualität des Sinnlichen hat an Umfang zugenommen, sie ist allgemeiner geworden, und zwar insofern, als in ihr ein Stück mehr jener Möglichkeit zu Tage tritt, welche dieser Verhältnisqualität innewohnt. Deshalb auch die Redeweise von der Verhältnispotenzialität oder dem Umfang, welchen die Verhältnisform im Ganzen aufweist.
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§ 45. Zu dem Umfang der Verhältnisform des Lebens
Worin besteht der Charakter des Lebens als einer Verhältnisform? Der Umfang einer Verhältnisform ist definiert durch seine Bedingungen, folglich ist der Umfang der Verhältnisform des Lebens durch Geist und Welt bestimmt, welche als erste und letzte Bedingungen die Grundlage aller Verhältnisformen bilden. Das Leben nimmt als Verhältnisform den größtmöglichen Umfang an und ist als die Form des Allgemeinen schlechthin Maßstab für alle anderen Verhältnisformen, die sich innerhalb ihrer eröffnen. Doch wie steht es um die Gestalt dieser Verhältnisform?
§ 46. Zu der Gestalt der Verhältnisform des Lebens
Die dominierende Verhältnisqualität ist diejenige des Wirklichen. Diese bildet die Grundlage der Verhältnisqualität des Sinnlichen, während sowohl das Wirkliche als auch das Sinnliche in der Einheit der Welt die Grundlage bilden für die Verhältnisqualität des Geistigen. Man könnte sagen, dass das Verhältnis, das diese drei Verhältnisqualitäten in der übergeordneten Einheit des Lebens zueinander eingehen, seiner logischen Form nach die Gestalt einer Verschachtelung annimmt.
§ 47. Die ontologische Natur des Vorrangs
Solcher Gestalt zufolge besitzt das Wirkliche gegenüber dem Sinnlichen und Geistigen und das Wirkliche und Sinnliche gegenüber dem Geistigen einen Vorrang, wodurch für das Leben eine Art Rangfolge dieser Verhältnisqualitäten vorgestellt werden kann. Diese Rangfolge aber ist nicht struktureller, sondern ontologischer Natur. Das in der Welt gründende Wirkliche und Sinnliche und das im Geist gründende Geistige sind strukturell gesehen gleichwertige Zugänge zum Leben, gleichwohl existiert für das Leben, unter einem ontologischem Gesichtspunkt, eine Rangfolge dieser Verhältnisqualitäten. Dies zeigt sich beispielsweise in der Entwicklung eines Menschenlebens, dass es zunächst im Wirklichen und Sinnlichen aufgeht und erst mit der Zeit seine vollen Verstandeskräfte herausbildet. Ich habe in der fünften Betrachtung begründet, weshalb ich den Ausdruck des Wirklichen verwende: einmal, weil mit dem Umstand, dass etwas wirkt und wirken lässt, die Natur dieses fundamentalsten Phänomens getroffen ist, einmal, weil es dessen ontologischen Rang deutlich werden lässt. Das Wirkliche und das Sinnliche sind die Grundlagen des Realen, weshalb man vom Wahnsinn auch als einer Umkehrung des Verhältnisses von Geist und Welt sprechen könnte, bei welcher der Geist in reiner Selbstbespiegelung zur Grundlage des nunmehr Irrealen wird.
§ 48. Weshalb ich vom Leben spreche
Das Verhältnis, das wir zur Welt haben, ist durch das Wirkliche, mithin Handlung dominiert, und zwar allein schon aufgrund des Umstands, dass wir uns in einem Körper befinden. Deshalb spreche ich nicht von der Existenz oder dem Dasein, sondern vom Leben. Nicht bloß, weil das Leben als Vermittlung von Geist und Welt etwas darstellt, das wesentlich Vollzug ist. Zu leben heißt zunächst einmal, dass man des Wirklichen teilhaftig ist, des Wirklichen teilhaftig zu sein aber heißt, dass man handelt.