Es lebe PC-VR! – Weshalb die Plattform relevant bleibt

PC-VR, so hört man rufen, sei tot. Weil Meta Quest 2 den VR-Markt im Sturm erobert und ein profitables VR-Ökosystem geschaffen hat, machen die meisten Studios nur noch in autarker VR. Meta selbst entwickelt keine exklusiven PC-VR-Inhalte mehr und vom SteamVR-Betreiber Valve hört man seit Half-Life: Alyx nichts mehr.

Ohne VR-Spiele, die die Stärken der PC-VR ausnutzen, verliert die Plattform an Attraktivität. Hinzu kommt, dass schwer greifbare oder überteuerte Grafikkarten es fast unmöglich machen, überhaupt in PC-VR einzusteigen. Kein Wunder also, dass SteamVR nur gemächlich wächst. So gemächlich, dass Virtual Reality laut Gerüchten vorerst keine Priorität mehr für Valve hat.

Diese Entwicklung ist bedauernswert. PC-VR hat klare Vorteile gegenüber autarker VR, die der Entwicklung und Verbreitung des Mediums förderlich wären, wenn die typischen Einstiegshürden wie umständlichere und stationäre Nutzung sowie hohe Preise nicht wären.

Nachfolgend zähle ich drei Bereiche auf, in denen die PC-VR-Plattform glänzt und noch lange führen wird.

Mehr Leistung, mehr Möglichkeiten

PC-VR wird wegen seiner größeren Rechenleistung noch lange die VR-Plattform bleiben, die die Grenze des technisch und grafisch Möglichen auslotet. Gute Beispiele sind der VR-Kracher Half-Life: Alyx und Simulationen wie der Microsoft Flight Simulator.

Doch der Unterschied zwischen PC-VR und autarker VR tritt nicht nur bei teuren Superproduktionen zutage. Zwei meiner drei Spiele-Highlights 2021, Maskmaker und Winds & Leaves, gibt es nur für PC-VR, weil sie grafisch in dieser Form für Meta Quest 2 nicht umsetzbar wären. Das für leistungsfähigere Systeme entwickelte und ebenso famose wie schöne Song in the Smoke erschien zusätzlich in einer autarken Version. Die läuft zwar flüssig, aber gibt optisch nichts mehr her. Hier warf ich, so oft wie möglich, den PC an.

Selbst wenn es grafisch keine Unterschiede gibt zwischen den beiden Versionen eines VR-Spiels: Höhere Bildwiederholraten und Renderauflösungen mit PC-VR sind ein willkommener Luxus, den VR-Gourmets zu schätzen wissen.

Die zusätzliche Rechenleistung der PC-VR-Plattform kommt allerdings nicht nur der Grafik zugute. Viel wichtiger ist, dass sie größere und dynamischere Welten sowie komplexere Spielmechaniken ermöglicht. Meta Quest 2 muss erst noch beweisen, dass sie PC-VR in dieser Hinsicht in nichts nahesteht.

Ein offeneres, experimentierfreudigeres Ökosystem

PC-VR lässt VR-Nutzern mehr Freiheiten als das in sich geschlossene Quest-Ökosystem.

Dieser Umstand ermöglicht nicht nur Tüfteleien und Experimente auf Soft- und Hardwarebasis. Die Offenheit des PC-VR-Ökosystems ist auch der Grund dafür, dass es eine lebendige VR-Moddingszene und eine Vielzahl VR-Mods großer Gaming-Hits wie Cyberpunk 2077, Valheim und Resident Evil 2 und 3 gibt. Skyrim VR? Die VR-Portierung glänzt erst mit PC-VR-Mods.

PC-VR ist so etwas wie der Wilde Westen der Virtual Reality, der noch für die eine oder andere Innovation oder Überraschung sorgen dürfte, sei es durch Software, hochspezialisierte VR-Brillen oder ausgefallenes Zubehör.

