Playstation VR 2: Warum so zaghaft, Sony?

In wenigen Monaten erscheint Playstation VR 2 und die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Launch könnten gleich in mehrfacher Hinsicht besser sein.

Da wäre zum einen das schwache Spiele-Lineup. Horizon Call of the Mountain ist Sonys einziger First-Party-Titel und der einzige, der genug Strahlkraft hat, um Begehrlichkeiten seitens Spielern zu wecken, die sich nur am Rande oder gar nicht mit Virtual Reality beschäftigen. Abgesehen vielleicht von Resident Evil Village VR, dessen 2D-Original schon vor eineinhalb Jahren erschien und das die meisten Fans durchgespielt haben dürften. Hinzu kommen eine Handvoll exklusiver Titel wie The Dark Pictures: Switchback und Crossfire: Sierra Squad sowie ältere und für andere Plattformen erhältliche VR-Spiele, darunter grafisch leicht aufgemotzte Portierungen von Meta-Quest-Titeln. Also nichts, das VR-Zweifler hinter dem Ofen hervorholen könnte.

Schwach wirkt auch Sonys Marketing. Playstation VR 2 wurde seit Februar 2021 tröpfchenweise und ohne großes Tamtam in unspektakulären Blogposts enthüllt. Das erweckt den Eindruck, als machte sich Sony nicht besonders viel aus dem Gerät. Das Zeitfenster des Marktstarts ist ebenfalls alles andere als optimal: Weshalb erscheint Playstation VR 2 direkt nach dem Weihnachtsgeschäft und nicht davor? Wäre es nicht klüger gewesen, bis zum nächsten Weihnachtsgeschäft zu warten, um mit mehr und größeren Spielen zu launchen? Für das größte Stirnrunzeln sorgt jedoch der Preis: Mit 599,99 Euro kostet das VR-Zubehör mehr als die Konsole selbst, was die Kaufreflex noch am stärksten hemmen dürfte. Die genauen Herstellungskosten kennen wir nicht. Aber der hohe Preis legt nahe, dass Sony nicht bereit ist, eine aggressive Quersubventionierung in die Waagschale zu werfen.

Sony Herangehensweise wirft viele Fragen auf, auf die ich mir folgenden Reim mache: Das Unternehmen gibt sich keinen Illusionen hin und erwartet gar nicht erst, dass Playstation VR 2 ein Verkaufsschlager wird. Selbst mit einer Vielzahl großer VR-Titel, Bombast-Marketing und einem vergleichsweise günstigen Preis.

Sony hat keine Absicht, aufs Ganze zu gehen. Was heißen würde, im Stile Metas Unsummen für exklusive VR-Spiele und Dumping-Preise aufzuwenden, ohne Aussicht darauf, diese Investitionen zeitnah wieder hereinzuholen. Der Erfolg von Virtual Reality lässt sich nicht erzwingen oder künstlich beschleunigen. Das Medium muss organisch wachsen, auch wenn dies bedeutet, dass es wesentlich länger braucht als gedacht. Die Technologie hat eine gewisse Reife erlangt und wird sich mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln beweisen und tragen müssen – oder wieder in der Versenkung verschwinden.

Dies gilt auch für Playstation VR 2, die technisch absolut das Zeug hat, erfolgreich zu sein. Das VR-System ist im Gegensatz zur ersten Playstation VR grundsolide und zukunftssicher. Das Fundament ist gelegt, und bis zum Weihnachtsgeschäft 2023 Sony bleibt noch etwas Zeit, um die Software-Bibliothek aufzubauen, das eine oder andere große VR-Spiel anzukündigen und womöglich den Preis zu senken.

Ein riesiger Hit wird sie selbst dann nicht und Sony wird das einkalkulieren. Erfolg wird sich für Sony, gerade im Hinblick auf die langfristige Entwicklung der VR, anders bemessen als durch sagenhaften Umsatz: dadurch, wie oft, wie lange und wie gerne die eigene Kundschaft Playstation VR 2 im Vergleich zur ersten Playstation VR nutzt und ob die Kosten für Forschung, Entwicklung und Herstellung hereingeholt wurden. Solange Playstation VR 2 kein absoluter Flop wird und die VR-Industrie in den nächsten fünf Jahren nicht gänzlich zusammenbricht, dann, denke ich, wird Sony eine Playstation VR 3 bringen. Weil das Unternehmen auf einen Langzeiterfolg der Technologie spekuliert.

