Für das Dialektische kann es eigentlich keinen Begriff geben, weil das, wonach ein Begriff greift, stets eine Einheit ist, mithin etwas, das seinem Wesen nach zu einem Abschluss gekommen ist. Was das Dialektische letzten Endes ist, kann für den Geist folglich nicht schlechthin begreiflich werden. Aber die vorhergehende Betrachtung gibt eine Antwort darauf, weshalb dies der Fall ist: weil der Geist nur der Ausdruck einer Kraft innerhalb des Dialektischen darstellt und das Einzige, was schlechthin ist und damit ein Ende darstellt, die Unendlichkeit des Dialektischen selbst ist. Die Vorstellung, dass der Geist sich allein vermöge seiner selbst das Dialektische begreiflich machen könnte, und zwar schlechthin, ist eine irreführende Vorstellung, weil er dabei aus etwas hinaussteigen müsste, dessen bloßes Element er ist. Nein, die einzige Form, in der das Dialektische sich uns mitteilt ist das Leben, der Vollzug des Dialektischen selbst als einer Geistwerdung der Welt und als einer Weltwerdung des Geistes. Darin besteht letzten Endes die Vorstellung des Lebens als einer Vermittlung von Geist und Welt.
§ 32. Zum Geltungsgleichgewicht von Geist und Welt. Die Überwältigung der Welt durch den Geist
Aus dieser Betrachtung ergibt sich die bedeutsame Einsicht, dass Geist und Welt Wirkungsgrößen sind, die mit gleichem Recht Geltung beanspruchen. Eine Philosophie, welche sich mit dem Geist beschäftigt, ist ebenso notwendig wie eine Philosophie, die sich mit der Welt beschäftigt, aber weder Geist noch Welt kann als ein zugrundeliegendes Erstes angesehen werden, von dem her das jeweils Andere als eine defiziente Form desselben aufzufassen wäre. In der Philosophie schlägt diese Bewegung in der Regel zugunsten des Geistes aus, was kaum verwundert, ist doch der Zugang, den die Philosophie zum Leben hat, vornehmlich derjenige des Geistigen. Was infolge einer solchen déformation professionelle droht, ist eine Überwältigung der Welt durch den Geist. Man könnte in der Vorstellung, dass es nur einen Gott gebe, dass das Böse eine defiziente Form des Guten darstelle und dass ein Ding an sich existiere, Erscheinungsformen einer solchen Überwältigung sehen, in denen sich die unendliche Sehnsucht des Geistes ausdrückt, noch jenseits des Begreiflichen ein Ende zu setzen zu wollen.
§ 33. Die Entdeckung des Göttlichen und das schlechthin Unteilhaftige
Dass sämtliche Versuche scheiterten, die Existenz Gottes zu beweisen, liegt daran, dass das Göttliche sich gerade in seiner Unbeweisbarkeit kundtut, dem Ab- und Aufgrund von Geist und Welt als den Bedingungen der zweifachen Bewegung des Dialektischen. Der Sinn dieser Bewegung ist in der Entdeckung des Göttlichen zu finden. Die Entdeckung ist jene Form, vermöge welcher wir des Göttlichen teilhaftig werden. Denn das Dialektische bewegt sich in diese Gründe hinein und zugleich widersteht sie ihrem Sog, sie deckt und entdeckt das Göttliche, um einer Blendung zu entgehen, dem Sturz in die grundlosen Gründe, bei welchem uns, angesichts eines schlechthin Unteilhaftigen, dem wir bloß noch mit einem Schweigen begegnen können, der Schrecken befällt. Die höchste Konkretion dieses schlechthin Unteilhaftigen, der das Ende des Dialektischen und damit das Ende des Lebens als einer Vermittlung von Geist und Welt bedeutet, ist der Tod.
§ 34. Das Dialektische als ein Dazwischen
Das Dialektische ist das, was sich in einem Dazwischen zuträgt. Es auferlegt allem eine Grenze. Es kann weder vollkommen bejahen noch vollkommen verneinen, denn beides führte in ein Schweigen. Es sagt auch nicht, dass alles beliebig ist, es sagt bloß, dass weder etwas schlechthin bestimmt noch etwas schlechthin unbestimmt ist.
§ 35. Das Spiel der Philosophie
Dadurch wird die Unmöglichkeit einer Erkenntnis schlechthin zur Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis. Denn Erkenntnis als dasjenige, wonach die Philosophie strebt, ist immer Erkenntnis einer Eigengesetzlichkeit des Geistes oder einer Eigengesetzlichkeit der Welt, aber diese gehen in die Eigengesetzlichkeit des Lebens als einer Vermittlung von Geist und Welt ein, die als solche an ein schlechthin Unteilhaftiges grenzt. Die Philosophie hat mit dem Spiel gemein, dass sie nach Regeln spielt, die sie selbst formuliert. Etwas Wahres zu sagen, würde bedeuten, dass man nach den richtigen Regeln spielte, wobei solches sich darin kundtäte, dass die Regeln auf wundersame Weise mit den Gesetzen sich im Einklang zeigen. Wahrheit kann als ein solches Geschehen begreiflich werden.