Luke Ross verdient 10.000 US-Dollar im Monat mit VR-Mods

Während Open-World-Games auf dem PC und Konsolen zu den erfolgreichsten Videospielgenres gehören, fristen sie im VR-Gaming ein Nischendasein. Der Grund: Die Entwicklung und Vermarktung solcher Spielebrocken verschlingt hunderte Millionen US-Dollar, eine Investition, die sich in der VR-Nischen nicht wieder hereinholen ließe. Selbst VR-Portierungen sind eine Seltenheit, die große Studios kaum je anstrengen, weil die Einnahmen vernachlässigbar klein wären. Skyrim VR ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.

Weil die Publisher nicht liefern und große Nachfrage seitens Hardcore-Spielern besteht, entstand in den letzten Jahren eine lebendige Mod-Community, die 2D-Hits für PC-VR adaptiert. Der bekannteste Modder ist ein Entwickler mit dem Pseudonym Luke Ross, der im Alleingang VR-Unterstützung für Titel wie GTA 5, Red Dead Redemption 2, die Mafia-Trilogie, Cyberpunk 2077 und Horizon: Zero Dawn programmierte.

Auf Patreon hat Ross derzeit mehr als 2.000 Unterstützer:innen, die ihm monatlich 10 US-Dollar für den Zugang zu den neuesten Versionen seiner Mods überweisen. Die Abonnentenzahl steigt und fällt über das Jahr hinweg und nach Abzug der Patreon-Gebühren und Steuern bleiben noch rund 10.000 US-Dollar Einkommen pro Monat übrig, verrät mir Ross in einer E-Mail. Das entspricht dem Gehalt eines leitenden Spielentwicklers oder übertrifft dieses sogar. Keine Frage: Ross hat eine Marktnische entdeckt und aus seinem Hobby einen lukrativen Traumberuf gemacht. Ein Trick, den ihm so bald niemand nachmachen wird.

Ein Bild der PS5-Version von Grand Theft Auto 5. | Bild: Rockstar Games

Vor seiner Modding-Karriere war Ross ein freiberuflicher Softwareentwickler mit einer großen Leidenschaft für Videospiele. „Ich war mein ganzes Leben lang Gamer und habe neue Technologien schon immer geliebt, vor allem, wenn sie ein immersiveres Spielerlebnis ermöglichen, zum Beispiel 3D-Brillen“, sagt mir Ross. Für die aufkommende Virtual Reality war er Feuer und Flamme: 2012 gehörte Ross zu den ersten Unterstützern des Oculus-Kickstarters.

Ross begann weit früher mit Modding. Als großer Fan des Ego-Shooters No One Lives Forever 2, entwickelte er eine Mod, die das Spiel mit Nvidia 3D Vision und der dazugehörigen 3D-Shutterbrille kompatibel machte. Als die ersten kommerziellen VR-Geräte auf den Markt kamen, zögerte Ross nicht und programmierte eine Mod, die NOLF 2 mit VR-Brillen spielbar machte. Das war 2017. „Die Reaktion war sehr positiv und ermutigend, was mich später dazu veranlasste, ein viel größeres und komplexeres Spiel in Angriff zu nehmen: GTA 5“, sagt Ross. Das Ergebnis: Seine R.E.A.L.-Mod wurde von mehr als 150.000 Nutzern heruntergeladen. „Danach habe ich beschlossen, den Sprung zu wagen und herauszufinden, ob ich Vollzeit-Modder werden kann.“

Wenn die Nachfrage besteht, weshalb portieren die großen Studios dann ihre Spiele nicht selbst, frage ich Ross. „Das ist eine traurige Kombination mehrerer Faktoren“, meint der VR-Modder. In den frühen Hype-Jahren, also zwischen 2012 und 2016, sei „alles viel zu schnell passiert“. Überzogene Erwartungen vonseiten der Investoren und Spielern seien „hemmende Faktoren“ für eine gesunde Entwicklung des VR-Markts gewesen. Der letzte Sargnagel, so meint Ross, war das unglückliche Timing bei der Einführung von VR-Controllern gewesen.