Große App- und Media-Bibliothek

Das PC-Ökosystem ist eines, das über Jahrzehnte hinweg reifen konnte und für viele Menschen eine unerlässliche Arbeits- oder Unterhaltungsplattform ist. Bis autarke Virtual Reality ein komplett eigenständiges Computerparadigma mit einem gleichwertigen Interface und App-Ökosystem wird, werden noch viele Jahre vergehen.

Bis dahin werden VR-Nutzer immer wieder gerne das PC-Ökosystem anzapfen, sei es für Produktivität oder um klassische 2D-Medien zu konsumieren.

Die VR-App Virtual Desktop, die es erlaubt, mit Meta Quest 2 am PC anzudocken und all dessen Möglichkeiten zu nutzen, erfreut sich nicht von ungefähr großer Beliebtheit. Mit Virtual Desktop kann man Filme und Spiele im 2D-Format in die VR-Brille streamen und auf großen Leinwänden und coolen Umgebungen erleben.

Klar: 5G und Cloud-Streaming dürften immer größere Teile des PC ins Netz verlagern und eines Tages könnte es sogar möglich sein, sämtliche Inhalte eines PCs latenzfrei und stabil in eine autarke VR-Brille zu streamen. Dann würden autarke VR und PC-VR wieder zusammenlaufen und das Beste zweier Welten verbinden. Doch zum jetzigen Zeitpunkt ist das noch Zukunftsmusik.

Dieser Beitrag erschien am 9. Januar 2022 bei MIXED.

Virtual Reality 2021: Quest-Dominanz, Metaverse-Wahn & Auftakt zu VR 2.0

Was hat die VR-Industrie 2021 bewegt? Und weshalb wird 2022 noch aufregender? Ich lasse das VR-Jahr 2021 Revue passieren.

Auch dieses Jahr stand wieder im Zeichen der Quest 2. Keine andere VR-Brille machte so stark von sich reden und spülte so viel Umsatz in die Kassen von VR-Studios. Selbst im PC-VR-Markt fand das Gerät reichlich Niederschlag und dominiert mit großem Abstand.

Konkurrenz musste Metas VR-Brille keine fürchten. Die autarken Neuzugänge HTC Vive Focus 3 und Pico Neo 3 Pro hätten technisch das Zeug dazu, aber werden aus naheliegenden Gründen nur an Unternehmen verkauft. Um gegen Facebook zu bestehen, bräuchten HTC und Pico ein vergleichbares App-Ökosystem, gereifte Software-Features und das nötige Kleingeld, um die eigene Hardware so konkurrenzlos günstig anzubieten, wie es Facebook tut.

Zumindest Pico wäre ein solcher Versuch zuzutrauen. Das chinesische Unternehmen wurde im Sommer von Facebook-Konkurrent TikTok gekauft und macht in China erste Erfahrungen mit Endverbrauchern. Dort wird die Pico Neo 3 schon an Konsumenten verkauft.

Neben dem VR-Markt dominierte Facebook auch die Tech-Schlagzeilen mit der Ankündigung einer Neuausrichtung aufs Metaverse im Sommer und der Umbenennung in Meta im Oktober. Die neue Vision zog zahllose Kommentare und viel Spott nach sich, machte das Metaverse über Nacht zu einem allgegenwärtigen Tech-Schlagwort und brachte Virtual Reality nach fünf Jahren wieder auf Titel- und Startseiten. Mit seiner kühnen Metaverse-Wette machte Mark Zuckerberg deutlich, dass es jetzt erst richtig losgeht mit VR und AR. Die XR-Industrie wird davon zunächst profitieren.

Im Rahmen der Connect 2021 präsentierte Mark Zuckerberg seine Sci-Fi-Version des Metaverse. | Bild: Meta

Langfristig jedoch droht ein Meta-Monopol, was Folgen haben könnte. Allein in diesem Jahr übernahm Meta mit Downpour Interactive, BigBox und Within drei führende VR-Studios sowie ImagineOptix, einen Linsenhersteller, dessen Technologie essenziell werden könnte für die nächste Generation VR-Brillen. Wenn sich Meta weiterhin Studios und Technologie unter den Nagel reißt, was bleibt dann noch für die Konkurrenz?

