§ 20. Die zwei Fragen einer Formwissenschaft als Fragen nach dem Schein

Dies bedeutet nicht, dass die klassische Frage der Formwissenschaft nach der Differenz von Medium und Leben nicht mehr von Bedeutung ist, denn die Erfahrungen, welche die neue Kunstform bietet, unterscheidet sich in mancherlei Hinsicht von den Erfahrungen des Lebens, auch deshalb, weil sie bloß die Form des Lebens nachahmt und selbst diese unvollständig. Es bedeutet lediglich, dass das Fragen nicht mehr allein in dieser Differenz aufgeht und dass ein Begreifen dessen nottut, worin die allgemeine Form des Lebens als eine Form und nicht als etwas schlicht Gegebenes, Unvermitteltes besteht. Diese Frage fragt nicht nach der Differenz von Medium und Leben, sie fragt nach der Eigengesetzlichkeit des Lebens als einer Vermittlung von Geist und Welt. Beide Fragen haben zum Ziel, hinter den Schein zu gelangen, wobei solcher dadurch zustande kommt, dass die Eigengesetzlichkeit unter weitere, ihr wesensfremde Gesetze tritt, folglich unter veränderten Bedingungen erscheint. Nicht von ungefähr war das formwissenschaftliche Fragen einer Medienwissenschaft oft allein dadurch motiviert, Mechanismen der Suggestion aufzudecken. Dass die Zehnte Kunstform die allgemeine Form des Lebens annimmt, bedeutet nicht, dass sie gegen Missbrauch gefeit ist. Gerade das Gegenteil ist der Fall, und zwar deshalb, weil die allgemeine Form des Lebens die Anmutung eines Natürlichen und Allgemeinen besitzt, sie wird unsichtbar, wodurch sie ein größtmögliches Maß an Suggestionskraft entwickelt. Hieraus lässt sich folgern, dass die Frage nach dem Schein sich für kein Medium mit so viel Nachdruck stellt wie für ein Medium, das die allgemeine Form des Lebens annimmt. Diese Frage aber fragt nach der Eigengesetzlichkeit des Lebens.