Winds & Leaves: Fest für die Augen, Balsam für die Seele

Wir sind es gewohnt, von Spielen Komplexität einzufordern. Sie müssen Tiefgang und reiche Regelwerke besitzen, ansonsten werden sie schnell als simpel und anspruchslos abgestempelt. Winds & Leaves ist gerade deshalb schön, weil es solche Ansprüche größtenteils von sich weist.

Das VR-Spiel hat sehr wohl ein spielmechanisches Gerüst, aber dieses macht den wenigen einfachen Handlungen und dem Erleben der Welt Platz. Die Geschichte? Sie fließt, ohne dass man es merkt. Und dennoch hinterlässt das VR-Spiel ein befriedigendes Gefühl, eine wohlige Wärme in der Brust.

Winds & Leaves Wiesenlandschaft

Pastellfarbene Naturschönheit im VR-Spiel „Winds & Leaves. | Bild: Trebuchet

In Winds & Leaves verkörpert ihr ein mystisches Wesen, das sich in einer kargen Steppe wiederfindet und dieser neues Leben einhauchen muss. Schritt für Schritt werdet ihr an die Werkzeuge herangeführt, mit denen ihr Leben spendet: einen Holzstecken, der Löcher in den Boden gräbt, eine Tasche, in der ihr gesammeltes Saatgut aufbewahrt und eine magische Windmühle, die den Fluss der Zeit beschleunigt.

Habt ihr mit dem Stecken ein Loch gegraben, könnt ihr eine Frucht hineinfallen lassen. Mit der Zeit wächst daraus ein Baum und mit dem Baum greift das Leben in Gestalt von Gras, Blumen und weiteren Bäumen um sich. Haltet ihr die Windmühle in den Wind, seht ihr Tage und Nächte binnen Sekunden verstreichen und könnt beobachten, wie sich das Leben Bahn bricht.

Die wiedererwachte Pflanzenwelt ist nicht nur zur Zierde da. Sie ermöglicht euch, neue Gebiete zu erkunden. Denn wandert ihr zu lange auf Sand, versiegen eure Lebenskräfte. Keine Sorge: Es ist nicht nötig, alle paar Meter einen Baum zu pflanzen, da sich das Leben von selbst in alle Richtungen ausbreitet.

Das Spiel bietet eine Reihe technischer Besonderheiten, die man nur in wenigen VR-Spielen zu Gesicht bekommt: Ich denke an ausladende Landschaften mit kilometerweiter Fernsicht, einen fließenden Tag-Nacht-Zyklus und eine dynamische Lebenssimulation, die in Kombination zu erstaunlichen Momenten führen.

Als ich nach einer Stunde in ein altes Gebiet zurückkehrte, stellte ich verblüfft fest, dass aus einer Reihe gepflanzter Bäume ohne weiteres Zutun ein üppiger Wald entstanden war. Wo sich vor wenigen Tagen noch eine braune Wüstenlandschaft hinzog, versperrten nun haushohe Bäume die Sicht. Toll: Dank eurer Kletterkünste könnt ihr euch mühelos Äste hochhangeln und binnen Sekunden die Baumkrone erreichen, um die Landschaft zu genießen – oder mit Schwindelgefühlen nach unten zu schauen. Winds & Leaves ist dank seiner Natursimulation und pastellfarbenen Naturdarstellung ein wahres Fest für die Augen und einer der schönsten VR-Titel, die ich gespielt habe.

Mit dem Pflanzen von Bäumen ist es nicht getan: Ihr müsst Schneisen durch die Wüste schlagen, neues Saatgut sammeln, Monumente entdecken und Windmaschinen aktivieren. Mehr will ich an dieser Stelle nicht verraten, weil es viel Freude macht, das Spiel und seine Mechaniken selbst zu entdecken.

Winds & Leaves Ferne Landschaft

Beeindruckende Fernsicht wie sie nur ein PC-VR bieten kann. | Bild: Trebuchet

Ich habe circa vier Stunden in dieser Welt verbracht und habe noch viele Gebiete zu erforschen. Eine grundlegende Weiterentwicklung des Regelwerks erwarte ich allerdings nicht – und begrüße das. Die Kunst dieses Spiels besteht darin, dass es einen unterhält, ohne dass man viele oder komplexe Dinge tut. Kämpfen, rätseln, bauen: Klassische Spielmechaniken stehen hier zurück zugunsten eines kontemplativen Spielerlebnisses. Aus welchem Grund auch immer: Solche Spiele funktionieren sehr gut in Virtual Reality.

So schön Winds & Leaves auch ist, es ist nicht frei von Mängeln: Die Fortbewegung und das Interface sind nicht optimal gelöst. Im Spiel bewegt ihr euch auf virtuellen Stelzen fort und indem ihr die Hände abwechselnd hoch- und runterbewegt. Während ersteres unnatürlich wirkt, sollte letzteres heute nicht mehr Standard sein. Das Studio hat die Steuerung der PSVR-Version offenbar unverändert übernommen, ohne VR-Fortbewegung mittels Analogsticks anzubieten.

Auch das Interface ist etwas sperrig. Die um den Avatar hängenden Werkzeuge müssen räumlich kalibriert werden und können in das Sichtfeld ragen, was irritieren kann. Mir gelang es, sie so einzustellen, dass sie die meiste Zeit über nicht stören. An die etwas seltsame Fortbewegung habe ich mich ebenfalls gewöhnt, sodass das Erlebnis dadurch nicht wesentlich getrübt wird.

Wer meditative VR-Spiele mit wunderschöner Grafik, einer beeindruckenden Naturdarstellung und einer geheimnisvollen Aura mag, wird über solche Schwächen gern hinwegsehen und Winds & Leaves lieben lernen.

Dieser Beitrag erschien am 14. Dezember 2021 bei MIXED.