Beat Sabers Anfänge – Meine Begegnung mit dem Schöpfer

Beat Saber ist vieles: ein Rhythmus-Kultspiel, ein Pfeiler der VR-Industrie und ein Kulturphänomen.

Im Frühjahr 2018 war dem noch nicht so. Damals reiste ich an die Game Developers Conference in San Francisco und begegnete rein zufällig einem der beiden Schöpfer des Spiels: Ján Ilavský. Beat Saber war noch nicht bei Steam erschienen und Ilavský besuchte die Entwicklerkonferenz, um für das VR-Spiel zu werben. Ich erinnere mich, wie der junge tschechische Entwickler auf mich wirkte: intelligent, sympathisch, bescheiden und dass er gerne und häufig lachte.

Zwei Wochen davor veröffentlichte das zweiköpfige Studio, das damals noch unter einem anderen Namen firmierte, ein Mixed-Reality-Video auf Youtube, das viral ging und in den nächsten Wochen viele Millionen Mal Aufrufe verzeichnete. Beat Saber sprach sich herum und als ich das VR-Spiel wenig später in San Francisco ausprobieren konnte, war auch Chris Bratt von Eurogamer da und interviewte Ilavský für den Youtube-Kanal der Webseite. Beat Saber musste etwas Besonderes sein, denn es erreichte schon vor Erscheinen Gaming-Sphären außerhalb der VR-Nische.

Trotz erster Zeichen: Ilavský sah den phänomenalen Erfolg des VR-Spiels nicht voraus. Niemand tat das. Wie auch? Virtual Reality steckte 2018 in großen Schwierigkeiten. VR-Spiele gab es wie Sand am Meer, aber fast niemand spielte sie. Was konnte ein weiteres Indie-Spiel zweier Entwickler schon für einen Unterschied machen?

Ich traf Ilavský damals ein drittes Mal und wie beim ersten Mal erneut zufällig. Ich hatte einen Termin bei Neat Corporation und traf das Entwicklerteam in einem Hotelzimmer, um ein damals viel bekannteres VR-Spiel auszuprobieren: das bald erscheinende Budget Cuts. Wie es der Zufall wollte, war zur gleichen Zeit auch Ilavský eingeladen. Im Hotelzimmer waren Basisstationen aufgebaut und schon bald ging es ans Spielen. Als Ilavský und ich mit Budget Cuts durch waren, ließ er das Entwicklerteam Beat Saber ausprobieren. Es wurde begeistert aufgenommen und ich weiß noch, wie jemand von Neat Corporation sagte: „Dein Spiel ist viel besser als unseres!“ Auch das blieb mir in Erinnerung: ein frühes Zeichen, dass Beat Saber etwas Außergewöhnliches ist.

Ich spiele im März 2018 zum ersten Mal Beat Saber. | Bild: Tomislav Bezmalinović

Der Rest ist Beat-Saber-Geschichte. Im Mai 2018 erscheint Beat Saber im Early Access und ein Jahr später für Meta Quest 1. Seit 2018 verkaufte sich Beat Saber mehr als vier Millionen Mal (Stand: Februar 2021) und allein auf der Quest-Plattform setzte es 100 Millionen US-Dollar um (Stand: Oktober 2021). Ende 2019 kaufte Facebook das neu gegründete Studio Beat Games für einen unbekannten Betrag.

Ilavský und seine Mitgründer Vladimír Hrinčár und Jaroslav Beck sind heute Millionäre. Aber was viel wichtiger ist: Sie schufen ein Spiel, das maßgeblich zum Erfolg und zur Bekanntheit von Virtual Reality beitrug und zum Aushängeschild einer ganzen Industrie wurde.

Dieser Beitrag erschien am 15. Juni 2022 bei MIXED.

VR, AR und die Paradigmenlücke: Apples großer Vorteil

Wer wird das Google oder Apple des VR- und AR-Zeitalters, zum reichen und mächtigen Türhüter einer neuen Computerplattform?

