§ 114. Der Computer verfügt über keine Form des Verstehens

An das Computerspiel wird die Erwartung gestellt, dass es zugleich Spiel und Erzählung sein solle, woraus das Problem einer rechten Aufteilung der Bestimmungsmacht erwächst. Im Improvisationstheater tritt dieses Problem weniger stark hervor, und zwar deshalb, weil die im Bestimmungsvollzug tätigen Bestimmungskräfte in der Lage sind, solche Aufteilung fortlaufend neu auszuhandeln. Bei der Zehnten Kunstform verhält es sich anders. Hier tritt ein Mensch zu einer Maschine ins Verhältnis und die Möglichkeiten eines solchen Dialogs sind beschränkt, zumal der Computer nicht über etwas verfügt, das man im eigentlichen Sinne ein Verstehen nennen könnte. Genau deshalb halte ich es für fragwürdig, davon auszugehen, dass es sich bei dem, was sich zwischen Mensch und Computer ereignet, seinem wirklichen Gehalt nach um etwas handelt, das mit einem Gespräch, das sich zwischen Menschen ereignet, vergleichbar wäre.

§ 115. Die Dichte einer Verhältnisform beruht auf deren Wechselspiel von Gabe und Empfängnis

Den Kunstformen liegen Verhältnisformen zugrunde, die über Dichte verfügen. Dass diese Verhältnisformen über Dichte verfügen, bedeutet, dass sie ein ausgezeichnetes Vermögen besitzen, uns zur Entdeckung zu befähigen. Dieses ausgezeichnete Vermögen aber beruht auf deren Wechselspiel von Gabe und Empfängnis. Solches wiederum ist nicht aus dem Nichts entstanden, es ist vielmehr Resultat einer Entwicklung, die je nach Kunstform weit in die Vergangenheit zurückreicht und niemals abgeschlossen ist.

§ 116. Die Dichte von Verhältnisformen und deren Formel

Vor dem Hintergrund dieser Betrac tungen lässt sich womöglich verstehen, weshalb eine Verschmelzung von Spiel und Erzählung nicht ohne weiteres möglich ist. Man könnte davon ausgehen, dass die Verhältnisformen des Spiels und der Erzählung über einen einzigartigen Aufbau verfügen, dem sich ihre Dichte verdankt. Die unverwechselbare Struktur eines solchen Aufbaus will ich dessen Formel nennen. Nun lassen sich solche Formeln nicht ohne weiteres ineinander überführen, weil jeder Eingriff in ihren Aufbau die Einheit ihres Gefüges zerstört. Deshalb muss jeder Entwurf einer Zehnte Kunstform fehlgehen, der sich, gerade so wie viele Erscheinungsformen des Computerspiels, an einer Synthese bestehender Formeln versucht.

§ 117. Die Frage nach der Formel der Zehnten Kunstform

Die erste Frage, die sich für den Entwurf einer Zehnten Kunstform stellt, lautete: Inwiefern vermag die Form, welche dem begrifflichen Entwurf einer Zehnten Kunstform zugrunde liegt, der Form ihres Mediums, mithin der Form eines Allgemeinen zu entsprechen? Diese Frage erhält durch die vorangegangenen Betrachtungen eine spezifischere Ausrichtung: Inwiefern vermag die allgemeine Form des Lebens für die Zehnte Kunstform eine Formel bereitzustellen? Die Frage nach der Formel der Zehnten Kunstform ist eine Frage nach der Form, welche das Wechselspiel von Gabe und Empfängnis für selbige annimmt.

§ 118. Die Materialisation des Geistes als dasjenige, worin das der Zehnten Kunstform eigene Wechselspiel von Gabe und Empfängnis zu sich findet

Erstreckte sich die Bestimmungsmacht des Rezipienten bisher vornehmlich auf das Reich des Geistigen und Sinnlichen, innerhalb dessen sich sein schöpferischer Geist frei entfalten konnte, so beansprucht er dasselbe nun für das Reich des Wirklichen, das sich ihm mit der Zehnten Kunstform eröffnet. Dass er dasselbe für das Reich des Wirklichen beansprucht, bedeutet, dass sein Geist sich nun innerhalb jenes Reichs entfalten möchte. Das Mittel dieser Entfaltung ist die Handlung und der Ausdruck dieser neugewonnenen Freiheit, dass sein Geist sich in die Welt hinausträgt, sich in der Welt abdrückt, der er handelnd Gestalt gibt. Man könnte auch von einer Materialisation des Geistes sprechen, worin das der Zehnten Kunstform eigene Wechselspiel von Gabe und Empfängnis zuallererst zu sich findet, worin die Grundlage jener Formel zu suchen ist, vermöge welcher die Verhältnisform zu ihrer Bestimmung gelangt.