Ob Metas Investitionen eine positive oder eher abschreckende Wirkung auf Mitbewerber haben, ist nicht klar. Die Stimmung könnte schnell kippen: von der Lust, auf der großen XR-Welle mitzureiten, zur vollkommenen Resignation.

Das wiederum könnte Metas Aufstieg zum Metaverse-Monopol beschleunigen, auch wenn Meta-Chef Zuckerberg beteuert, dass das Metaverse ein Gemeinschaftsprojekt vieler Unternehmen sein muss. Allerdings schließt das eine das andere nicht zwingend aus und außerdem: Was soll Zuckerberg auch sonst sagen?

2021 war auch das Jahr der Hardware-Ankündigungen und -Gerüchte. Den Anfang machte Sony mit der Ankündigung einer Next-Gen-VR-Brille für die Playstation 5. So überraschend wie die Ankündigung im Februar, war das folgende Schweigen.

Die Technik, das Aussehen, ja sogar der Name der (ich nenne sie mal so) PSVR 2: All das ist noch immer ein gut gehütetes Geheimnis. Nur die neuen VR-Controller präsentierte Sony. Wenigstens entschädigten eine Reihe von Leaks für die Funkstille. Sonys neue VR-Brille wird voraussichtlich 2022 erscheinen und könnte Highend-VR voranbringen durch innovative Technologien wie Eye-Tracking oder integriertes haptisches Feedback direkt in der Brille.

Das Einzige, was man bislang von Sonys VR-Brille gesehen hat, sind die Controller. | Bild: Sony

Apropos Highend-VR: Das hat 2021 durch Metas PC-VR-Rückzug und Valves Zurückhaltung deutlich an Prestige verloren. Seit der Valve Index und Half-Life: Alyx war von Valve nicht mehr viel in Richtung PC-VR zu sehen. Manche behaupten, dass das Unternehmen von der Entwicklung der eigenen VR-Plattform SteamVR enttäuscht ist und VR fürs Erste aufs Abstellgleis geschoben hat, was nicht weit hergeholt ist.

Auf der anderen Seite bestätigten Insider, dass Valve an einer potenziellen Quest-Konkurrenz mit Codenamen Deckard arbeitet. Ob und wann das Gerät erscheint, ist nicht bekannt. Dass es 2022 kommt, ist wegen der anhaltenden Chipkrise und dem Launch des Steam Deck unwahrscheinlich.

Eine Unmenge von Gerüchten gab es dieses Jahr zu einem autarken VR-Headset Marke Apple. Das Unternehmen forscht seit vielen Jahren an VR und AR und will laut Insidern 2022 in den XR-Markt einsteigen.

Da die Technik hinter schlanken und leistungsfähigen AR-Brillen noch nicht gereift ist, soll Apple zur Überbrückung auf ein Highend-VR-Headset mit Video-AR-Modus setzen. Apples Tech-Brille wird wohl nicht gegen Quest 2 antreten, dafür wird sie zu teuer. Sie könnte sich aber mit Metas nächster VR-AR-Brille Cambria messen, die für 2022 angekündigt ist und ebenfalls auf Highend-Technik setzt.

Meine Meta Quest 2 samt Touch-Controller. | Bild: Tomislav Bezmalinović

Für PC-VR-Enthusiasten gab es dieses Jahr zwei neue Geräte: Die HTC Vive Pro 2 und die Varjo Aero. Ebenfalls auf den Markt kamen eine verbesserte HP Reverb G2, die an Unternehmen gerichtete Omnicept Edition der PC-VR-Brille sowie die HTC Vive Flow. Letztere überraschte, trotz aller Kritik, durch einen erstaunlich schmalen Formfaktor und geringes Gewicht und gab damit einen Ausblick auf die gar nicht mehr so weit entfernte Zukunft der VR-Technik.

