„Surviving 9/11“: Eine eindringliche Virtual-Reality-Doku

Surviving 9/11 erzählt die Geschichte von Genelle Guzman-McMillan, der letzten Person, die lebend aus den Trümmern des World Trade Centers geborgen wurde.

Guzman-McMillan war Ende 20, als sie aus Trinidad nach New York immigrierte und eine Stelle im World Trade Center antrat. Sie arbeitete im 64. Stockwerk des Nordturms, als das erste Passagierflugzeug mit dem Wolkenkratzer kollidierte. Als das Gebäude in sich zusammenstürzte, befand sich Guzman-McMillan im 13. Stockwerk. 27 Stunden später wurde sie aus den Trümmern gerettet. Sie war eine von nur 18 Personen, die sich beim Einsturz in den Zwillingstürmen aufhielt und überlebte.

Der VR-Film gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil reisen wir ins New York der 90er-Jahre und besuchen das World Trade Center, so wie es vor dem 11. September aussah. Der zweite Teil rekonstruiert die Angriffe, die bangen Stunden unter den Trümmern und die Rettung. Der dritte und letzte Teil dokumentiert das Leben danach und begleitet Guzman-McMillan an die heutige Gedenkstätte, das 9/11 Memorial.

Die VR-Dokumentation schafft durch seine animierten 360-Grad-Ansichten eine neue Nähe zum Geschehen.

Für den ersten Teil forschten die Filmemacher nach 360-Grad- und Panorama-Bildern New Yorks aus den 90er-Jahren und kontaktierten die Urheber, um an die Negative zu kommen. Das Ziel war, die mehr als zwanzig Jahre alten Bilder in ein hochauflösendes stereoskopisches 360-Grad-Video zu verwandeln. Hierfür wurden zunächst die Negative in hoher Auflösung und HDR gescannt und anschließend zusammengefügt. Mithilfe Künstlicher Intelligenz skalierten die Produzenten die Bilder hoch und entfernten Bildrauschen. In einem weiteren Schritt wurden die Bilder künstlich um stereoskopische Tiefenebenen erweitert, sodass sie eine 3D-Wirkung entfalten. Zuletzt reicherten die Filmemacher das 360-Grad-Material um Animationen an und ließen es damit noch lebensechter wirken.

Das Ergebnis dieser mühevollen Kleinstarbeit ist beeindruckend. Als Zuschauer steht man in pulsierenden Momentaufnahmen des New Yorks der 90er-Jahre: Aus der Kanalisation dringt Dampf, US-Flaggen wehen im Wind und Vögel flattern über dem Hudson River. Später findet man sich auf dem ehemaligen WTC Plaza wieder und schaut die Türme hoch oder steht auf der Aussichtsplattform des Südturms und genießt New Yorks Skyline.

Diese Aufnahmen sind ein Zeugnis der Macht des immersiven Formats. Auch wenn die Fotos erst nachträglich entsprechend aufbereitet wurden: Die Zeitreisen, die sie ermöglichen, sind eindrücklich.

Den wohl wirkungsvollsten Moment hat der Film gleich zu Beginn: Man steht am Fuße der Brooklyn Bridge und blickt nach Manhattan. Aus dem Südturm dringt dichter Rauch. Plötzlich taucht aus den Wolken ein zweites Flugzeug auf und rammt den Nordturm. Die entsprechenden Videoaufnahmen kennt man. Dieses Ereignis ohne Videorahmung am Pier stehend zu beobachten, gibt dem Zeitdokument seine Unmittelbarkeit zurück.

Im zweiten Teil des VR-Films werden die fatalen Ereignisse aus der Perspektive Guzman-McMillans dargestellt. Auch hier haben die Filmemacher keinen Aufwand gescheut: Die Büroräumlichkeiten des 64. Stockwerks wurden dreidimensional rekonstruiert und für die Trümmer, unter denen die Bürgerin New Yorks 27 Stunden lang eingeklemmt war, scannten die Produzenten Schutt des Ground Zero in 3D ein. Der Film nutzt die Stärken der VR und versetzt Nutzer in einen klaustrophobisch engen Raum, während Guzman-McMillan von den qualvollen Stunden der Ungewissheit erzählt.

Produziert wurde der VR-Film vom französischen Studio Targo, das für seine 360-Grad-Dokus Rebuilding Notre Dame und When We Stayed Home schon zweimal für den Emmy nominiert wurde.

Dieser Beitrag erschien am 9. September 2021 bei MIXED.