„Von Spielentwicklern wurde plötzlich erwartet, dass sie Spiele nach einem völlig anderen Paradigma entwickeln, als sie es in der Vergangenheit getan hatten: Alles in ihren Spielen sollte nun interaktiv sein und auf virtuelle Hände reagieren“, erklärt Ross.

Die Studios und Publisher hätten auf diese Herausforderung abwehrend reagiert. „Als sie unter Druck gesetzt wurden, ein völlig anderes Produkt zu liefern, das auf einen Nischenmarkt zugeschnitten war, der zudem noch in den Kinderschuhen steckte und keine großen Gewinne abwerfen konnte, haben sie einfach dichtgemacht und beschlossen, Virtual Reality als vorübergehende Modeerscheinung anzusehen und zu ignorieren“, sagt Ross. Besser wäre es gewesen, wenn die VR-Hersteller zumindest für den Anfang auf Gamepad-VR gesetzt hätten, statt den Rest der Industrie mit voreiligen Innovationen abzuschrecken, so Ross‘ These.

„Was VR ausmacht, ist, dass man im Spiel ist und nicht jedes Mal mit den Armen herumfuchteln muss, wenn man mit etwas interagiert. Das gilt besonders für Spiele, die Hunderte von Stunden dauern, wie die großen Open-World-Titel. Bei solchen langen Spielsitzungen möchte man sitzen und die Hände entspannt im Schoß haben“, meint Ross, der in seinen Mods bewusst keine Unterstützung für Bewegungssteuerung anbietet.

Die dystopische Zukunft von Cyberpunk 2077. | Bild: CD Projekt Red

Seine Kritik trifft auch Valve, die ein widersprüchliches Verhalten an den Tag gelegt hätten. Das Unternehmen hätte zum einen eine unerreichbar hohe Messlatte gelegt mit Half-Life: Alyx und dem Beharren darauf, dass „alles auf neue und fantastische Weise speziell für VR gemacht werden muss“. Zum anderen hätte Valve eine „unglaubliche Kehrtwende“ vollzogen, indem sie sämtliche VR-Projekte aufgaben und auf Steam Deck umschwenkten. „Was für eine merkwürdige Art, ein Beispiel für den VR-Markt zu setzen“, meint Ross.

Seine Agenda sei simpel: Er wolle den Glauben der Verbraucher und Entwickler wiederherstellen, „dass VR jetzt und hier möglich ist“. Der VR-Markt müsse sich erst entlang gewohnter Gaming-Paradigmen entwickeln. Erst wenn er gereift ist, könnten Investoren neue Interaktionsformen in Erwägung ziehen. „Der Versuch, das Gegenteil zu tun, also nach großen Investitionen zu fragen, bevor der Markt bereit ist, ist ein sicherer Weg, die goldene Gans zu töten und am Ende mit nichts zu enden“, sagt Ross.

Der VR-Modder verdient gut an fremden Spielen. Könnte es sein, dass das zu einem Problem wird und die großen Publisher seinen Projekten einen Riegel vorschieben? Ross hat keine Sorgen diesbezüglich. „Die Situation unterscheidet sich von der anderer Modder, denn ich biete nur eine zusätzliche Option, die Originalspiele zu erleben, was letztlich mehr verkaufte Exemplare für die Studios und Publisher bedeutet“, meint Ross.

Ein bestimmtes Konfliktszenario kann er sich dennoch vorstellen: wenn die Eigentümer einer Spielemarke eine eigene VR-Portierung entwickeln, die in Konkurrenz zu seinen VR-Mods steht. In diesem Falle wäre er bereit, ein Projekt einzustampfen oder aber eine Win-win-Situation auszuhandeln.

