Da ist es nun endlich, Apples sagenumwobenes Mixed-Reality-Headset, an dem der Konzern seit mindestens sieben Jahren im Geheimen gearbeitet hat. Für die VR-Industrie ist die Ankündigung der Apple Vision Pro das bedeutendste Ereignis der vergangenen zehn Jahre, vergleichbar nur mit Facebooks Oculus-Übernahme im Jahr 2014.
Die Vorstellung des Geräts kam mir surreal vor. Zum einen, weil ich so lange darauf gewartet habe, zum anderen, weil Vision Pro letzten Endes alles andere als ein Apple-typisches Produkt geworden ist.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Apple Vision Pro ist seiner Form nach ein Headset und als solches groß, schwer und merkwürdig anzusehen an Menschen – der Schönheit seines Designs zum Trotz. Die erste Apple-Reklame wirkt genauso peinlich und befremdlich wie die Metas und anderer Hersteller. Ein Produkt, das Steve Jobs in der Form niemals durchgewinkt hätte. Eine schicke, schlanke AR-Brille, die man in der Öffentlichkeit tragen kann? Vielleicht. Ein Gesichtscomputer im Tauchermasken-Look? Niemals.
Mir war klar, dass selbst Apple keine Wunder vollbringen und die notwendige technologische Entwicklung hin zu schlankeren Headsets einfach so überspringen kann. Trotzdem war ich etwas enttäuscht, wie wuchtig Vision Pro letztlich ausgefallen ist. Der für die Technologie so wichtige Durchbruch beim Tragekomfort ist damit erst einmal vom Tisch, mit oder ohne das optionale Überkopfband, das Apple nur am Rande zeigte.
Doch Apple wäre nicht Apple, wenn es nicht neue Maßstäbe setzen und die Konkurrenz in puncto Hardware-Design alt aussehen ließe. Verglichen mit Geräten wie Meta Quest Pro oder Varjo XR-3 wirkt Apple Vision Pro ein gutes Stück eleganter, moderner, extravaganter. Dies verdankt sich genialen Design-Kniffen, wie man sie von Apple kennt. Das beste Beispiel dafür sehe ich im externen Display, das die schmucklose Vorderseite herkömmlicher Headsets in eine magische Projektionsfläche verwandelt und dem Produkt einen futuristischem Look verleiht. Ich behauptete vor zwei Jahren, dass externe Headset-Displays ziemlich cool wären. Apple beweist es.
Das externe Display hat nicht nur ästhetische Zwecke: Es zeigt die Augen der Headset-Träger und erlaubt dadurch Augenkontakt mit der Außenwelt. Ein einzigartiges Feature, das Apple „EyeSight“ nennt und das ich für die größte und faszinierendste Innovation der Apple Vision Pro halte.
Die Idee an sich ist nicht neu: Meta zeigte vor zwei Jahren einen Forschungsprototyp, der im Prinzip das Gleiche leistet. Aber ausschlaggebend ist nicht die Idee, sondern deren Implementierung in ein Produkt. Der digitalisierte Durchblick ist ungewohnt, unheimlich und dystopisch, aber auf jeden Fall eine Innovation, die Apple Vision Pro technisch und ästhetisch prägen wird.
Eine weitere tolle Innovation Apples ist, dass Vision Pro immersives Aufnahme- und Ausgabegerät in einem ist. Headset-Träger können durch Knopfdruck Fotos und Filme in 3D aufnehmen und betrachten. Wer bislang selbst solche Inhalte herstellen will, muss spezielle VR-Kameras kaufen, die entweder sündhaft teuer sind oder Aufnahmen in schlechter Qualität liefern. Das Betrachten entsprechender 3D-Fotos und -Filme auf VR-Headsets gestaltet sich zudem recht umständlich. Apple Vision Pro vereint das Aufnehmen, Betrachten und Teilen solcher Inhalte und könnte immersiven Medien dadurch einen Schub verleihen.
Zu weiteren Innovationen der Apple Vision Pro, die mir auf den ersten Blick aufgefallen sind und an dieser Stelle nicht in aller Ausführlichkeit besprochen werden können, gehören:
- die Beschränkung auf natürliche Eingabemethoden (Hände, Augen und Stimme) statt Hardware-Controller,
- eine hochwertige 3D-Audiolösung, die ein individuelles HRTF-Profil unterstützt,
- verschiedene Arten und Größen von Kopfbändern und Gesichtspolstern und
- die Darstellung realistischer FaceTime-Personas in Echtzeit.
Apple denkt den ersten Gesichtscomputer primär von Augmented Reality her, obwohl es sich bei Vision Pro technisch um ein VR-Headset handelt. Die Außenwelt wird mittels Sensoren eingefangen und auf opaken Displays digital rekonstruiert, genauso wie die Augen der Headset-Träger auf dem externen Display. Uneingeweihte könnten denken, dass Apple Vision Pro aus einem transparenten Stück Glas besteht und genau darauf zielt Apples Marketing ab. Oder wie Tim Cook zu Beginn der Vorstellung werbewirksam formulierte: „Vision Pro ist das erste Apple-Produkt, durch das man durchschaut, statt auf es zu schauen.“
Die Geräte der Konkurrenz, wie die Meta Quest 2, werden im Gegensatz dazu primär als Virtual-Reality-Produkte vermarktet. Erst mit Meta Quest 3 wird sich der Konzern stärker der Augmented Reality zuwenden. Apple geht den umgekehrten Weg: Vision Pro ist primär ein Augmented-Reality-Produkt und Virtual Reality nur ein Submodus desselben.