Meta ist gut aufgestellt und hat einen Vorsprung. Zum einen in Markterfahrung: Es hat ein halbes Dutzend VR-Headsets herausgebracht und mit Meta Quest viele Millionen Geräte unters Volk gebracht. Zum anderen steckt Meta so viel in Forschung und Entwicklung wie kein anderes Unternehmen: Über zehn Milliarden US-Dollar waren es allein im letzten Jahr und in Zukunft werden es noch mehr, sagte Zuckerberg Investoren. Mehr als 17.000 Angestellte hat Metas VR- und AR-Abteilung, die Reality Labs. Das ist mehr als ein Fünftel der Belegschaft.

Doch die Konkurrenz wartet nicht. Apple hat schon lange ein Headset in Entwicklung, das Insidern zufolge 2023 auf den Markt kommt. Noch dieses Jahr erscheint Project Cambria, Metas erstes Premium-Headset. Es wird sich an Apples Produkt messen müssen – oder umgekehrt. Neben Meta und Apple arbeiten Google (Project Iris) sowie Microsoft und Samsung (Project Bondi) an ähnlichen Geräten: schlanken Headsets, die sowohl VR als auch AR beherrschen. Die nächsten Jahre werden spannend.

Sollte VR und AR im Laufe des Jahrzehnts einen Durchbruch erleben, so ist ein paradigmatischer Wandel in der Computerinteraktion zu erwarten. Maus und Tastatur und das Touch-Display: Sie werden von neuen Schnittstellen wie Sprachsteuerung, Handtracking und neurale Interfaces herausgefordert und um diese ergänzt. Computer werden räumlicher, körperlicher, immersiver und stellen damit einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit dar: etwas, das man als „Paradigmenlücke“ bezeichnen könnte.

Rendering eines angeblichen Apple-Headset-Prototyps. | Bild: Ian Zelbo

 

Diese Kluft zwischen Alt und Neu macht sich schon heute bemerkbar. Setze ich mir eine Meta Quest 2 auf, bin ich nicht nur von meinen Mitmenschen isoliert, auch mit meinem Laptop und Smartphone kann ich kaum mehr richtig interagieren. Mit einem Schlag habe ich mich vom restlichen Computer-Ökosystem abgekoppelt.

Meta bemüht sich, eine Brücke zu schlagen. So kann man Smartphone-Mitteilungen in der VR-Brille anzeigen lassen und eine Handvoll Produktiv-Apps in der Virtual Reality nutzen. Doch das ist bei Weitem nicht genug. Selbst wenn VR und AR künftig häufiger genutzt werden oder sogar im Alltag ankommen, so schnell werden sie den Desktop-Rechner, Laptops und Smartphones nicht ersetzen – wenn überhaupt.

Die neuen und alten Computerparadigmen werden lange koexistieren, weshalb die Bemühungen dahingehen werden, diese so weit zusammenzuführen, dass man nahtlos von einer Plattform in die nächste wechseln kann, egal, ob man im Internet surft, E-Mails liest, arbeitet oder spielt. Für die Aneignung der neuen Technologien wird das ein kritischer Faktor werden.

So stellt sich Meta das Tastaturtippen in der AR-Zukunft vor: Elektrische Hirnsignale werden von einem EMG-Armband am Handgelenk abgefangen und von einem KI-Algorithmus in Computerbefehle übersetzt. Die physische Tastatur wird überflüssig. | Bild: Meta

Hierin sehe ich den größten Vorteil Apples gegenüber allen anderen Mitbewerbern, einschließlich Meta: Apple besitzt ein einheitliches, in sich geschlossenes und aufeinander abgestimmtes Ökosystem aus Hardware und Software, in das es seine VR- und AR-Technologie einbetten kann. Kein anderes Unternehmen hat so gute Voraussetzungen, die Paradigmenlücke zu schließen, das zentrale Problem der nächsten Computerwelle zu lösen und Meta das Fürchten zu lehren.