Das zeigen Sonys Investitionen in VR-Displays und Sensortechnik, die eines Tages in anderen, breiter aufgestellten Sony-Produkten Eingang finden könnten. Playstation VR wäre demnach nur der Anfang von Sonys VR-Initiative, die vorerst auf Gaming beschränkt ist und sich in Zukunft diversifizieren könnte, wie die Headsets selbst, die nicht mehr nur der Unterhaltung dienen werden.

Dieser Beitrag erschien am 17. November 2022 bei MIXED.

Meta Quest Pro: Mehr Schein als Sein

Meta Quest Pro ist seit mehr als zwei Wochen im Handel erhältlich. In dieser Zeit habe ich viel über das Gerät gehört, gelesen und gesehen. In zahlreichen Tests, bei Twitter und Youtube und von Bekannten, die das Headset gekauft und ausprobiert haben. Der folgende Artikel ist eine wertende Einordnung der Meta Quest Pro auf Basis all dessen, was ich in Erfahrung bringen konnte und bezieht sich auf den Zustand, in dem sich das Gerät zum Marktstart befindet.

Fangen wir mit den Missverständnissen an und arbeiten uns vor zum Kern der Sache.

Was Meta Quest Pro nicht ist
  • Ein Gerät für Profis und Unternehmen: Dass Meta Quest Pro nichts für Endverbraucher ist, versteht sich von selbst. Das Headset kostet 1.800 Euro. Überraschender ist, dass Meta Quest Pro auch Profis und Unternehmen nur wenig Substanzielles bietet und wichtige Features vermissen lässt. Das fängt bei der nur graduell verbesserten Hardware an und hört bei den nicht existenten Dienstleistungen und Apps für Geschäftskunden auf. Meta Quest for Business und Windows-Apps? Die kommen irgendwann nächstes Jahr. Das ist erstaunlich inkonsequent für ein Gerät, das sich an Geschäftskunden richtet. HTC und Pico machen das besser mit ihren B2B-Geräten.
  • Ein fortschrittliches Mixed-Reality-Headset: Auch hier hat Meta seine Hausaufgaben nur zur Hälfte erledigt. Ja, Meta Quest Pro unterstützt stereoskopische Mixed Reality und Farbe, aber ansonsten fällt die Technologie komplett durch: Man sieht weder scharf in die Ferne noch erkennt man, was das Smartphone-Display anzeigt. Und dank gestrichenem Tiefensensor muss man Räume und Objekte in der Umgebung von Hand einzeichnen, was so umständlich, dass sich niemand die Mühe machen wird. Selbst ein neueres iPhone- oder Android-Smartphone kann bessere Mixed Reality als Meta Quest Pro.
  • Ein brauchbarer Arbeitscomputer: Weder Hard- noch Software ist ausgereift für alltägliche Produktivität. Aufseiten der Hardware hapert es an der Auflösung, an der Batterielaufzeit (1-2 Stunden!), an der Rechenleistung und einem reibungslosen Interface. Aufseiten der Software fehlen schlicht die nötigen Produktiv-Apps. Zudem ist das Betriebssystem nicht ausgelegt für echtes Multitasking oder schnellen Zugriff auf Arbeitsfunktionen.
Was Meta Quest Pro wirklich ist
  • Ein Developer Kit: Meta Quest Pro existiert in erster Linie, damit Entwickler neue Technologien (Mixed Reality, Gesichts- und Blickverfolgung) ausprobieren und erste Apps entwickeln können, insbesondere für Meta Quest 3.
  • Ein Beta-Gerät und eine Experimentierplattform für Hard- und Software: Meta Quest Pro macht den Eindruck eines experimentellen und unfertigen Headsets. Warum? Weil es ein experimentelles und unfertiges Headset ist. Meta Quest Pro ist ein Developer Kit für Entwickelnde, aber ebenso für Meta selbst. Hiermit erforscht und legt das Unternehmen das Fundament für neue Hardware und Schnittstellen, von denen es selbst nicht weiß, wie sie sich auswirken werden.
  • Eine Subventionshilfe: Wir wissen nicht, wie teuer Meta Quest Pro in der Herstellung ist, aber zu diesem Preis dürfte Meta gute Margen fahren. Die zusätzlichen Einnahmen dürften die verlangsamten Verkäufe von Meta Quest 2 auffangen, und was noch wichtiger ist: in die Subvention der Meta Quest 3 fließen. Man könnte also sagen, dass Meta Unternehmen, Profis, Entwickler und Enthusiasten Meta Quest 3 mitfinanzieren lässt.
  • Ein Lieferkettenkatalysator: Zu guter Letzt hat Meta Quest Pro die Aufgabe, Lieferketten für kommende Headsets, insbesondere Meta Quest 3, zu etablieren. So kommen etwa die Pancake-Linsen der Pro in diesem Headset zum Einsatz. Stehen die Lieferketten erst einmal, kann Meta besser skalieren und günstiger produzieren.
Fazit und Ausblick

Meta Quest Pro ist ein schwer definierbares Headset. Weil es unfertig und ein Experiment ist, das gefühlt noch in der Betaphase steckt. In Meta Quest Pro drückt sich eher ein Wunsch als Wirklichkeit aus.