Was passierte bei Software und VR-Spielen? Einen Hammer wie Half-Life: Alyx gab es dieses Jahr nicht. Dafür den PC-VR-Schwanengesang Lone Echo 2, eine liebevolle VR-Portierung des Horrorklassikers Resident Evil 4, die solide Left 4 Dead-Kopie After The Fall, die Koop-Dungeon-Crawls von Demeo sowie viele kleine Perlen, über die ihr in unserer Liste der besten VR-Spiele 2021 mehr erfahren könnt.  Nicht zu vergessen: Meta launchte kurz vor Jahresende das Metaverse-Projekt Horizon Worlds, wenn auch vorerst nur in den USA und Kanada.

Fazit: 2021 war das Jahr, in dem Quest 2 Metas VR-Dominanz festigte und der Virtual Reality erste Mainstream-Träume bescherte. Überdies war 2021 ein Jahr des Übergangs: Im kommenden Jahr setzen Tech-Brillen mit schmalerem Formfaktor und Technologien wie Eye- und Facetracking sowie hochwertiger Mixed Reality neue Standards und läuten damit die zweite Generation Virtual Reality ein. Mit Metas Cambria, Lynx R-1, Apples VR-AR-Headset und Sonys Playstation VR 2 könnte 2022 das womöglich größte und spannendste XR-Jahr seit 2016 werden.

Dieser Beitrag erschien am 31. Dezember 2021 bei MIXED.

Augmented Reality: 2022 passiert etwas, versprochen!

Bei Augmented Reality tat sich 2021 zwar einiges, eine herausragende Neuigkeit jedoch gab es nicht. Der nächste große Schritt könnte 2022 kommen, wenn auch anders als erwartet. Lassen wir das AR-Jahr 2021 im Schnelldurchlauf Revue passieren und wagen wir zugleich ein Blick ins nächste Jahr!

Was geschah 2021 in Sachen Hardware? Die große AR-Hoffnung Nreal Light erschien im Frühjahr in Deutschland und entpuppte sich als ein höchst experimentelles Produkt, dessen größte Stärke ist, virtuelle Monitore in die Umgebung zu projizieren. Dass das chinesische Unternehmen mit seinem nächsten Wurf, der Nreal Air, die bescheidene AR-Tauglichkeit der Nreal Light wieder aufgibt, ist bezeichnend für die technische Sackgasse, in der Augmented Reality derzeit steckt. Das dürfte so bleiben, bis es einen grundlegenden Durchbruch bei AR-Displays gibt.

Ein paar Wochen nach dem Deutschlandstart der Nreal Light stellte Snap die AR-Brille Spectacles vor, die aus gutem Grund nur für ausgewählte Entwickler greifbar ist. Sie bietet ein briefmarkengroßes Sichtfeld und muss nach einer halben Stunde Nutzung wieder an den Strom.

Die Nreal Light bietet weniger tolle Augmented Reality als gehofft. | Bild: MIXED.de

Im September kam die Ray-Ban Stories auf den Markt, ein Gemeinschaftsprojekt von Meta und Ray-Ban, das eine klassische Sonnenbrille um Kamera und Lautsprecher erweitert. Den attraktiven Formfaktor erkauft sich das Wearable durch den Verzicht auf ein AR-Display, womit sich die Frage nach dem Nutzen und Mehrwert des Geräts stellt. Möglich, dass Meta hier nur die Datenschutzreaktion auf Kamerabrillen abfragt.

Ansonsten gab es in erster Linie vage Ankündigungen und Gerüchte. Niantic-Chef John Hanke teaserte eine fertig wirkende AR-Brille, nur um ein paar Monate später anzumerken, dass deren Entwicklung noch Jahre dauern wird. Meta verriet im Herbst den Codenamen der ersten AR-Brille Project Nazare, die ebenfalls noch Jahre entfernt ist. Microsoft versprach einen transformativen Sprung für Hololens 3, die laut Gerüchten mit Samsung entwickelt wird und 2024 enthüllt werden könnte.