Eine nahtlose Integration des kommenden Headsets oder einer AR-Brille mit dem iPhone, iPad, Macbook und der Apple Watch: Das sollte relativ leicht für Apple sein. Wie schwer hat es dagegen Meta, das nur VR-Hardware besitzt und auf das Wohlwollen und die Schnittstellen anderer Firmen angewiesen ist, um die allgegenwärtige und dominierende Computerplattformen der Gegenwart, das Smartphone, bestmöglich in VR- und AR-Brillen zu integrieren?

Apple hat natürliche weitere Asse im Ärmel: besonders leistungsfähige und effiziente Chips, auf die kein anderes Unternehmen Zugriff hat, jahrzehntelange Erfahrung mit Hardwaredesign und eine riesige Marktmacht. Doch ausschlaggebend werden dürfte etwas anderes: das Vermögen Apples, eine Brücke zwischen neuer und alter Technologie zu schlagen.

Vor diesem Hintergrund könnte man Project Cambria als den groß angelegten Versuch sehen, die aufklaffende Paradigmenlücke im kritischen Bereich der Arbeit und Produktivität anzugehen. Fürs Erste mit einem hochwertigen Passthrough-Modus, der den Blick aufs Smartphone erlaubt und mit der Integration von 2D-Apps, die Büro-Anwendungen in die VR bringen. Doch das kann nur der Anfang sein.

Dieser Beitrag erschien am 12. Juni 2022 bei MIXED.

Die Uhr tickt für Augmented Reality

Unglaublich, aber wahr: Seit der Enthüllung von Google Glass sind zehn Jahre vergangen.

Das ist eine sehr lange Zeit in der Tech-Industrie und wirft die Frage auf, was sich technologisch seither in diesem Bereich getan hat. Auf den ersten Blick nicht viel: Es gibt noch immer keine Display-Brille, mit der Menschen auf die Straße gehen würden. Die größten Fortschritte gab es aufseiten der Software: Schnittstellen wie ARKit und ARCore brachten Augmented Reality auf Milliarden von Smartphones und wurden über die Jahre immer besser. Smartphone-AR ist dennoch eine Nische geblieben. Auf Gesichtsfiltern und dem One-Hit-Wunder Pokémon Go kann man keine nachhaltige Industrie bauen.

Das Smartphone kann nur eine technische Brücke sein zur vollwertigen AR-Brille, aber gerade die ist noch immer Science-Fiction. AR-Headsets wie Hololens und Magic Leap bringen zwar die wichtigsten AR-Features mit, aber sind zu wuchtig für den Alltag, während die Kamera- und Audiobrille Ray-Ban Stories zwar gut aussieht, aber nicht mal ein Display hat. Der Grund ist einfach: Die für schlanke, aber leistungsfähige AR-Brillen benötigte Technologie existiert noch nicht.

Es war Magic Leap, das in den letzten Jahren am meisten Schlagzeilen machte. An keinem anderen Unternehmen lässt sich die Entwicklung der AR-Industrie, deren Hochmut und Fall, so gut ablesen. Das Start-up gab vor, an einer revolutionären AR-Brille zu arbeiten und bis heute flossen sage und schreibe 3,5 Milliarden US-Dollar in das Unternehmen. Nach Jahren strengster Geheimhaltung und ausufernden Hypes – Magic Leaps AR-Brille wurde zeitweise als potenzieller Smartphone-Killer gehandelt – kam ein Produkt auf den Markt, das Augmented Reality technisch kaum voran und Magic Leap an den Rand des Bankrotts brachte.

Der Grund: Die „Wunderwaffe“ des Start-ups versagte. Die Display-Technologie, die Investoren Jahre zuvor beeindruckte, konnte Magic Leap nicht so weit miniaturisieren, dass sie in einer Brille Platz fand. In der Not setzte das Start-up auf eine althergebrachte Display-Technik, sogenannte Wellenleiter, mit allen ihren Unzulänglichkeiten. Aus der Revolution wurde ein Evolution, aus dem Sprung ein kleiner Schritt.