Wäre es denkbar, dass er bei einem großen Studio anheuert, um eine offizielle VR-Portierung zu entwickeln? Für Ross kommt das derzeit nicht infrage. „Ich bekam ein paar interessante Offerten, aber ich habe das Gefühl, dass ich als unabhängiger Modder einen viel größeren Einfluss und eine größere Befriedigung durch meine Tätigkeit habe“, sagt der VR-Modder. Ein Ende seiner Arbeit sieht er nicht in Sicht. „Solange die Leute daran interessiert sind, riesige Open-World-Spiele in VR zu spielen, solange werde ich weitermachen.“

Dieser Beitrag erschien am 17. April 2022 bei MIXED. Das US-Techmagazin The Verge griff das Thema auf und brachte am 1. Juli einen eigenen Artikel mit ähnlicher Überschrift heraus. Wenig später drohten Take-Twos Anwälte, rechtliche Schritte gegen Patreon einzuleiten. Luke Ross sah sich gezwungen, alle VR-Mods von Spielen des Publishers der Förderplattform zu entfernen. Davon betroffen waren die Mods von GTA 5, Red Dead Redemption 2 und Mafia Definitive Edition.

Augmented Reality: So steht es um die Zukunftstechnologie

Dieser Beitrag unternimmt den Versuch einer allgemeinen Kategorisierung. Sein Zweck ist, einen Überblick zu geben über die wichtigsten Geräteklassen und dabei zugleich die Entwicklung bis 2022 widerzuspiegeln: von AR-tauglichen mobilen Geräten über AR-Headsets wie Hololens und Magic Leap bis zu den ersten VR-Headsets mit Passthrough-AR.

Mobile-AR

Andere Bezeichnungen oder Unterformen: Smartphone-AR, Tablet-AR
Bekannte Schnittstellen: ARKit, ARCore
Vorteile: große Verbreitung, gereifte Schnittstellen
Nachteile: umständliche Nutzung, kleiner Bildausschnitt, kein echtes 3D, eingeschränkte Interaktivität

Mobile-AR ist Augmented Reality mithilfe mobiler Geräte wie Smartphones und Tablets. Die nutzen eine Kamera und weitere Sensoren sowie maschinelles Sehen, um digitale Objekte und Informationen kontextsensitiv im physischen Raum darzustellen. Auf dem Display des Smartphones oder Tablets verschmelzen die digitalen und physischen Elemente.

Mobile-AR projiziert digitale Objekte auf realistische Weise in die physische Umgebung. | Bild: Apple

Erste ausgereifte Schnittstellen für Mobile-AR waren die Entwicklungskits Vuforia und Wikitude. 2017, mit der Vorstellung von Apples ARKit und der Integration der Schnittstelle in iOS, erreichte Mobile-AR die Massen. Google folgte 2018 Apples Beispiel mit ARCore, einer Lösung für Android-Geräte. Weitere einflussreiche Schnittstellen sind Spark AR von Meta, Snap AR und das von Niantic erworbene 8th Wall.

Da Smartphones allgegenwärtig sind, ist Mobile-AR die weit verbreitetste und meist genutzte Form von Augmented Reality. Zu den beliebtesten Anwendungen gehören AR-Spiele wie Pokémon Go, Gesichtsfilter und Googles AR-Suche.

Datenbrillen

Andere Bezeichnungen oder Unterformen: Smartglasses, Videobrillen, Kamerabrillen, Audiobrillen
Bekannte Beispiele: Google Glass, North Focals, Ray-Ban Stories, Echo Frames, Snap Spectacles (1-3)
Vorteile: vergleichsweise schmaler Formfaktor
Nachteile: schwache bis keine AR-Funktionalität, schmales Sichtfeld

In diese Klasse gehören Geräte, die sich am Formfaktor einer herkömmlichen Brille orientieren und möglichst unauffällig wirken wollen, aus diesem Grund aber lediglich rudimentäre Augmented Reality bieten: Sie blenden nützliche Informationen im Sichtfeld ein (Google Glass, North Focals) oder beamen virtuelle Bildschirme in den Raum (Nreal Air), ohne die physische Umgebung zu berücksichtigen.