Der Grund ist leicht zu finden: Wir erleben gerade die Morgenstunden der Mixed-Reality-Ära und Produktivität. Meta weiß das. In einem Interview sagte Mark Zuckerberg, dass Meta Quest Pro nur die erste Version eines VR-Arbeitsgeräts sei, das erst mit Version 4 oder 5 voll ausgereift sein werde. Wenn alle zwei Jahre eine neue Meta Quest Pro erscheint, dann wäre das in acht bis zehn Jahren.

Man sollte sich also keinen Illusionen hingeben: Die erste Version der Meta Quest Pro existiert größtenteils wegen Meta Quest 3. Sie ist eine Brückentechnologie, die das Fundament für folgende Hardware-Generationen legt und wird schon im nächsten Jahr größtenteils veraltet sein.

Dieser Beitrag erschien am 13. November 2022 bei MIXED.

Der spektakuläre Flop von Google Glass und was man daraus lernen kann

Zehn Jahre nach der Enthüllung von Google Glass ist der Traum von Augmented Reality noch immer lebendig. Zumindest in den Köpfen von Silicon-Valley-Größen wie Mark Zuckerberg und Tim Cook.

Google, Meta, Apple: Diese und andere Konzerne arbeiten weiterhin an smarten Brillen, die Gesellschaft und Welt verändern sollen. Der Aufstieg und Fall von Google Glass liefert wichtige Lektionen in dieser Hinsicht, eine Blaupause dafür, wie man es nicht machen sollte. Die Frage ist, ob die Techriesen diese Lehren beherzigen.

Der Journalist Quinn Myers hat sich eingehend mit der Geschichte von Googles Datenbrille befasst und ein Buch über das legendäre Produkt verfasst, das noch in der Betaphase gestoppt und später als Enterprise Edition wiederbelebt wurde. Der Herausgeber des XR-Newsletters Virtual Vector Mathew Olson hat sich mit ihm unterhalten.

Laut Myers gibt es reichlich Gemeinsamkeiten zwischen der Google-Glass-Ära (2012-2015) und heute. „Es gibt eine Reihe von Parallelen, bis zu den Phrasen, die Mark Zuckerberg verwendet, wenn er über Meta spricht, die ähnlich klingen wie das, was Google über Glass gesagt hat. Sie verfolgen auf ähnliche Weise dasselbe Ziel. Die Leute sagen: ‚Ich weiß nicht, ob ich das nutzen will‘, aber sie bestehen darauf, dass dies die Zukunft ist.“

Smart-Glasses-Google-Glass

Google Glass. | Bild: Google

Eine Lehre, die Konzerne wie Google und Amazon gezogen hätten, betreffe das Marketing, das „ein wenig subtiler“ geworden wäre. Man erinnere sich: Google wollte mit Glass das Smartphone ersetzen und warb mit einem berühmt-berüchtigten Video, das eher eine mögliche Zukunft illustrierte als ein Produkt, das tatsächlich existierte. Dadurch musste die Datenbrille später zwangsläufig enttäuschen.

Smarte Lautsprecher hätten wie Google Glass negative Presse bezüglich Privatsphäre erhalten, aber wurden von Verbrauchern dennoch angenommen, wobei das Marketing eine wichtige Rolle spielte. Google und Amazon warben nicht mit Berühmtheiten und Laufstegmodels, was Google Glass eine elitäre Aura und ein Image verlieh, das später dazu beitrug, dass Glass-Träger als „Glassholes“ beschimpft und aus Lokalen geworfen wurden.

 

Eine weitere wichtige Lehre sei, einen konkreten Nutzen in den Vordergrund zu stellen, anstatt von einem Allzweckgerät oder einem Smartphone-Ersatz zu sprechen. Google testet derzeit wieder eine Datenbrille in der Öffentlichkeit und betonte bei der Vorstellung des Projekts deren Funktionalität: Sie übersetzt in Echtzeit gesprochene oder geschriebene Sprache.