Die Magic Leap One: Futuristisch, aber nicht alltagstauglich. | Bild: Magic Leap

Magic Leap lebt dank Investoren weiter und bringt dieses Jahr ein neues AR-Headset heraus: die Magic Leap 2. Von dem Ziel, Hardware für Endverbraucher herzustellen, ist das Start-up realistischerweise abgerückt. Magic Leap 2 wird nur an Unternehmen verkauft. Der AR-Hype hat seither merklich gelitten und ist zunehmender Skepsis gewichen. Viel Zeit, Geld und Talent floss in die Technik, doch die Hardware hat sich nur marginal verbessert. Zu teuer, zu wuchtig, zu eingeschränkt sind die AR-Headsets, als dass sie für Endverbraucher interessant werden könnten.

Weil die Killer-Hardware fehlt, fehlen auch die Killer-Apps: Augmented Reality sucht weiter nach einem Problem, das es lösen kann. Ihr haftet der Ruf eines Gimmicks und einer ewigen Zukunftstechnologie an. Manche Experten meinen, dass eine fortschrittliche und zugleich alltagstaugliche AR-Brille niemals gebaut werden kann. Andere pochen auf mehr Entwicklungszeit. In fünf bis zehn Jahren könnte es klappen, heißt es aus Industriekreisen. Der iPhone-Moment der Augmented Reality wird kontinuierlich nach hinten verlegt.

Die großen Techkonzerne forschen indes weiter, in der Hoffnung auf das „nächste große Ding“. Tim Cook sieht in der AR-Brille sein mögliches Vermächtnis, während Mark Zuckerberg gar die Zukunft seines Unternehmens auf sie wettet. Doch auch Google, Microsoft und Amazon arbeiten laut Gerüchten und Stellenausschreibungen (wieder) an entsprechenden Geräten.

Apple und Meta investieren nach derzeitigem Kenntnisstand noch am stärksten in Forschung und Entwicklung, wobei Metas Investitionen beispiellos sind: Mehr als zehn Milliarden US-Dollar flossen allein im letzten Jahr in die Reality Labs, Metas VR- und AR-Abteilung, und in Zukunft sollen es noch mehr werden. Das Unternehmen entwickelt mehrere AR-Produkte und plant bis zu drei Hardware-Generationen in die Zukunft. Zuckerberg sieht in Virtual Reality und Augmented Reality eine neue Computerplattform, mit der sich Meta aus Apples und Googles Smartphone-Ökosystemen befreien könnte. Eine riskante, aber notwendige Wette auf die langfristige Zukunft des Unternehmens.

Vor kurzem legte ein Leak die Hardware-Roadmap des Unternehmens offen. Meta will demnach 2024 zwei AR-taugliche Geräte auf den Markt bringen: eine technisch einfachere Datenbrille (Codename: Hypernova) und eine vollwertige, aber alltagstaugliche AR-Brille (Project Nazare), die den Kern von Zuckerbergs Metaverse-Vision bildet. Die erste Version von Project Nazare richtet sich an Entwickler und Enthusiasten. Eine leichtere und fortschrittlichere Version soll 2026 kommen, gefolgt von einer dritten Version im Jahre 2028.

So könnte Augmented Reality durch die Gläser von Project Nazare aussehen. | Bild: Meta

Diese Roadmap ist ehrgeizig und zeigt, dass Meta möglichst bald in den Markt einsteigen will. Das ist verständlich: Nach acht Jahren Forschung und Entwicklung, benötigt Meta endlich greifbare Erfolge. Den Quellen zufolge will Meta bis Ende der 20er-Jahre Millionen alltagstauglicher Techbrillen verkaufen, doch ein Durchbruch könnte „Jahrzehnte beanspruchen“.