Die Ray-Ban Stories mit zwei integrierten Kameras ist von einer normalen Ray-Ban fast nicht zu unterscheiden. Der tolle Formfaktor wird unter anderem dadurch erkauft, dass sie kein Display bietet. | Bild: Meta / Ray-Ban

Andere Geräte dieser Klasse haben kein Display verbaut und bieten dafür alternative smarte Funktion wie Kameras und Lautsprecher (Ray-Ban Stories) oder Sprachassistenz (Echo Frames). Die stark beschränkte AR-Funktionalität ist in allen Fällen auf technische Gründe zurückzuführen: die Miniaturisierung von AR-Technik ist nur ansatzweise gelungen.

Das meist recht schmale Sichtfeld und der mit diesem einhergehende eingeschränkte Nutzen der Geräte hat eine größere Verbreitung bislang verhindert. In einigen Fällen sind die Datenbrillen optisch immer noch als solche auszumachen und daher nicht sozialverträglich. Google Glass floppte wegen dieses Umstands und der integrierten Kamera, die Kontroversen rund um Privatsphäre und Datenschutz hervorrief.

AR-Headsets

Andere Bezeichnungen oder Unterformen: Seethrough-AR-Headsets
Bekannte Beispiele: Microsoft Hololens, Magic Leap, Snap Spectacles
Vorteile: Fortschrittliche AR-Funktionalität
Nachteile: vergleichsweise wuchtig, schmales Sichtfeld, teuer

AR-Headsets haben eine andere Prämisse als Datenbrillen: Abstriche beim Formfaktor werden in Kauf genommen, um Raum zu schaffen für wichtige Grundfunktionen von Augmented Reality wie räumliches Tracking und 3D-Mapping der Umgebung. Dementsprechend wuchtig sind die Geräte und nicht mit herkömmlichen Brillen zu verwechseln, weshalb diese Kategorie auch mit AR-Headsets statt AR-Brillen (siehe Kategorie 5) überschrieben ist.

Die bekanntesten AR-Headsets sind Microsoft Hololens und Magic Leap. Die erste Hololens erschien 2016. 2018 folgte die Magic Leap One (heute: Magic Leap 1) und 2019 die Hololens 2. 2022 kommt die Magic Leap 2 auf den Markt.

Hololens 2: Gute AR-Technik mit Schwächen beim Display, die deshalb und wegen des Formfaktors noch nicht für den Alltag geeignet ist. | Bild: Microsoft

Wegen ihres hohen Preises, der experimentellen Technik und ihrem Aussehen sind die Geräte unattraktiv für Endverbraucher. Abnehmer sind primär Unternehmen, Profis und AR-Enthusiasten, die für die Brillen und spezifische Nutzungsszenarien maßgeschneiderte Anwendungen entwickeln. Hololens 2 und Magic Leap 2 brachten zwar Fortschritte in Bereichen wie Formfaktor, Tragekomfort, Bedienung und Sichtfeld. Einen technischen Durchbruch, der die Geräte auch für Konsumenten interessant machen könnte, gelang ihnen aber nicht.

Gerüchten zufolge hat Microsoft die Arbeit an Hololens 3 eingestellt. Stimmt das, wäre Magic Leap der einzige größere Akteur, der AR-Headsets herstellt. Das könnte ein Hinweis sein, dass der Formfaktor keine große Zukunft hat, da Hersteller dieser Geräte über kurz oder lang in Kategorie 5 landen wollen.

Interessante Hybriden sind Nreal Light und Snaps Spectacles. Beide Geräte gehen optisch in Richtung einer herkömmlichen Brille und bieten grundlegende AR-Features. An die technischen Kapazitäten echter AR-Headsets kommt sie aber nicht heran. Der Formfaktor ist zwar schlanker als bei einem Headset wie Hololens, aber noch immer deutlich größer als bei einer Brille.