Das nächste Stück erweiterte Realität bringt Magic Leap in die AR-Branche. Das Unternehmen, in das Investoren erneut 500 Millionen US-Dollar pumpten, kündigte Magic Leap 2 für das erste Quartal 2022 an. Das Gerät richtet sich ausschließlich an Unternehmen und bringt Verbesserungen bei Sichtfeld, Gewicht und Formfaktor.

Metas VR- und AR-Chef Andrew Bosworth mit den Ray-Ban Stories. | Bild: Andrew Bosworth

In Ermangelung neuer Hardware blieb das Smartphone auch 2021 die meistgenutzte AR-Plattform. Und Smartphone-AR ist weiter auf der Suche nach sinnvollen Anwendungen.

Ja, AR-Filter bei Instagram und Co. waren auch 2021 beliebt und Pokémon Go scheffelt weiterhin Unmengen Geld. Aber diese beiden Beispiele als Argument dafür zu nehmen, dass Augmented Reality im Mainstream angekommen und wichtig ist, bringt die Branche nicht weiter. Google hat mit AR in der Google Suche zwar einen großen Hebel, den das Unternehmen in diesem Jahr aber nicht weiter einsetzte.

Denn abseits dieser beiden AR-Säulen gibt es nichts Erfreuliches zu berichten. Was haben Minecraft Earth, Catan AR und Harry Potter: Wizards Unite gemein? Alle drei AR-Spiele haben große Lizenzen im Rücken. Und alle drei wurden 2021 wegen mangelndem Interesse eingestampft. Pokémon Go bleibt wohl das Einhorn unter den Smartphone-AR-Spielen.

Smartphone-AR wird seinen Gimmick-Charakter nicht los, obwohl AR-Schnittstellen in den letzten Jahren große Sprünge hinlegten und technisch beeindruckend sind. Die beiden wichtigsten, ARKit und ARCore, haben dieses Jahr keine bedeutenden Updates erhalten und sind reif für die Technologie, für die sie ursprünglich entwickelt wurden: AR-Brillen. Die wiederum dürften noch Jahre auf sich warten lassen.

Professionelles Rendering eines angeblichen Apple-Headsetprototyps. | Bild: Ian Zelbo

Augmented Reality, die das Sichtfeld ausfüllt, realistisch wirkende Hologramme in die Welt beamt und mit der physischen Umgebung interagiert: Dies wird nächstes Jahr in Gestalt von Video-AR-Brillen Wirklichkeit. Diese Geräte sind eine Weiterentwicklung von VR-Brillen. Sie filmen die Umgebung mit integrierten Kameras und erzeugen auf den Displays ein täuschend echtes und frei manipulierbares digitales Videoabbild der physischen Wirklichkeit.

Viele schwerwiegende Nachteile transparenter AR-Brillen (Hololens, Magic Leap, Nreal Light) stellen mit dieser AR-Technik kein Problem mehr dar: Video-AR-Brillen bieten ein weites Sichtfeld, opake Hologramme, Darstellbarkeit von Schattierungen und Schwarz und eine hochwertige Bildqualität.

Metas nächste VR-Brille Cambria ist für Video-AR optimiert, genauso wie die Lynx R-1 und das erste Apple-VR-Headset, das laut zahllosen Gerüchten und Leaks im kommenden Jahr vorgestellt werden und vielleicht sogar erscheinen soll. Video-AR ist der nächste Schritt in der Entwicklung der Augmented Reality und wird zum ersten Mal das Potenzial fortschrittlicher AR offenlegen. Und die Zeit sinnvoll überbrücken, die benötigt wird, um transparente alltagstaugliche AR-Brillen zu bauen.

Dieser Beitrag erschien am 29. Dezember 2021 bei MIXED.

Weshalb Generation Alpha die Zukunft der Virtual Reality ist

Auch dieses Jahr lagen wieder viele Meta Quest 2 unter dem Weihnachtsbaum. So wie viele von uns sich vor Jahrzehnten (unglaublich, nicht wahr?) über ein NES, einen Game Boy oder die erste Playstation freuten, so jauchzt nun eine neue Generation über ihre erste VR-Brille.