Apropos Realität: Es ist ein Segen, dass Apple auf das Definitionswirrwarr der Industrie und damit auf Ausdrücke wie VR, AR, MR, XR sowie das undefinierbare „Metaverse“ verzichtet. Apple spielt nicht mit der Realität, es entwickelt einen Gesichtscomputer, der digitale Inhalte verräumlicht. Das ist konkreter. Und leichter zu kommunizieren.
Apple weiß, dass der Begriff „Virtual Reality“ Ängste schüren kann oder aber Erwartungen, die die aktuelle Technologie nicht hält und womöglich auch nie halten wird. Das Ziel ist nicht, den menschlichen Sinnesapparat zu hacken und die Realität zu ersetzen, sondern etwas viel Bescheideneres: Vision Pro beschränkt sich dem Namen des Produkts zufolge auf eine Erweiterung des Sehens. Der Konzern vermarktet das Headset im Sinne John Carmacks als Universal-Display, das eine Vielzahl anderer Bildschirme ersetzen kann und noch dazu ein selbstständiger mobiler Computer ist, der das iPhone und den Mac erweitert, aber nicht voraussetzt. So rechtfertigt Apple auch den Preis von 3.499 US-Dollar in der Basisausstattung.
Apple hat gut kommuniziert und visualisiert, wozu das futuristische Gerät gut sein soll. Aber ob die gezeigten Anwendungsszenarien ausreichen, um Verbraucher vom Kauf zu überzeugen, ist dennoch fraglich. Tim Cook sagte, dass Vision Pro die Art verändern wird, wie Menschen kommunizieren, kollaborieren, arbeiten und Medien konsumieren und zeigte konkrete Beispiele für jede dieser Aktivitäten. Aber die meisten dieser Anwendungsszenarien erschöpften sich darauf, 2D-Bildschirme in die eigenen 3D-Umgebung zu projizieren. Das zeugt von Ratlosigkeit.
Die zwei besten und kommerziell erfolgreichsten Arten von Apps, die VR-Technologie bislang hervorbrachte, nämlich Gaming und Fitness, spielten bei der Vorstellung praktisch keine Rolle. Immerhin wird es möglich sein, mobile 2D-Spiele auf einer virtuellen Leinwand zu spielen, sofern man ein kompatibles Gamepad besitzt. Ein schlechter Scherz angesichts der Möglichkeiten, die erschwingliche VR-Technologie in Form der Meta Quest 2 oder Playstation VR 2 bietet. Eine große Entwicklergemeinschaft hat seit 2016 ein hochwertiges Portfolio an VR-Spielen produziert, die auf Vision Pro keine Zukunft haben, weil das Gerät keine VR-Controller unterstützt.
Die Befürchtungen haben sich bestätigt: Apple weiß selbst nicht recht, wofür diese Technologie gut ist und hofft darauf, dass die Entwicklerszene den entscheidenden Existenzgrund liefert. Immersivere Kommunikation, Kollaboration, Arbeit und Unterhaltung: All diese Ansätze gab es schon bei Meta zu sehen und die Trailer und Konzepte der beiden Techkonzerne gleichen sich teilweise aufs Haar. Die Frage ist, ob Apple durch eine bessere Implementierung und Integration ins eigene Ökosystem den entscheidenden Mehrwert liefern kann, der Vision Pro braucht. Für im Raum schwebende iPad-Apps wird sich dieses Gerät niemand kaufen. Nicht in dieser Form und nicht zu diesem Preis.
Es war Berichten zufolge Tim Cooks Entscheidung, das Headset endlich der Öffentlichkeit vorzustellen, anstatt zu warten, bis die Technologie fortgeschritten ist und kleinere, elegantere Gesichtscomputer ermöglicht. Ich hatte bei der Vorstellung das Gefühl, dass Cook wirklich begeistert ist von Apple Vision Pro und dessen Möglichkeiten. In dieser Hinsicht trennt Tim Cook und Mark Zuckerberg womöglich gar nicht so viel. Beide glauben an die Technologie, beide sind bereit, in sie zu investieren und beiden schweben die gleichen Anwendungsszenarien vor.
Ich war am Ende dennoch zwiegespalten. Vision Pro ist ein wunderschönes Stück Technologie. Ich bewundere die Liebe zum Detail, die die Apple-Ingenieure an den Tag legten und die zahlreichen kleineren und größeren Innovationen, die in dem Gerät stecken und die Industrie inspirieren werden. Apple Vision Pro ist in der Tat der „fortschrittlichste persönliche Computer, der je entwickelt wurde“. Aber was ich und andere Verbraucher damit letzten Endes machen sollen, ist mir gestern nicht klar geworden.
Apple schwebt wie Meta und anderen Herstellern ein räumlicher Allzweckcomputer vor, aber es wird viele Jahre dauern, bis die Hardware miniaturisiert und die Software ausgereift genug dafür ist. Ich hoffe, dass sich Apple dessen klar ist, denn der Erfolg wird nicht über Nacht kommen.
Dieser Beitrag erschien am 6. Juni 2023 bei MIXED.