Passthrough-AR-Headsets

Andere Bezeichnungen oder Unterformen: Mixed-Reality-Headsets
Beispiele: Project Cambria, Lynx R-1, Varjo XR-3
Vorteile: derzeit beste AR-Funktionalität, weites Sichtfeld
Nachteile: Formfaktor

AR-Headsets wie Hololens und Magic Leap leiten das Licht eines Bildprojektors in ein transparentes Glas, den sogenannten Wellenleiter, der das Bild anschließend ins Auge wirft. Diese Technik steckt in den Kinderschuhen, ist komplex und teuer in der Herstellung.

Passthrough-AR-Headsets hingegen setzen auf das gleiche Bauprinzip wie VR-Brillen, was die Herstellung erleichtert und die Kosten senkt, da es sich um weitgehend etablierte Technik handelt. Sie werden in den nächsten Jahren voraussichtlich die beste Hardware für fortschrittliche Augmented Reality werden.

Im Gehäuse von Passtrough-AR-Headsets sind Kameras verbaut, die die Umgebung filmen und als Videobild an die undurchsichtigen Bildschirme weiterleiten. So entsteht die Illusion, die umgebende Welt zu sehen, die auf den Displays beliebig um digitale Elemente erweitert werden kann.

Erstes Bild von Project Cambria

Project Cambria kommt voraussichtlich an den Formfaktor der Hololens 2 heran. Wesentlich kleiner dürften Video-AR-Headsets wegen der benötigten Technik zeitnah nicht werden. | Bild: Meta

Diese Darstellungstechnik hat Vorteile gegenüber klassischen AR-Headsets mit transparenten Wellenleitern: Sie ermöglicht ein weites Sichtfeld vergleichbar mit VR-Headsets, realistische Verdeckung physischer Objekte, Darstellung von Schatten und Dunkelheit und fließende Übergänge entlang des Mixed-Reality-Spektrums.

Nachteile von Video-AR wie Latenz und eine fixe Fokusebene wiegen nicht so schwer wie die Kompromisse herkömmlicher AR-Headets (geisterhafte AR-Objekte, schmales Sichtfeld).

Deswegen hoffen viele Unternehmen auf einen größeren Erfolg von Video-AR-Headsets. Meta und Lynx bringen dieses Jahr entsprechende Geräte auf den Markt und ähnliche Headsets von Apple, Google, Samsung und Microsoft sollen gerüchteweise in den nächsten Jahren folgen.

Der Formfaktor dieser Art Headsets ermöglicht zwar fortschrittliche AR, ist aber zugleich der größte Nachteil: Wie VR-Headsets sind die Geräte wuchtig und nur bedingt alltagstauglich, weshalb die Nutzung größtenteils auf Innenräume und dafür vorgesehene Areale beschränkt bleiben dürfte.

AR-Brillen

Andere Bezeichnungen oder Unterformen: AR Glasses
Beispiele:
Vorteile: Brillenformfaktor, hervorragende AR-Funktionalität, weites Sichtfeld
Nachteile: offene Fragen bezüglich Datenschutz und Privatsphäre, technische Infrastruktur ist eine große Herausforderung

Eine stylische und bequeme Brille mit AR-Features, die Träger im Alltag unterstützt, lebensechte Hologramme in den Raum projiziert und analoge und digitale Realität gekonnt vermischt: Das ist der Traum, auf den die AR-Industrie hinarbeitet und der seit Jahren kaum näher rückt. Ob er jemals Wirklichkeit wird, entscheidet sich laut Metas wichtigstem Technikforscher Michael Abrash in dieser Dekade.

Die Liste der Hürden ist lang: Eine richtige AR-Brille müsste eine immense Computerleistung für die komplexen Aufgaben bei AR-Berechnungen bieten und dennoch ausreichend Akkuleistung für einen ganzen Tag haben, ähnlich wie unsere Smartphones heute.