Auf Reddit, Youtube und Twitter teilen Eltern die Reaktionen ihrer Kinder auf das VR-Geschenk: Einige flippen aus, andere  sind zu Tränen gerührt und manche eine oder einer wird sich darin wiedererkennen und an das eigene große Gaming-Weihnachtsgeschenk erinnern, damals, in den 90ern oder früher.

Ob die Gesellschaft das gut findet oder nicht: Generation Alpha wird die erste Generation sein, die mit Virtual Reality aufwächst und dadurch eine ganz andere Beziehung zu diesem Medium entwickeln. VR-Brillen werden für sie eine alltäglichere und weniger abschreckende Technologie werden, als für die, die Virtual Reality im Erwachsenenalter kennenlernten. Das wird auf Dauer verändern, wie die Technologie wahrgenommen und genutzt wird. Wie genau, das wissen wir noch nicht.

Wird klassisches 2D-Gaming für diese Generation an Faszination verlieren oder bleibt es das Maß aller Dinge? Auch diese Frage ist neu. Ich gehöre zu jenen, die nur noch der Nostalgie willen in die flache Gaming-Welt zurückkehren, auch wenn ich nicht mit Virtual Reality aufwuchs. Aber ich könnte nur die Ausnahme sein, die die Regel bestätigt.

Wie sich die Technologie auf Kinder auswirkt, ist weitgehend unerforscht. Meta selbst macht klar, dass VR-Brillen kein Spielzeug sind und nennt ein Mindestalter von 13 Jahren. Die Kinder selbst wird das herzlich wenig interessieren. Wer schon mal ein Multiplayer-Spiel ausprobiert hat, weiß, dass sich dort viele Kinder herumtreiben, mit ihrer eigenen VR-Brille oder der ihrer Eltern.

Die gesellschaftlichen Folgen einer übermäßigen VR-Nutzung, ob bei Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen, dürften sich erst in ein paar Jahren zeigen. Denn Virtual Reality ist erst auf dem Weg in die Mitte der Gesellschaft.

Bevor es so weit ist und die große Kulturdebatte einsetzt, wird es hoffentlich erlaubt sein, sich über den beginnenden Durchbruch dieses neuen, an Möglichkeiten reichen Mediums zu freuen und optimistisch in die Zukunft zu schauen. Schließlich ist aus unserer Generation auch etwas geworden – NES, Gameboy und Playstation zum Trotz.

Dieser Beitrag erschien am 27. Dezember 2021 bei MIXED.

Im Atombunker des US-Präsidenten: VR-Erfahrung simuliert Ernstfall

Stellt euch vor, ihr seid der US-Präsident. Das Militär berichtet, dass russische Atomraketen auf dem Weg zur amerikanischen Küste sind. Binnen einer Viertelstunde müsst ihr entscheiden, wie die USA auf den Angriff reagieren. Denn so lange dauert es, bis die Flugkörper die US-Raketensysteme erreichen und außer Gefecht setzen.

Ist es womöglich nur ein Fehlalarm? Oder ein Cyberangriff auf die US-Sicherheitssysteme? Es bleibt keine Zeit, diesen Fragen nachzugehen. Die Generäle legen drei Optionen auf einen Tisch, darunter einen eingeschränkten Gegenangriff, der sich gegen russische Raketensilos, nukleare U-Boot-Basen und Luftwaffenstützpunkte richtet. Der könnte 5 bis 15 Millionen Menschenleben kosten. Die aggressivste Alternative ist ein Gegenschlag, der sich direkt gegen die russische Industrie und Führung richtete und bis zu 45 Millionen Todesopfer fordern könnte.

Das ist kein aus der Luft gegriffenes Szenario. Die VR-Simulation Nuclear Biscuit stützt sich auf umfangreiche Recherchen, einschließlich Interviews mit ehemaligen US-Beamten, zur Frage, was passieren würde, wenn die USA mit einem nuklearen Angriff konfrontiert wäre – oder das nur glaubt.

