Die Frage nach dem Computerspiel als einer eigenen Form des Spiels wird folglich mehr und mehr zu einer Frage nach dem Medium, dem es zugrunde liegt. Ich glaube, dass dasjenige, was auf der Grundlage dieses Mediums erschienen ist, nicht bloß eine eigene Form des Spiels darstellt, sondern stets schon etwas anderes, das den Spielbegriff transzendiert und in der sonderbaren Natur des Mediums gründet und genau dieses andere bildet den eigentlichen Gegenstand des Interesses jener Wissenschaft, dasjenige, worauf sie zurückkommen muss, um die Erscheinungen zu verstehen, die sie beschreibt. Der Begriff des Spiels ist für eine Untersuchung dieser Erscheinungen zwar wesentlich, aber seiner Bedeutung nach dem Computer als jenem anderen Bestandteil des Kompositums, unter welchem diese Erscheinungen gemeinhin zusammengefasst werden, gleichwohl nachgeordnet.
Date Archives → März 2012
§ 80. Die Verallgemeinerung des Spiels
Jenes andere, das im Computerspiel seit jeher hervordrängt und den Spielbegriff transzendiert, ist die Form eines Allgemeinen, die in seinem Medium, dem Computer, gründet, weshalb das Eigenständige dieser eigenständigen Form von Spiel sich in der Verallgemeinerung des Spiels kundtut, die in der Erweiterung seiner Strukturelemente besteht: der Spielregeln, der Spielhandlung und des Spielers.
§ 81. Die Erweiterung des ersten Strukturelements. Von der Spielregel zum Naturgesetz, vom magischen Zirkel zur Welt
Das Regelwerk des Spiels erscheint mit dem Computerspiel unter den Bedingungen der Form eines Allgemeinen und wird infolgedessen auf die Welt hin erweitert, was sich daran zeigt, dass die Spielregeln als etwas, das einer Ausführung bedarf, mehr und mehr in den Hintergrund treten. Sie sind zu den Gesetzen der Welt selbst geworden und treten als solche gar nicht mehr ins Bewusstsein. Das Computerspiel hat immer schon dasjenige durchbrochen, was Huizinga den Zauberkreis nannte und worin er eines der Grundmerkmale des Spiels sah, die künstliche Abgrenzung des Spiels gegen das Leben. Denn der Schauplatz des Computerspiels war immer schon die Welt und das, was man in Computerspielen tat, war stets auch etwas Konkretes gewesen. Dies verdankt sich gewiss auch dem Umstand, dass das Computerspiel auf einem Bildschirm, folglich innerhalb eines gerahmten Bildraums erschien, der die Welt darzustellen vermochte, weshalb man es mit Recht auch Video-Spiel nannte: das Spiel, das ich sehe. Bildlichkeit war seit jeher ein zweitrangiges Merkmal der Spiele. Man denke an das Schachspiel, das durch seine Metaphorik des Krieges nichts Wesentliches hinzugewinnt. Mit dem Computerspiel als einer eigenständigen Form von Spiel ist dies anders geworden, denn was es zeigt, ist die Welt und die Welt ist sein Schauplatz.
§ 82. Die Erweiterung des zweiten Strukturelements. Von der Spielhandlung zu einem allgemeinen Handlungsbegriff
Dadurch, dass das Regelwerk des Spiels auf die Welt hin erweitert wird, erweitert sich auch sein Handlungsbegriff. Was man innerhalb eines Spiels tut, hat folglich die Form eines Allgemeinen angenommen: man errichtet ein Haus, man geht auf Entdeckungsreisen, man treibt Geschäfte.
§ 83. Die Erweiterung des dritten Strukturelements. Vom Spieler zum Menschen
Wie die Erweiterung des ersten Strukturelements mit einer Erweiterung des zweiten Strukturelements einhergeht, so geht die Erweiterung des zweiten Strukturelements mit einer Erweiterung des dritten Strukturelements einher. Vermöge der Erweiterung des Handlungsbegriffs geht der Spieler mehr und mehr darin auf, etwas sehr viel Allgemeineres, nämlich Mensch zu sein. Damit ist dem Umstand Rechnung getragen, dass das Computerspiel weitaus mehr Dimensionen menschlichen Seins zur Entfaltung bringt als das Spiel. So können Fragen moralischer Natur zu einem zentralen Element des Computerspiels werden. Das Computerspiel als eine eigenständige Form von Spiel entdeckt den Menschen und im Computerspiel entdeckt der Mensch sich.