Wer wird das Google oder Apple des VR- und AR-Zeitalters, zum reichen und mächtigen Türhüter einer neuen Computerplattform?
Meta ist gut aufgestellt und hat einen Vorsprung. Zum einen in Markterfahrung: Es hat ein halbes Dutzend VR-Headsets herausgebracht und mit Meta Quest viele Millionen Geräte unters Volk gebracht. Zum anderen steckt Meta so viel in Forschung und Entwicklung wie kein anderes Unternehmen: Über zehn Milliarden US-Dollar waren es allein im letzten Jahr und in Zukunft werden es noch mehr, sagte Zuckerberg Investoren. Mehr als 17.000 Angestellte hat Metas VR- und AR-Abteilung, die Reality Labs. Das ist mehr als ein Fünftel der Belegschaft.
Doch die Konkurrenz wartet nicht. Apple hat schon lange ein Headset in Entwicklung, das Insidern zufolge 2023 auf den Markt kommt. Noch dieses Jahr erscheint Project Cambria, Metas erstes Premium-Headset. Es wird sich an Apples Produkt messen müssen – oder umgekehrt. Neben Meta und Apple arbeiten Google (Project Iris) sowie Microsoft und Samsung (Project Bondi) an ähnlichen Geräten: schlanken Headsets, die sowohl VR als auch AR beherrschen. Die nächsten Jahre werden spannend.
Sollte VR und AR im Laufe des Jahrzehnts einen Durchbruch erleben, so ist ein paradigmatischer Wandel in der Computerinteraktion zu erwarten. Maus und Tastatur und das Touch-Display: Sie werden von neuen Schnittstellen wie Sprachsteuerung, Handtracking und neurale Interfaces herausgefordert und um diese ergänzt. Computer werden räumlicher, körperlicher, immersiver und stellen damit einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit dar: etwas, das man als „Paradigmenlücke“ bezeichnen könnte.
Diese Kluft zwischen Alt und Neu macht sich schon heute bemerkbar. Setze ich mir eine Meta Quest 2 auf, bin ich nicht nur von meinen Mitmenschen isoliert, auch mit meinem Laptop und Smartphone kann ich kaum mehr richtig interagieren. Mit einem Schlag habe ich mich vom restlichen Computer-Ökosystem abgekoppelt.
Meta bemüht sich, eine Brücke zu schlagen. So kann man Smartphone-Mitteilungen in der VR-Brille anzeigen lassen und eine Handvoll Produktiv-Apps in der Virtual Reality nutzen. Doch das ist bei Weitem nicht genug. Selbst wenn VR und AR künftig häufiger genutzt werden oder sogar im Alltag ankommen, so schnell werden sie den Desktop-Rechner, Laptops und Smartphones nicht ersetzen – wenn überhaupt.
Die neuen und alten Computerparadigmen werden lange koexistieren, weshalb die Bemühungen dahingehen werden, diese so weit zusammenzuführen, dass man nahtlos von einer Plattform in die nächste wechseln kann, egal, ob man im Internet surft, E-Mails liest, arbeitet oder spielt. Für die Aneignung der neuen Technologien wird das ein kritischer Faktor werden.
Hierin sehe ich den größten Vorteil Apples gegenüber allen anderen Mitbewerbern, einschließlich Meta: Apple besitzt ein einheitliches, in sich geschlossenes und aufeinander abgestimmtes Ökosystem aus Hardware und Software, in das es seine VR- und AR-Technologie einbetten kann. Kein anderes Unternehmen hat so gute Voraussetzungen, die Paradigmenlücke zu schließen, das zentrale Problem der nächsten Computerwelle zu lösen und Meta das Fürchten zu lehren.
Eine nahtlose Integration des kommenden Headsets oder einer AR-Brille mit dem iPhone, iPad, Macbook und der Apple Watch: Das sollte relativ leicht für Apple sein. Wie schwer hat es dagegen Meta, das nur VR-Hardware besitzt und auf das Wohlwollen und die Schnittstellen anderer Firmen angewiesen ist, um die allgegenwärtige und dominierende Computerplattformen der Gegenwart, das Smartphone, bestmöglich in VR- und AR-Brillen zu integrieren?
Apple hat natürliche weitere Asse im Ärmel: besonders leistungsfähige und effiziente Chips, auf die kein anderes Unternehmen Zugriff hat, jahrzehntelange Erfahrung mit Hardwaredesign und eine riesige Marktmacht. Doch ausschlaggebend werden dürfte etwas anderes: das Vermögen Apples, eine Brücke zwischen neuer und alter Technologie zu schlagen.
Vor diesem Hintergrund könnte man Project Cambria als den groß angelegten Versuch sehen, die aufklaffende Paradigmenlücke im kritischen Bereich der Arbeit und Produktivität anzugehen. Fürs Erste mit einem hochwertigen Passthrough-Modus, der den Blick aufs Smartphone erlaubt und mit der Integration von 2D-Apps, die Büro-Anwendungen in die VR bringen. Doch das kann nur der Anfang sein.
Dieser Beitrag erschien am 12. Juni 2022 bei MIXED.