Mit Project Aria erforscht Meta Grundlagen für die AR-Brillenzukunft. Der aktuelle Prototyp ist funktionstüchtig: Erste Tester sammeln damit Alltagsdaten über Kameras und Tiefensensoren. Die Brille hat allerdings keinen Bildschirm und keine Grafikeinheit verbaut. Der Formfaktor ist in etwa das, was Meta und andere Tech-Konzerne realistisch anstreben dürften. | Bild: Meta

Neben den Prozessoren müssen zwei oder mehr Kameras ins Brillengestell passen, über die sich die Brille in der Umgebung orientiert und etwa Orte, Objekte und Personen wiedererkennt. Dabei darf die Brille weder zu groß, noch zu schwer und warm werden.

Eine mögliche Lösung für einige der technischen Herausforderungen wäre 5G-Streaming: Inhalte kommen fertig aus der Cloud, die Brille muss sie „nur“ noch in die Umgebung projizieren und Interaktion ermöglichen. So könnte man einen Teil der Rechenlast auslagern und die Brillen schlanker bauen.

Doch selbst wenn diese Probleme gelöst wären, besteht noch immer die Frage, wie die Öffentlichkeit auf AR-Brillen reagiert, die ihre Umgebung fortwährend filmen und analysieren. Diese Debatte muss erst noch stattfinden. Die Erfahrungen von Google Glass zeigen, dass sie kompliziert werden dürfte.

AR-Kontaktlinsen

Beispiele: Mojo Lens, Inwith

Noch mehr Zukunftsmusik als schlanke AR-Brillen sind AR-Kontaktlinsen. Start-ups wie Mojo Vision oder Inwith stellen zwar erste, technisch beeindruckende Prototypen vor. Deren Funktionalität ist aber rudimentär.

Der Prototyp der Mojo Lens kann Inhalte in einem 15-Grad-Sichtfeld direkt auf der Retina darstellen. Per Eye-Tracking erkennt die Linse, wohin das Auge gerade blickt, und passt das Bild entsprechend an. Derzeit kann das selbst entwickelte Display nur grün darstellen, Raum- und Objekterkennung bietet die Linse nicht.

Ein Einsatz im medizinischen Umfeld für spezifische Augenkrankheiten, etwa als Kontrastverstärker, ist zunächst wahrscheinlicher. Ein externer Zuspieler wie ein Taschencomputer oder Cloud-Streaming sind in jedem Fall notwendig.

Dieser Beitrag erschien am 3. April 2022 bei MIXED. Matthias Bastian hat am Text mitgewirkt.

Nuklearer Schatten: „In the Morning You Wake“ ist ein eindringlicher Weckruf

In den Morgenstunden des 13. Januar 2018 erhält die hawaiianische Bevölkerung eine schockierende SMS: Eine ballistische Rakete ist auf dem Weg zur Insel. „Suchen Sie sofort Schutz. Das ist keine Übung“, steht in der Nachricht.

Unter den 1,4 Millionen Einwohnern bricht Panik aus. Die Menschen suchen Schutz in Gebäuden, klettern in die Kanalisation, setzen Notrufe ab. 38 Minuten lang herrscht Ungewissheit und Todesangst, bis eine zweite SMS Entwarnung gibt: Es handelt sich um einen versehentlich ausgelösten Fehlalarm. Der VR-Film „In the Morning You Wake (To the End of The World)“ zeigt, wie die Einwohner auf den Ernstfall eines nuklearen Angriffs reagierten und er tut dies mit Mitteln, die das Erzählmedium Virtual Reality auszeichnen.

Die halbstündige Dokumentation wird in Echtzeit auf der Meta Quest 2 gerendert und erlaubt es, die Szenen frei zu begehen. Viele der Schauplätze setzen sich aus Punktewolken zusammen, die den nuklearen Schatten symbolisieren, unter dem die Menschheit lebt. Die tanzenden Punkte verleihen dem VR-Film visuelle Dynamik und regen die Vorstellungskraft der Zuschauer:innen an, da sie die Welt nur umrisshaft zeigen.