Ob Zuckerberg so lange investieren will, ist fraglich. Schon heute herrscht ein großer Druck auf Meta seitens Investoren und die Reality Labs sind ein immenses Verlustgeschäft. Zuckerberg wird beweisen müssen, dass sich mit AR-Brillen Geld verdienen lässt. Ob Metas Pläne aufgehen, dürfte sich daher in den nächsten Jahren entscheiden. Ich denke, dass 2026 das bislang wichtigste Jahr der Augmented Reality werden wird, gesetzt, dass die zweite Version von Project Nazare in diesem Jahr erscheint und sich an Endverbraucher richtet.

Project Nazare ist Metas Leuchtturmprojekt. Sollten die vergangenen Jahre, Mittel und Talente der Reality Labs nicht reichen, um eine alltagstaugliche AR-Brille zu bauen oder diese keinen Anklang finden, dann könnte dies das vorläufige Ende der AR-Welle bedeuten, die Google Glass vor zehn Jahren anstieß.

Dass die zu nehmenden Hürden gewaltig sind, weiß die Industrie. „Es gibt keine Kombination existierender Technologien, die alle nötigen Bedingungen erfüllt. Die Gesetze der Physik könnten verhindern, dass wir jemals brauchbare AR-Brillen bauen“, sagte Metas AR- und AR-Visionär und Forschungschef Michael Abrash 2017. „Aber wenn es möglich ist, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sie innerhalb der nächsten zehn Jahre erscheinen.“

Kann Meta ein Produkt abliefern, das gut genug ist für Verbraucher? Die bisherigen Gerüchte schüren Zweifel: Meta soll noch keinen funktionsfähigen, tragbaren Prototyp haben und zudem auf die mehr oder wenige gleiche Display-Technik wie Magic Leap und Konsorten setzen. Project Nazare wird allem Anschein nach mehr vom Gleichen, nur in besser bieten und keine grundlegenden technologischen Durchbrüche.

Natürlich kann alles auch ganz anders kommen: Womöglich verschiebt sich der Marktstart wie so oft um Jahre, vielleicht kommt Apple oder ein anderer Mitbewerber mit etwas Besserem um die Ecke oder vielleicht investieren Meta und Konsorten weiterhin in Augmented Reality und schaffen den Durchbruch zu einem (sehr viel) späteren Zeitpunkt.

Eines ist klar: Die Uhr tickt für Augmented Reality. Dürfte in den nächsten Jahren kein signifikanter Fortschritt in puncto Technik und Marktwachstum erzielt werden, könnte die Technologie für längere Zeit wieder von der Bildfläche verschwinden.

Dieser Beitrag erschien am 9. Mai 2022 bei MIXED. Im Juni 2022 wurde bekannt, dass Project Nazare erst 2026 statt wie geplant 2024 kommerzialisiert werden solle.

Die Zukunft liegt jenseits von VR und AR

Wir schreiben das Jahre 2022 und Virtual Reality wird von einflussreichen Industrievertretern noch immer als Antithese der Augmented Reality beschrieben.

Das Argument ist alt: Augmented Reality lässt an der realen Welt teilhaben, Virtual Reality ersetzt sie. Augmented Reality bringt die Menschen zusammen, Virtual Reality isoliert sie. Böse Virtual Reality. Mit der gleichen Begründung könnte man Bücher abqualifizieren. Schließlich setzen sie voraus, dass sich Menschen allein in etwas vertiefen, das nichts mit ihrer unmittelbaren Umgebung zu tun hat.

Ich beziehe mich auf Äußerungen zweier einflussreicher CEOs, deren Unternehmen im Feld der Augmented Reality tätig sind. Die Polemik begann letztes Jahr mit Niantic-Chef John Hanke. Der Geschäftsführer des Pokémon-Go-Studios unterstellte Meta, ein dystopisches VR-Metaverse anzustreben. Dystopisch deshalb, weil es eine Realitätsflucht darstellt. Als Gegenentwurf brachte er ein AR-Metaverse in Stellung, das in der Wirklichkeit verwurzelt ist.