Die VR-Erfahrung ist nach der Plastikkarte benannt, die im Atomkoffer des US-Präsidenten aufbewahrt wird und die Aktivierungscodes enthält. Entwickelt wurde die VR-Simulation von Sharon K. Weiner, Professorin an der School of International Service lehrt und Moritz Kütt vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik. Die VR-Erfahrung simuliert eine realistische Krisensituation und zeigt, unter welch schwierigen Umständen Entscheidungen getroffen werden müssten, die das Schicksal der Menschheit besiegeln könnten.

In der Rolle des US-Präsidenten werdet ihr in einen Atombunker eskortiert und müsst entscheiden, wie die USA auf den mutmaßlichen Angriff antworten – inmitten einer unscharfen Nachrichtenlage, drängenden Aufforderungen des Militärstabs und durchdringendem Sirenengeheul. Ihr könnte euch für eine der drei Gegenschläge entscheiden oder entscheiden, euch nicht zu entscheiden. Die Simulation lässt eine Vielzahl an Interaktionen und Möglichkeiten zu, auf die Situation zu reagieren.

In den vergangenen Monaten führten Weiner und Kütt kontrollierte Experimente mit Simulationsteilnehmern durch und werteten die Ergebnisse aus. Das Ziel des Forschungsprojekts ist, herauszufinden, wie sich politische Entscheidungsträger in solchen Situation verhalten würden. „Wir wollen besser verstehen, wie sich Menschen während einer nuklearen Krise verhalten und inwieweit sie sich so verhalten, wie es die Theorie der Abschreckung erwarten lässt“, schreibt mir Weiner.

„Abschreckung setzt eine rationale Entscheidungsfindung voraus. Die verhaltenspsychologische Literatur legt jedoch nahe, dass Menschen in einer Krise oft Abkürzungen nehmen oder sich weniger rational verhalten. Eine erste Prüfung unserer Daten deutet stark darauf hin, dass letzteres der Fall ist.“ In einem Gespräch mit dem Guardian sagt Kütt: „Die meisten Teilnehmer entscheiden sich für eine Eskalation und nur sehr wenige dafür, nicht auf den Angriff zu antworten.“

Besonders beunruhigend: Die Forscher fanden keine Beweise dafür, dass vergangene US-Präsidenten an ähnlichen Simulationen teilgenommen haben, mit Ausnahme von Jimmy Carter. Sie seien also vollkommen unvorbereitet gewesen.

Das könnte sich ändern: Weiner und Kütt möchten die VR-Simulation im Januar Mitgliedern des US-Kongresses vorführen. Sie soll zum Nachdenken anregen und politisch etwas bewegen. Eine Reihe von Nuklearwaffenexperten und Ex-Politikern haben die VR-Erfahrung vor Kurzem in Washington durchlaufen. Die Reaktionen waren positiv.“Du gehst in diese Simulation und kommst als ein veränderter Mensch heraus“, sagte etwa Richard Burt, der ehemalige US-Chefunterhändler bei den Rüstungskontrollverhandlungen mit der Sowjetunion.

Laut Weiner hat Virtual Reality große Vorteile gegenüber physischen Simulationen. „Die Teilnehmer glauben eher, dass sie sich in einer echten Krisensituation befinden. Außerdem ermöglicht die Simulation ihnen, selbst zu agieren, anstatt so zu tun, als wären sie jemand anderes. Das Ergebnis sind Daten, die mit größerer Wahrscheinlichkeit das widerspiegeln, was im wirklichen Leben passieren würde.“

Derzeit gibt es keine Möglichkeit, Nuclear Biscuit selbst auszuprobieren. Weiner und Kütt würden die VR-Simulation jedoch in Zukunft gerne einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Das werde jedoch etwas Zeit benötigen und zusätzliche Mittel erfordern, heißt es.

Dieser Beitrag erschien am 19. Dezember 2021 bei MIXED.