„Thumper“ – Ein bild- und klanggewaltiges VR-Spiel

Wenn es nach mir geht, gibt es derzeit in der Virtual Reality nichts Schöneres zu erleben als Thumper. Und das, obwohl es fast alle Erwartungen unterläuft, die man an ein VR-Spiel stellen kann.

Als ich zum ersten Mal in Thumpers Welt eintauchte, fühlte ich mich wie der Astronaut David Bowman, der hinter Jupiter durch das Sternentor in eine andere Dimension tritt. Mir war, als würden meine Augen und Ohren zu Gruben, in die sich Sturzbäche von Farben und Klängen ergießen. Die sinnliche Wucht dieses Spiels lässt sich kaum in Worte fassen.

Das liegt daran, dass es auf realistische Elemente weitgehend verzichtet und mich in eine Welt eintauchen lässt, die nur aus Formen und Farben besteht. Wie ein abstraktes Kunstwerk entzieht es sich einer sprachlichen Rekonstruktion und kann nur über die Sinne adäquat erfahren werden.

Thumper

Das gilt in noch größerem Umfang für Musik, von der man sagen könnte, dass sie die sinnlichste und deshalb auch mächtigste aller Kunstformen ist. Man denke an Homers Odyssee, in der der antike Dichter Homer von Sirenen erzählt, die vorbeifahrende Seeleute mit ihrem Gesang so stark betören, dass sie ihr Schiff auf die Felsen zusteuern und sterben. Thumper entwickelt mit seiner Musik eine ähnliche, fast rauschhafte Sogwirkung.

Das Spiel hat dennoch einige figurative Elemente und wollte man ihm eine Bedeutung zuschreiben, so könnte man in Thumpers irrer Fahrt ins Ungewisse eine Metapher für das Leben sehen. Die Straße, die man hinunterjagt, wäre dann nichts anderes als ein Bild für den Lebensweg, der sich fortwährend aus einem unbekannten Punkt herauswälzt: einem Weltenei, einer Vulva oder einer Singularität, je nachdem, ob man eine mythische, sexuelle oder physikalische Beschreibung bevorzugt.

Das Leben zu meistern würde heißen, die zahlreichen Hindernisse, die es einem in den Weg legt, als Elemente eines Tanzes zu begreifen. Hat man dessen Rhythmus verinnerlicht, werden Energien entfesselt, die zurückgeworfen werden können und weitere Türen einer endlosen Zimmerflucht öffnen.

Es erstaunt, dass Thumper so gut funktioniert, obwohl es viele Erwartungen an ein VR-Spiel unterläuft. Statt Spieler in eine möglichst realistisch wirkende Welt zu versetzen, hüllt es sie in Formen, Farben und Klänge und bietet auf diese Weise eine sinnliche Erfahrung, die ihresgleichen sucht.

Thumper setzt auch kaum auf physische Bewegung. Man kann sich zwar nach vorne und zur Seite neigen, diese Bewegung ist aber nicht essenziell für das Spiel. Im Grunde könnte man aufs räumliche Tracking verzichten. Trotzdem lässt einen das Spiel Raum und Geschwindigkeit in einer Weise erfahren, die hypnotisierend ist. Thumper verzichtet zudem auf Bewegungscontroller und setzt stattdessen auf das Gamepad. Auch dieser Umstand schadet dem Spiel nicht.

Hieraus kann man zwei Dinge lernen. Erstens: Kunst kennt keine absoluten Regeln. Zweitens: Kunst findet immer Wege, Einschränkungen jedweder Art zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Dieser Beitrag erschien am 26. November 2016 bei MIXED und wurde für dieses Blog überarbeitet.