§ 139. Jeder der drei Fragen liegt die erste und letzte Frage nach der Dialektik von Natur und Kunst zugrunde

Mit der Trias der Begriffe des Mediums, des Lebens und der Kunst ist das gesamte Feld der Fragen abgesteckt, die sich für einen Entwurf der Zehnten Kunstform stellen, dergestalt, dass jede Frage sich einem Verhältnis dieser Begriffe zuordnen lässt. Dass jede Frage einem Verhältnis dieser Begriffe entspringt, zeugt davon, dass diese Verhältnisse problematisch geworden sind. Dass diese Verhältnisse problematisch geworden sind, zeugt davon, dass die ihnen zugrundeliegenden Begriffe in Bewegung geraten sind. Dass diese Begriffe in Bewegung geraten sind, ist auf den Computer zurückzuführen. Der Computer ermöglicht eine Verhältnisform, welche die allgemeine Form des Lebens annimmt. Hierdurch gerät das Natürliche mehr als je zuvor unter die Bedingungen des Künstlichen, ja es scheint fast, als würde die Kunst nicht mehr innerhalb der Natur, sondern die Natur innerhalb der Kunst erscheinen. Folglich gründen alle Fragen, die sich mit dem Hervortreten einer Zehnten Kunstform stellen, in einer einzigen, einer ersten und letzten Frage, die sich mit jeder neuen Form von Artefakt von Neuem und besonders heute mit einem Artefakt, das die Form der Welt selbst angenommen hat, in geradezu paradigmatischer Weise stellt: der Frage nach der Dialektik von Natur und Kunst.

§ 140. Zur Schwierigkeit eines theoretischen Unterfangens solchen Umfangs

Der Bewegung dieser Begriffe ist damit beizukommen, dass ihr Verhältnis neu bestimmt wird. Diese Neubestimmung setzt eine Theorie des Mediums, des Lebens und der Kunst voraus, aber zugleich geht eine Theorie des Mediums, des Lebens und der Kunst aus solcher Neubestimmung erst hervor. Die Schwierigkeit eines solch umfassenden theoretischen Unterfangens gründet gleichermaßen in der allgemeinen Natur der ihm zugrundeliegenden Begriffe. Diese Schwierigkeit tritt bereits beim Versuch hervor, einen solchen Gedankenbau aufzurichten. Da alles alles zu bedingen scheint, kann weder ein rechter Anfang noch ein rechtes Ende gefunden werden, am wenigsten jedoch ein natürliches Nacheinander der Gedanken. Wir haben es mit einer Zirkularität zu tun, der man mit einer gewöhnlichen Erzählung nicht Herr werden kann.

§ 141. Die Betrachtung

Es erscheint mir daher klüger, der Form einzelner Betrachtungen Vorzug zu geben, in der Hoffnung, dass diese in der Gesamtschau ein zusammenhängendes Bild ergeben. Die Betrachtung trägt Geist und Welt als den beiden Wirkungsgrößen des Lebens Rechnung, denn sie begreift Wahrnehmung und Denken als etwas, das zusammengehört. Eine Betrachtung ist sich zudem ihrer selbst bewusst, und zwar insofern, als sie weiß, dass sie Betrachtung ist, dass ihr ein Betrachter zugrunde liegt, dass sie Verhältnisform und nicht Schau eines Objektiven ist. Sie versteht sich ferner als etwas, das vorläufig und Teil einer Bewegung ist, die zu keinem Ende kommen kann. Ohne künstliche Scheu stellt sie Regeln auf, um nach diesen Regeln zu spielen, denn sie weiß, dass Philosophie letztlich darin zu sich findet.

§ 142. Worin die Ganzheitlichkeit dieser Systematik gründet. Der höchste Begriff einer Zehnten Kunstform als oberste Einheit des Entwurfs

Die Ganzheitlichkeit dieser Systematik gründet in den drei Dimensionen des Lebens, die sie umfasst: die Dimension des Geistigen, Sinnlichen und Wirklichen als den drei Pfaden der Entdeckung, deren Widerschein das Wahre, Schöne und Gute ist. Damit zeigt sich, dass Philosophie und Kunst Erscheinungsformen ein und desselben höchsten Strebens sind. Denn nichts anderes stellt der Entwurf einer Zehnten Kunstform dar als den Versuch, sich den höchsten Begriff einer solchen Kunstform zu denken, dergestalt, dass in der Form derselben zugleich und in höchstem Maße ein und ihr Wahres, Schönes und Gutes hervortritt. Diese Form wurde als die allgemeine Form des Lebens bestimmt und jeder der drei Teile arbeitet dem Ziel zu, in dieser Form die Bedingung der Möglichkeit eines solchen höchsten Begriffs zu denken. Dieser höchste Begriff bildet folglich die Einheit eines solchen Unterfangens.

§ 143. Zwei Formen der Schlichtung des Streits der Bestimmungskräfte

Es ist nicht möglich, dass zwei Bestimmungskräfte denselben Gegenstand zugleich auf unterschiedliche Weise bestimmen. Diese Formulierung des Bestimmungsparadoxes erhellt nicht bloß die Natur des Streits der Bestimmungskräfte, sie zeigt auch Möglichkeiten zu dessen Schlichtung auf. Eine erste Form dieser Schlichtung besteht darin, die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass die Bestimmungskräfte denselben Gegenstand bestimmen wollen, z.B. dadurch, dass die Bestimmungsmacht des Kunstwerks sich weitgehend auf die allgemeinen Gesetze der Welt beschränken, oder dadurch, dass man den Anspruch auf die Bestimmungsmacht des Rezipienten auf geschickte Weise steuert. Eine zweite, ungewöhnliche Form von Schlichtung, um die es mir in diesen letzten Betrachtungen gehen soll, besteht darin, die Bestimmungskräfte dazu zu bringen, denselben Gegenstand auf dieselbe Weise zu bestimmen.