Ist weniger Virtual Reality eigentlich mehr?

Virtual Reality soll in der maximalen Ausbaustufe sämtliche Sinnesreize simulieren. Die Umsetzung dieser Vision mittels Laufmaschinen und haptischer Handschuhe ist teuer, aufwendig und technisch vergleichsweise primitiv. Doch brauchen wir den ganzen Krempel überhaupt, um uns glaubhaft in eine andere Welt zu versetzen?

Als der große Hype um Virtual Reality einsetzte, hieß es, die Matrix sei nur noch eine Frage der Zeit. Wie lässt es sich anders erklären, dass Investoren Abermillionen US-Dollar in die Entwicklung exotischen VR-Zubehörs steckten, von dem man bei nüchterner Betrachtung annehmen musste, dass sie keine Käufer finden werden?

Knapp zehn Jahre später sind wir der Matrix kaum näher gekommen: Während sich VR-Brillen konstant weiterentwickeln und unseren Augen und Ohren eine immer lebensechtere Welt vorgaukeln, sind bei der Simulation anderer Sinne keine signifikanten Fortschritte zu verzeichnen.

Laufmaschinen sind groß, laut und schränken die Bewegungsfreiheit zu sehr ein. Haptische Handschuhe mit einem einigermaßen realistischen Tastgefühl sind so schwer und wuchtig, dass man fremde Hilfe braucht, um sie anzulegen. Diesen und ähnlichen Produkten ist eines gemein: Das Mehr an Immersion rechtfertigt den Aufwand und die Anschaffungskosten nicht. Der Matrix-Vision wird man sich wohl nur durch eine Gehirnschnittstelle nähern können und die bleibt Science-Fiction.

HaptX_Gloves

Die haptischen Handschuhe des Start-ups HaptX gelten als die fortschrittlichsten Geräte dieser Kategorie.

Die gute Nachricht ist, dass wir keinen Hirnchip oder dergleichen brauchen, um uns glaubhaft in andere Welten zu versetzen. Unser Hirn leistet das von sich aus. Man denke an die imaginären Welten, die beim Lesen entstehen oder noch basaler daran, was bei der Wahrnehmung passiert: Das Hirn fügt unterschiedlichste Sinneseindrücke zu einem stabilen Ganzen zusammen, das wir „Realität“ nennen.

Nutzen wir Virtual Reality, so greift der gleiche kognitive Mechanismus. Nur dank der Interpretationskunst unseres Gehirns entsteht zum Beispiel das Gefühl, dass wir uns durch einen Raum bewegen, obwohl wir in Wirklichkeit mit einer VR-Brille im Gesicht auf einem Stuhl sitzen.

Jedes immersive Medium abstrahiert mehr oder weniger von realen Sinnesreizen. Das wird auf lange Zeit auch Virtual Reality tun. Jedenfalls so lange, bis eine Technologie auftaucht, die dem Hardware-Overkill ein Ende setzt.

Bis dahin ist der Virtual Reality mit einem bescheideneren Anspruch als dem einer perfekten Simulation besser gedient. Zum Beispiel mit dem eines Mediums, das uns digitale Welten räumlicher und körperlicher erleben lässt als andere technische Medien. Das leistet Virtual Reality schon jetzt – ohne Laufmaschinen, haptische Handschuhe und ähnlichen Schnickschnack.

Dieser Beitrag erschien am 27. Dezember 2018 bei MIXED und wurde für dieses Blog überarbeitet.