Myers findet, dass in puncto Privatsphäre eine Veränderung eingetreten sei im Vergleich zu Google-Glass-Ära: In Zeiten von TikTok würden öffentliche Plätze häufiger gefilmt als vor zehn Jahren. In Gegenwart der Glass-Träge, so erinnert sich Myers, hätten sich die Menschen „angespannt“ gefühlt. Allerdings sei dieses Gefühl auch heute nicht ganz überwunden.

Setzt Augmented Reality wirklich eine Brille voraus und ist der Nutzen eingeblendeter Informationen wirklich so groß? Myers zweifelt daran. „Das ist etwas, worüber ich viel nachdenke: Muss die Brille das Vehikel für AR sein? Oder könnte es eher so sein, wie wenn man eine Wegbeschreibung auf der Windschutzscheibe seines Autos hat, oder andere Formen, die man nicht tragen muss, die aber trotzdem in unser tägliches Leben integriert sind?“

Dieser Beitrag erschien am 8. November 2022 bei MIXED.

VR-Brillen müssen zum „ultimativen Bildschirm“ werden

Meine Lieblingsneuigkeit der Meta Connect 2022 betrifft nur indirekt Virtual Reality: dass Xbox Cloud Gaming für Meta Quest kommt. Dank der entsprechenden VR-App wird es möglich sein, hunderte hochwertige 2D-Spiele direkt in die Quest zu streamen und auf einer großen Leinwand zu spielen. Ein Game-Pass-Abo und Xbox-Controller reicht.

Diese Nachricht kam überraschend und freute mich, weil ich daheim weder eine Spielkonsole noch einen Gaming-Monitor stehen habe. Wenn ich keine Filme schaue oder lese, dann bin ich in VR unterwegs. Mit 2D-Gaming habe ich mich seit Jahren nicht mehr auseinandergesetzt. Was nicht heißt, dass ich gelegentlich nicht gerne wieder etwas in die Richtung ausprobieren würde. Mit Xbox Cloud Gaming für Meta Quest könnte ich dieser Tätigkeit innerhalb meines gewohnten Medienkonsums nachgehen und dank Virtual Reality im Großformat und an jeder beliebigen Wand.

Mir ist klar, dass meine Mediennutzung von dem der großen Masse abweicht und dass Xbox Cloud Gaming allein kein Kaufgrund für eine VR-Brille ist. Aber Xbox Cloud Gaming zu unterstützen, ergibt Sinn im Rahmen einer umfassenderen Strategie, klassische 2D-Unterhaltungsformen in VR zugänglich zu machen. Weil diese enormen kulturellen und ökonomischen Wert haben, auf die Verbraucher Zugriff haben sollten, wenn sie ein Headset aufsetzen.

Virtuelle Wohnung der VR-App Virtual Desktop. | Bild: Guy Godin

Virtuelle Wohnung der VR-App Virtual Desktop. | Bild: Guy Godin

Das gilt nicht nur für Unterhaltungsmedien wie Spiele, Filme und Musik. Wie praktisch wäre es, wenn man in VR vollen Zugang auf das eigene Smartphone hätte oder auf den Desktop-Computer, um nach einem VR-Spiel noch schnell eine Textarbeit in VR fertig zu tippen oder auf eine E-Mail zu antworten, ohne die VR-Brille absetzen zu müssen. Gleichzeitig mit Xbox Cloud Gaming kündigten Meta und Microsoft an, Windows 11 und Office-Apps für Meta Quest herauszubringen. Damit wäre ein weiterer, wichtiger Schritt in eine Zukunft getan, in der das 2D-Ökosystem im VR-Ökosystem aufgeht und VR-Headsets zu Allzweckgeräten werden. Eine Brücke zu schlagen zwischen alten und neuen Paradigmen des Medienkonsums und der Datenverarbeitung: Das ist unabdingbar für die breitere Aneignung von VR und AR.

Ein großer Verfechter des Vorhabens, 2D-Inhalte in VR zugänglich zu machen, ist John Carmack. Schon 2019 meinte der ehemalige Oculus-Technikchef bei einem Connect-Vortrag zu diesem Thema:

„Es gibt Inhalte im Wert von einer Billion Dollar, die für andere Bildschirme entwickelt wurden. Und ich halte es für völlig unvernünftig, so zu tun, als würden die Leute den gesamten Wert dieser Inhalte in VR-spezifischen Anwendungen nachbilden. [VR] sollte die universelle Plattform sein. Man sollte in der Lage sein, alles in VR zu tun.“

Und Carmack geht noch weiter in seiner Vision: Das VR-Headset solle „der beste Bildschirm im Haus“ sein, der „egal, welche anderen Tablets, Telefone, Bildschirme oder Fernseher man nutzt, eine VR-Version davon bietet, die auf eine Weise signifikant besser ist.“

Dieser Beitrag erschien am 5. November 2022 bei MIXED.