Zwei Tatsachen unterschlug Hanke dabei: a) dass ein AR-Metaverse ebenso dystopisch sein kann und b) dass Metas Metaverse-Vision sowohl VR als auch AR umfasst. An Augmented Reality wird Zuckerberg noch mehr gelegen sein als an Virtual Reality. Mit gutem Grund: Mit AR lässt sich auf lange Sicht mehr Geld verdienen. AR-Brillen könnten eines Tages so allgegenwärtig sein wie Smartphones, VR-Headsets werden eher etwas für die eigenen vier Wände bleiben.

Avatare spielen virtuelles Schach auf einem physischen Tisch. Die Umgebung lässt sich stufenlos ein- und ausblenden. Eine Szene aus der Mixed-Reality-Demo Unity Slices: Table. | Bild: Unity

Snap-CEO Evan Spiegel grenzt sich auf ähnliche Weise gegen Meta ab. Der Begriff des Metaverse, den Spiegel zurecht als „zweideutig und „hypothetisch“ bezeichnet, werde in Snaps Büros niemals ausgesprochen. „Eines der großen übergreifenden Konzepte, die die Leute [vom Metaverse] haben, ist, dass viele dieser Werkzeuge dazu gedacht sind, die Realität zu ersetzen. Wir hingegen versuchen, die reale Welt um uns herum zu erweitern“, sagte Spiegel kürzlich dem Guardian.

Dass Niantic und Snap die Stärken der Augmented Reality herausstellen, ist nachvollziehbar. Beide Unternehmen entwickeln AR-Produkte: Niantic landete mit dem AR-Spiel Pokémon Go einen Milliarden-Hit und Snap machte Gesichtsfilter zu einem Kulturphänomen. Aber AR gegen VR auszuspielen, ist nicht zielführend für die Branche – und ein wenig heuchlerisch.

Technologisch gesehen sind VR und AR Geschwister. Sie haben mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Bei Milgram-Kishino besetzen VR und AR unterschiedliche Positionen des gleichen Mixed-Reality-Kontinuums. Davon abgesehen ist die sogenannte Virtual Reality gar nicht so virtuell, wie man gemeinhin annimmt und stark in der physischen Realität verwurzelt. Technologie ist, was man aus ihr macht.

In der Zukunft, so die Hoffnung, werden wir nicht mehr von VR- und AR-Headsets sprechen, weil entsprechende Geräte beides unterstützen. VR und AR werden dann nur noch Darstellungsmodi ein- und desselben übergreifenden Mediums sein, beide mit ihren eigenen Stärken und Anwendungen, keine schlechter als die andere und frei von Stigmatisierung.

Dieser Beitrag erschien am 7. Mai 2022 bei MIXED.

Luke Ross verdient 10.000 US-Dollar im Monat mit VR-Mods

Während Open-World-Games auf dem PC und Konsolen zu den erfolgreichsten Videospielgenres gehören, fristen sie im VR-Gaming ein Nischendasein. Der Grund: Die Entwicklung und Vermarktung solcher Spielebrocken verschlingt hunderte Millionen US-Dollar, eine Investition, die sich in der VR-Nischen nicht wieder hereinholen ließe. Selbst VR-Portierungen sind eine Seltenheit, die große Studios kaum je anstrengen, weil die Einnahmen vernachlässigbar klein wären. Skyrim VR ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Weil die Publisher nicht liefern und große Nachfrage seitens Hardcore-Spielern besteht, entstand in den letzten Jahren eine lebendige Mod-Community, die 2D-Hits für PC-VR adaptiert. Der bekannteste Modder ist ein Entwickler mit dem Pseudonym Luke Ross, der im Alleingang VR-Unterstützung für Titel wie GTA 5, Red Dead Redemption 2, die Mafia-Trilogie, Cyberpunk 2077 und Horizon: Zero Dawn programmierte.

