§ 24. Das Medium. Zur sonderbaren Natur des Begriffs

Der allgemeine Begriff des Mediums hat für die Erkenntnis dieselben Eigenschaften wie der Begriff der Zeit: Er erhellt vieles, bleibt selbst hingegen dunkel. Diese sonderbare Natur des Begriffs, die einerseits in seiner fast schon universalen Anwendbarkeit gründete, andererseits darin, dass nie so recht begreiflich werden wollte, was er letztlich bezeichnet, war für die Wissenschaft, die sich mit seinen Erscheinungsformen beschäftigte, immer schon sowohl ein Fluch als auch ein Segen gewesen, jedoch dergestalt, dass der Fluch ebenso als ein Segen, der Segen ebenso als ein Fluch erscheinen mochte. So konnte diese Wissenschaft ihre Erkenntnisse auf vielen Gebieten erweitern, zugleich aber drohte sie einzubüßen, was ihr ihre Einheit gab.

§ 25. Zur rechten Herangehensweise an die Erläuterung eines solchen Begriffs

Es scheint mir nicht sonderlich klug zu sein, bei der ersten Gelegenheit, die sich bietet, gleich daran gehen zu wollen, einem solchen Begriff die Dunkelheit gleichsam auszutreiben, zumal sich andere aller Wahrscheinlichkeit nach bereits daran versucht haben. Vielversprechender scheint mir eine andere Herangehensweise, bei der die Dunkelheit nicht als das Resultat einer Privation des Lichts begriffen wird, sondern als etwas, dem selbst als ein Eigenes Geltung zukommt, wodurch die Dunkelheit als etwas begreiflich würde, das nicht ausgetrieben werden kann, sondern im Gegenteil als etwas, in das man hineinsteigen muss, um auf dem Weg in selbige nicht etwa zu beobachten, wie das Licht die Dunkelheit, sondern wie die Dunkelheit das Licht verdrängt. Damit aber ist in letzter Konsequenz die Notwendigkeit eines Ortes anerkannt, an den kein Licht geraten kann. Die rechte Herangehensweise an die Erläuterung des Begriffs wäre folglich nicht im Versuch verwirklicht, den Begriff des Mediums zu erhellen, sondern vielmehr, im Abschreiten jener Grenze, zu erhellen, weshalb man ihn nicht erhellen kann, weshalb er sein Geheimnis nicht preisgibt

§ 26. Metaphysische Versuchsanordnungen

Dass ich den Begriff des Mediums mit dem Begriff der Zeit in Zusammenhang brachte und in ihm etwas sehe, dessen Bedeutung nicht vollständig aufgeklärt werden kann, daran zeigt sich schon, dass ich ihn als einen metaphysischen Begriff verstehe. In den folgenden Betrachtungen, die eine Art spekulative metaphysische Versuchsanordnung darstellen, möchte ich versuchen, den Begriff des Mediums als den grundlegendsten aller metaphysischen Begriffe zu denken, um eine neue Vorstellung von dessen Bedeutung zu gewinnen, eine Bedeutung, welche die Dunkelheit, an die der Begriff grenzt, in sich aufnimmt.

§ 27. Bedingungen, Erscheinungen und Form

Worauf die Untersuchung eines Mediums letztlich abzielt, ist weder allein die Analyse seiner Bedingungen noch allein die Analyse seiner Erscheinungen. Bedingungen können ganz allgemein als dasjenige begreiflich werden, unter welchem Erscheinungen möglich werden, Erscheinungen können ganz allgemein als dasjenige begreiflich werden, was unter Bedingungen wirklich wird. Wie die Form dieser Definitionen bereits nahelegt, sind die Begriffe dialektisch organisiert, weshalb gilt, dass sie erst vermöge des sonderbaren Verhältnisses begreiflich werden, das sie zueinander eingehen. Dieses sonderbare Verhältnis ist jenes, wonach die Analyse der Bedingungen und die Analyse der Erscheinungen streben und worin ihre eigentliche Bedeutung liegt: eine Vorstellung von der Form des Mediums einzugeben. Die Form stellt eine Bemühung des Geistes dar, sich eine Vorstellung davon zu machen, wie das eine zu dem anderen, das andere zu dem einen komme, und sie ist dasjenige, wonach eine Formwissenschaft letzten Endes fragt. Dass der Begriff des Mediums für so viel Verwirrung sorgt, liegt folglich auch daran, dass er dreierlei Dinge bezeichnet: Bedingungen, Erscheinungen und Form.

§ 28. Es gibt nichts, das unvermittelt wäre, weil das erste Prinzip dasjenige der Vermittlung ist

Fragt man nach den ersten und letzten Bedingungen, so ließen sich Geist und Welt als solche ersten und letzten Bedingungen aller Erscheinungen denken. Aber Geist und Welt ließen sich mit gleichem Recht als die ersten und letzten Erscheinungen denken. Für die ersten und letzten Dinge scheint somit zu gelten, dass sie sowohl die ersten und letzten Bedingungen als auch die ersten und letzten Erscheinungen sind, dergestalt, dass der Geist unter den Bedingungen der Welt erscheint und die Welt unter den Bedingungen des Geistes erscheint. Damit ist das erste Prinzip eines der Vermittlung, wodurch die formwissenschaftliche Frage nach der Differenz von Medium und Leben in die formwissenschaftliche Frage nach der Eigengesetzlichkeit des Lebens selbst als einer Vermittlung von Geist und Welt eingeht. Zu leben bedeutet, zwischen Geist und Welt zu vermitteln und die allgemeine Form des Lebens ist dasjenige, was die Eigenschaften dieser Vermittlung beschreibt.