Handtracking ohne Haptik ist eine Sackgasse

Im August veröffentlichte Meta die Handtracking-Demo First Hand, die den aktuellen Stand der Technik repräsentiert. Die Technologie ist eindrucksvoll, aber hat trotz jüngster Verbesserungen noch immer Gimmick-Charakter. Wenn ich meine Meta Quest 2 aufsetze, greife ich instinktiv zu den Touch-Controllern. Das geht schneller und fühlt sich irgendwie direkter und befriedigender an, selbst wenn ich nicht spiele und nur durch Menüs navigiere.

Das liegt nicht nur an der Trägheit des Trackings, den Aussetzern und fehlenden Präzision, kurz: der nervösen Frickeligkeit der aktuellen Handverfolgung. Ich empfinde es als unangenehm, wenn ich eine Auswahl bestätige und nichts spüre oder schlimmer: virtuell ein digitales Objekt in die Hand nehme und dabei in die Luft greife. Das zerstört nicht nur die Illusion. Es versetzt mein Gehirn in einen Alarmzustand. Hallo, hier stimmt etwas nicht.

Metas EMG-Armband, das neuronale Signale in Computerbefehle umwandeln und haptisches Feedback liefern kann.

Dass es nicht nur mir so geht, bestätigt ein vor kurzem stattgefundener Twitter-Diskurs, in dem es um die Unzulänglichkeiten aktuellen Handtrackings geht. Nach meinem Demo-Erlebnis bin ich überzeugter denn je, dass der Handverfolgung etwas Grundlegendes fehlt und das ist irgendeine Form von Haptik. Ich wünsche mir deswegen keine haptischen Handschuhe herbei. Die sind weit entfernt von der Marktreife, wie Metas eigene Forschung zeigt, und obendrein viel zu umständlich, um sich im Alltag durchzusetzen.

Womöglich ist weniger mehr. Etwa eine leichte Vibration am Handgelenk, wenn ich ein virtuelles Menü berühre, um die Illusion zu schaffen, dass ich etwas in der physischen Welt bewirke. Virtual Reality beweist doch wieder und wieder, dass das Gehirn disparate Sinnesreize zu einem kohärenten Ganzen zusammenfügen kann und dass wir dafür nicht unbedingt eine Menge Technik-Krempel brauchen. Ich denke in diesem Kontext an Metas EMG-Armband, das neuronale Signale von Mikrogesten in Computerbefehle übersetzen und dazu passendes subtiles haptisches Feedback liefern soll. Die Haptik-Seite des Armbands geht zurück auf ein Forschungsprojekt namens Tasbi, das im Sommer 2019 erstmals vorgestellt wurde. Internen Studien zufolge kann das Wearable überzeugende haptische Effekte bis in die Fingerspitzen simulieren. Selbst komplexere Interaktionen wie das Drehen eines Knopfes, Oberflächenbeschaffenheit und Trägheit von Objekten soll das Armband haptisch unterstützen können, bei minimalem technischem Aufwand. Schafft es Meta, die Technologie zu miniaturisieren, könnte sie womöglich in einer Smartwatch Platz finden.

Das Armband soll Berichten zufolge in den nächsten Jahren auf den Markt kommen. Dass Meta vor kurzem Lofelt kaufte, zeigt, wie ernst es mit dem Unternehmen mit diesem Vorhaben ist. Das deutsche Start-up spezialisierte sich auf Haptik und stellte ein Armband her, dass Audiosignale in haptische Effekte verwandelt.

Apples kommendes Headset wird laut Berichten ohne Controller erscheinen und stattdessen nur auf Handverfolgung setzen. Sollte dem wirklich so sein, kann ich mir nicht vorstellen, dass Apple auf haptisches Feedback gänzlich verzichtet.

Mit oder ohne Haptik: Handtracking ist längst nicht reif für die große Bühne. Zumindest in der Form, in der ich sie von Meta Quest 2 kenne. Doch es gibt Hoffnung: Bessere Sensoren werden die Präzision steigern und die Latenz senken und Entwickelnde mit Software-Tricks dafür sorgen, dass sich Handtracking natürlicher und müheloser anfühlt. Aber selbst dann könnte es sein, dass ich Handtracking nur bei einfachen Anwendungen und der Menünavigation den Vorzug gebe und dass die Controller auf dem Tisch liegen bleiben. Gerade bei Spielen.

Apple und Meta: Überzeugt mich vom Gegenteil.

Dieser Beitrag erschien am 18. September 2022 bei MIXED.