§ 73. Was die junge Wissenschaft auszeichnet, ist die Unmöglichkeit einer widerspruchsfreien Bestimmung ihres Gegenstandes

Ein solches Verfahren entspricht zwar durchaus den Gewohnheiten der Wissenschaft, bemerkenswert aber ist in diesem Falle, wie unterschiedlich die Phänomene sind, an denen man sich orientierte, denn es wird nicht unmittelbar einsichtig, was Spiel und Erzählung gemein haben, ja man könnte, wie in einigen frühen Arbeiten geschehen, die Auffassung vertreten, es handle sich um Gegensätze, wofür die Schwierigkeit spricht, etwas zu denken, das im engeren Sinne sowohl Spiel als auch Erzählung ist. Das Erste, was die junge Wissenschaft ans Licht brachte, war demzufolge ein Widerspruch, ein Widerspruch, der von solcher Tragweite ist, dass ihre Einheit und damit letztlich ihr Status als Wissenschaft infrage gestellt werden muss, da sie nicht in der Lage ist, ihren Gegenstand widerspruchsfrei zu bestimmen. Wir haben es mit einer Wissenschaft zu tun, die sich gegenüber den anderen Wissenschaften dadurch auszeichnet, dass sie ihren Gegenstand nicht bloß nicht bestimmen kann, die maßgeblichen Bestimmungsversuche stehen überdies in einem Widerspruch zueinander.

§ 74. Zur Notwendigkeit dieser Widersprüchlichkeit

Nun wäre es verfehlt, zu glauben, dass dieser Widerspruch auf Versäumnisse jener Wissenschaft zurückzuführen ist, denn er verläuft ebenso durch deren Mitte wie durch die Mitte ihres Gegenstands selbst, er manifestiert sich sowohl in abstracto auf der Ebene der Begriffe als auch in concreto auf der Ebene der Erscheinungen. Dass die junge Wissenschaft ausgerechnet zwei Paradigmen hervorbrachte, die überdies im Widerspruch zueinander stehen, ist so gesehen bloße Folge einer Auseinandersetzung mit ihrem Gegenstand und Ausdruck jener beiden widerstreitenden Dimensionen, welche den Gegenstand durchherrschen und für welche der Begriff des Spiels und der Begriff der Erzählung nur eine mögliche Form von Bezeichnung ist. Die Schwierigkeit, eine Einheit von Spiel und Erzählung zu denken, könnte man auf den Widerspruch zurückführen, dass Ersteres letztlich darin gründet, dass man bestimme, während Letzteres letztlich darin gründet, dass es bestimme.

§ 75. Die Einführung eines dritten Paradigmas als Weg zu einer einheitlichen Theorie

Wie jeder Streit von Rang zeichnet sich auch jener zwischen Ludologen und Narratologen oder genauer: der durch diese vertretenen theoretischen Interessen dadurch aus, dass beide Parteien zugleich im Recht und Unrecht sind, dergestalt, dass sie im Besitz der halben die ganze Wahrheit für sich in Anspruch nehmen. Unterdessen hat sich zwar die Einsicht durchgesetzt, dass sowohl das ludologische als auch das narratologische Paradigma einen bedeutenden Beitrag zur Erkenntnis ihres Gegenstands leisten, gleichwohl existiert für diese beiden Dimensionen des Mediums, welche in den Begriffen des Spiels und der Erzählung eine mögliche Entsprechung finden, noch keine einheitliche Theorie. Eine solche Theorie bedarf der Einführung eines dritten Paradigmas, welches in der Lage ist, das ludologische und narratologische Paradigma in einer Weise in sich aufzunehmen, dass ihr Widerspruch bewahrt und die Natur beider Paradigmen und hiermit die Natur ihres Widerspruchs aus der Bestimmung ihres Grundes heraus deutlicher als bisher hervortritt.

§ 76. Das Computer-Spiel als gewöhnliches Spiel, das vermöge des Computers erscheint

Besitzt die junge Wissenschaft, um die es hier geht, zwar keine einheitliche Vorstellung ihres Gegenstands, so zumindest eine einheitliche Benennung. Sowohl Ludologen als auch Narratologen sprechen vom Computerspiel. Nähme man diese Bezeichnung ernst, was wären dann Computerspiele? Eines sind sie auf jeden Fall nicht: Computer-Spiele im Sinne gewöhnlicher Spiele, die vermöge des Computers erscheinen. Jene Wissenschaft interessiert sich offensichtlich nicht für Computer-Spiele. Sie interessiert sich nicht für Schach, das vermittels eines Computers ausgetragen wird. Denn es ist ganz unerheblich für dasselbe, ob es vermöge eines Computers ausgetragen wird oder nicht. Das Spiel selbst bleibt davon im Wesentlichen unberührt.

§ 77. Das Computerspiel als eine eigenständige Form von Spiel

Aber wenn das Computerspiel kein Computer-Spiel bezeichnet, was bezeichnet es dann? Das Computerspiel bezeichnet dasjenige, was aus dem Spiel hervorgeht, wenn es auf der Grundlage jenes neuen Mediums erscheint. Denn tritt etwas in ein Medium ein, erscheint es auf dessen Grundlage, so erscheint es unter anderen Bedingungen und nimmt infolgedessen eine neue Gestalt an. Das Computerspiel bezeichnet also nichts weiter als eine eigenständige Form des Spiels, wobei sich diese Eigenständigkeit dem Medium verdankt, auf dessen Grundlage es erscheint: dem Computer. Wofür sich die junge Wissenschaft folglich interessierte, wären nicht Computer-Spiele, sondern Computerspiele als eine eigenständige Form von Spiel.