Auf Patreon hat Ross derzeit mehr als 2.000 Unterstützer:innen, die ihm monatlich 10 US-Dollar für den Zugang zu den neuesten Versionen seiner Mods überweisen. Die Abonnentenzahl steigt und fällt über das Jahr hinweg und nach Abzug der Patreon-Gebühren und Steuern bleiben noch rund 10.000 US-Dollar Einkommen pro Monat übrig, verrät mir Ross in einer E-Mail. Das entspricht dem Gehalt eines leitenden Spielentwicklers oder übertrifft dieses sogar. Keine Frage: Ross hat eine Marktnische entdeckt und aus seinem Hobby einen lukrativen Traumberuf gemacht. Ein Trick, den ihm so bald niemand nachmachen wird.

Ein Bild der PS5-Version von Grand Theft Auto 5. | Bild: Rockstar Games

Vor seiner Modding-Karriere war Ross ein freiberuflicher Softwareentwickler mit einer großen Leidenschaft für Videospiele. „Ich war mein ganzes Leben lang Gamer und habe neue Technologien schon immer geliebt, vor allem, wenn sie ein immersiveres Spielerlebnis ermöglichen, zum Beispiel 3D-Brillen“, sagt mir Ross. Für die aufkommende Virtual Reality war er Feuer und Flamme: 2012 gehörte Ross zu den ersten Unterstützern des Oculus-Kickstarters.

Ross begann weit früher mit Modding. Als großer Fan des Ego-Shooters No One Lives Forever 2, entwickelte er eine Mod, die das Spiel mit Nvidia 3D Vision und der dazugehörigen 3D-Shutterbrille kompatibel machte. Als die ersten kommerziellen VR-Geräte auf den Markt kamen, zögerte Ross nicht und programmierte eine Mod, die NOLF 2 mit VR-Brillen spielbar machte. Das war 2017. „Die Reaktion war sehr positiv und ermutigend, was mich später dazu veranlasste, ein viel größeres und komplexeres Spiel in Angriff zu nehmen: GTA 5“, sagt Ross. Das Ergebnis: Seine R.E.A.L.-Mod wurde von mehr als 150.000 Nutzern heruntergeladen. „Danach habe ich beschlossen, den Sprung zu wagen und herauszufinden, ob ich Vollzeit-Modder werden kann.“

Wenn die Nachfrage besteht, weshalb portieren die großen Studios dann ihre Spiele nicht selbst, frage ich Ross. „Das ist eine traurige Kombination mehrerer Faktoren“, meint der VR-Modder. In den frühen Hype-Jahren, also zwischen 2012 und 2016, sei „alles viel zu schnell passiert“. Überzogene Erwartungen vonseiten der Investoren und Spielern seien „hemmende Faktoren“ für eine gesunde Entwicklung des VR-Markts gewesen. Der letzte Sargnagel, so meint Ross, war das unglückliche Timing bei der Einführung von VR-Controllern gewesen.

„Von Spielentwicklern wurde plötzlich erwartet, dass sie Spiele nach einem völlig anderen Paradigma entwickeln, als sie es in der Vergangenheit getan hatten: Alles in ihren Spielen sollte nun interaktiv sein und auf virtuelle Hände reagieren“, erklärt Ross.

Die Studios und Publisher hätten auf diese Herausforderung abwehrend reagiert. „Als sie unter Druck gesetzt wurden, ein völlig anderes Produkt zu liefern, das auf einen Nischenmarkt zugeschnitten war, der zudem noch in den Kinderschuhen steckte und keine großen Gewinne abwerfen konnte, haben sie einfach dichtgemacht und beschlossen, Virtual Reality als vorübergehende Modeerscheinung anzusehen und zu ignorieren“, sagt Ross. Besser wäre es gewesen, wenn die VR-Hersteller zumindest für den Anfang auf Gamepad-VR gesetzt hätten, statt den Rest der Industrie mit voreiligen Innovationen abzuschrecken, so Ross‘ These.