Überhaupt ist alles in Bewegung. Die Dokumentation spielt mit Kamerafahrten, Perspektiven und Größenverhältnissen und inmitten all dessen steht das Publikum und erlebt, was Hawaiis Bewohner empfunden haben mussten: eine aus den Fugen geratene Welt.

Eine weitere Besonderheit des VR-Films sind die volumetrischen Darsteller, die vorab mithilfe 140 Kameras eingescannt wurden und in den Szenen als Hologramme erscheinen. Sie stehen für die Menschen, die diesen Albtraum durchleben mussten und deren Stimmen man in der Dokumentation erzählen hört. Die Aufzeichnungen stammen aus 100 Stunden Interview-Material.

On the Morning You Wake ist voller Szenen, die ich niemals vergessen werde, die sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt haben: eine Visualisierung des Einschlags der Hiroshima-Bombe, atomare Raketen, die um den verletzlich wirkenden Erdball fliegen und die letzte Szene, die durch Einbeziehung des Publikums auf ergreifende Art an nukleare Abrüstung appelliert.

Dieser Beitrag erschien am 2. April 2022 bei MIXED.

Ich liebe Virtual Reality – aber das Metaverse juckt mich nicht

Mark Zuckerberg beschreibt das Metaverse als Nachfolger des Internets, den wir als Avatare betreten und räumlich erfahren. Das soll ein Gefühl von Anwesenheit und soziale Nähe vermitteln, zu der Chaträume und Videotelefonie nicht in der Lage sind. Im Metaverse wird man unter anderem spielen und arbeiten können, aber für den Gründer des weltweit größten sozialen Netzwerks ist das nächste Internet primär eines: eine Begegnungsplattform.

Fortnite, Roblox und Minecraft geben Zuckerberg recht. Alle drei Plattformen werden als Vorläufer des Metaverse gehandelt und haben eine starke soziale Komponente: Hier dreht sich alles um das gemeinsame Erleben oder Bauen digitaler Welten.

Auch Virtual Reality hat erste Mini-Metaversen wie VRChat und Rec Room hervorgebracht, die sowohl in VR als auch in 2D zugänglich. Metas eigener Wurf Horizon Worlds startete Ende 2021 in Nordamerika und soll dieses Jahr auch für mobile Geräte erscheinen, wie Zuckerberg vor kurzem ankündigte. Das ist unabdingbar, da VR-Brillen längst nicht so verbreitet sind wie Smartphones und die Attraktivität eines sozialen Netzwerks mit der Größer seiner Nutzerschaft steigt. Die braucht Horizon Worlds, um überhaupt relevant zu werden.

Eine Szene aus der Social-VR-Plattform Rec Room.

Obwohl ich mich seit 2016 eingehend mit Virtual Reality beschäftige, habe ich mir VRChat und ähnliche Plattformen erst vor kurzem näher angesehen und auch das nur wegen des gegenwärtigen Metaverse-Hypes. Der Grund für meine Metaverse-Abstinenz ist ganz einfach der, dass ich schlicht kein Bedürfnis habe, andere Menschen in Virtual Reality kennenzulernen, weshalb mein Mikrofon auch meisten abgeschaltet bleibt. In dieser Frage bin ich altmodisch und bevorzuge Treffen im physischen Raum, sofern sie geografisch möglich sind.

Ich bin wohl ein Spezialfall und liebe VR gerade, weil sie mich für eine halbe Stunde oder Stunde von meiner physischen und sozialen Umwelt isoliert. Zum Glück bin ich nicht der Einzige, der so denkt. Der ehemalige Oculus-Technikchef John Carmack bezeichnet die VR-Brille als „Kopfhörer für die Augen“ und sieht sich innerhalb Metas als Quertreiber, der für die Macht der Isolation eintritt.

Das Wort ist negativ konnotiert, doch Isolation muss an sich nichts Schlechtes sein. Bücher liest man in der Regel allein, ohne dass man darüber zum Sonderling wird und auch andere Formen der Unterhaltung werden nicht zwingend besser dadurch, dass man sie mit anderen teilt.

Wie ich vor zwei Jahren schrieb: Virtual Reality ist das ideale Medium, um vom Alltag Abstand zu nehmen und sich zu sammeln. Sie ist meine Oase der Ruhe, die durch soziale Interaktion nur gestört würde. Was nicht heißt, dass ich mich gelegentlich gerne in der Virtual Reality treffe. Aber in VRChat und Konsorten wird man mir bis auf Weiteres eher nicht begegnen. Was mich betrifft, kann das Metaverse warten.

Dieser Beitrag erschien am 13. Februar 2022 bei MIXED.

Dieses Spiel zeigt, was an AR fasziniert – und beunruhigt

Ich habe dieser Tage eine neue Beschäftigung gefunden, die ich als beglückend empfinde: Ich setze mich abends mit meiner Meta Quest 2 hin und stelle im Raum schwebende Puzzlesteine zu geometrischen Figuren zusammen. Dazu erklingt klassische Klaviermusik.

Die Puzzlesteine erscheinen nicht auf dem Fernseher, meinem Smartphone oder in einer virtuellen Welt. Nein, sie schweben im Wohnzimmer direkt vor mir. Und ich kann sie mit den eigenen Händen und Fingern greifen und bewegen. Controller oder Gamepads? Überflüssig. Gerät ein Stein außer Reichweite, ziehe ich ihn mit einer einfachen Geste zu mir heran, so lässig wie ein Jedi aus Star Wars.

Mit seinem neuen AR-Modus und dem geschmeidigen Handtracking zeigt Cubism wie kein anderes Spiel, was die Zukunft der Augmented Reality bereithält, gerade wegen seiner Schlichtheit und Eleganz und dem Umstand, dass es sich so wunderbar ins alltägliche Leben fügt.

Spieler berührt digitale Spielemente in physischer Umgebung

Video-AR, Handtracking und ein geniales Design machen Cubism einzigartig. | Bild: Thomas van Bouwel

Cubism holt nicht die physische Umgebung ins Spiel, es bringt das Spiel in die physische Umgebung. Und mein Hirn akzeptiert diese Illusion einer digital erweiterten Realität bereitwillig und ohne Anstrengung, selbst mit dem grobkörnigen Schwarzweiß-Kamerabild der Meta Quest 2.

Heutzutage muss man sich für eine solche Erfahrung eine wuchtige VR-Brille aufsetzen, doch entsprechende Geräte werden schon bald leichter, bequemer und leistungsfähiger sein. Gelingt es Meta, Apple und Microsoft, die Technologie weiter zu miniaturisieren, könnte sie in dieser oder ähnlicher Form alltäglich werden.

Cubism ist natürlich erst der Anfang, ein schmales Fenster in die Zukunft der Augmented Reality. Seine erstaunliche Effektivität wirft die Frage auf, wohin die Technologie uns eines Tages führen könnte.

Vom Smartphone sagt man, dass es Superkräfte verleiht. Wir können von überall aus und jederzeit auf das gesamte menschliche Wissen zugreifen, uns mit Menschen verbinden und unterhalten, die auf der anderen Seite der Erdkugel leben und navigieren zielsicher an jeden Bestimmungsort. Kein Wunder, tragen wir diese Geräte ständig mit uns herum und fühlen uns hilflos, wenn sie uns abhandenkommen.

Augmented Reality könnte diese Superkräfte potenzieren, aber damit auch die Abhängigkeit von Technologie. Werden wir uns unserer Möglichkeiten beraubt fühlen, wenn wir die AR-Brille zu Hause vergessen oder verlegen und die pure physische Realität als grau und trostlos empfinden?

Eine beunruhigende Frage und Vorstellung, die so alt ist wie die Science-Fiction, aber längst nicht mehr so unwirklich und futuristisch, wie wir glauben.

Dieser Beitrag erschien am 30. Januar 2022 bei MIXED.