„Was VR ausmacht, ist, dass man im Spiel ist und nicht jedes Mal mit den Armen herumfuchteln muss, wenn man mit etwas interagiert. Das gilt besonders für Spiele, die Hunderte von Stunden dauern, wie die großen Open-World-Titel. Bei solchen langen Spielsitzungen möchte man sitzen und die Hände entspannt im Schoß haben“, meint Ross, der in seinen Mods bewusst keine Unterstützung für Bewegungssteuerung anbietet.

Die dystopische Zukunft von Cyberpunk 2077. | Bild: CD Projekt Red

Seine Kritik trifft auch Valve, die ein widersprüchliches Verhalten an den Tag gelegt hätten. Das Unternehmen hätte zum einen eine unerreichbar hohe Messlatte gelegt mit Half-Life: Alyx und dem Beharren darauf, dass „alles auf neue und fantastische Weise speziell für VR gemacht werden muss“. Zum anderen hätte Valve eine „unglaubliche Kehrtwende“ vollzogen, indem sie sämtliche VR-Projekte aufgaben und auf Steam Deck umschwenkten. „Was für eine merkwürdige Art, ein Beispiel für den VR-Markt zu setzen“, meint Ross.

Seine Agenda sei simpel: Er wolle den Glauben der Verbraucher und Entwickler wiederherstellen, „dass VR jetzt und hier möglich ist“. Der VR-Markt müsse sich erst entlang gewohnter Gaming-Paradigmen entwickeln. Erst wenn er gereift ist, könnten Investoren neue Interaktionsformen in Erwägung ziehen. „Der Versuch, das Gegenteil zu tun, also nach großen Investitionen zu fragen, bevor der Markt bereit ist, ist ein sicherer Weg, die goldene Gans zu töten und am Ende mit nichts zu enden“, sagt Ross.

Der VR-Modder verdient gut an fremden Spielen. Könnte es sein, dass das zu einem Problem wird und die großen Publisher seinen Projekten einen Riegel vorschieben? Ross hat keine Sorgen diesbezüglich. „Die Situation unterscheidet sich von der anderer Modder, denn ich biete nur eine zusätzliche Option, die Originalspiele zu erleben, was letztlich mehr verkaufte Exemplare für die Studios und Publisher bedeutet“, meint Ross.

Ein bestimmtes Konfliktszenario kann er sich dennoch vorstellen: wenn die Eigentümer einer Spielemarke eine eigene VR-Portierung entwickeln, die in Konkurrenz zu seinen VR-Mods steht. In diesem Falle wäre er bereit, ein Projekt einzustampfen oder aber eine Win-win-Situation auszuhandeln.

Wäre es denkbar, dass er bei einem großen Studio anheuert, um eine offizielle VR-Portierung zu entwickeln? Für Ross kommt das derzeit nicht infrage. „Ich bekam ein paar interessante Offerten, aber ich habe das Gefühl, dass ich als unabhängiger Modder einen viel größeren Einfluss und eine größere Befriedigung durch meine Tätigkeit habe“, sagt der VR-Modder. Ein Ende seiner Arbeit sieht er nicht in Sicht. „Solange die Leute daran interessiert sind, riesige Open-World-Spiele in VR zu spielen, solange werde ich weitermachen.“

Dieser Beitrag erschien am 17. April 2022 bei MIXED. Das US-Techmagazin The Verge griff das Thema auf und brachte am 1. Juli einen eigenen Artikel mit ähnlicher Überschrift heraus. Wenig später drohten Take-Twos Anwälte, rechtliche Schritte gegen Patreon einzuleiten. Luke Ross sah sich gezwungen, alle VR-Mods von Spielen des Publishers der Förderplattform zu entfernen. Davon betroffen waren die Mods von GTA 5, Red Dead Redemption 2 und Mafia Definitive Edition.