Immersive Foto- und Videografie ist noch immer eine Nische. Die Abspielgeräte, also VR-Brillen, sind längst nicht so weit verbreitet, dass es sich für Kamerahersteller lohnen würde, im großen Stil in die Technik zu investieren. Deswegen gibt es nur wenig wirklich gute und erschwingliche VR-Kameras am Markt. Die hochwertigeren Produkte sind meist teuer oder so kompliziert in der Anwendung, dass sie nur für Enthusiasten infrage kommen. Weil massentaugliche VR-Kameras am Markt fehlen, sind gute Inhalte überschaubar, was wiederum die breitere Aneignung der Technologie hemmt. Ein Teufelskreis, den die VR-Industrie allzu gut kennt.
Niedrig aufgelöste, verwaschene oder grobkörnige VR-Aufnahmen: Die dürften allen bekannt sein, die in den vergangenen zehn Jahren mit Virtual Reality in Berührung kamen. Dementsprechend schlecht ist der Ruf der VR-Foto- und Videografie. Das gilt besonders für das 360-Grad-Format, das meistens in monoskopischer Form, also ohne natürlichen Tiefeneindruck, daherkommt.
Aber es geht auch anders. Als ich kürzlich in Meta Quest TV nach interessanten Inhalten stöberte, bin ich auf beeindruckend scharfe und hochwertige VR-Aufnahmen eines deutschen Hobbyisten gestoßen: Thomas Hübner. Seine Videos haben mein Interesse geweckt, weshalb ich mit Hübner Kontakt aufnahm.
Vier Videos haben es mir besonders angetan. Hierbei handelt es sich zum einen um bewegte Bilder, zum anderen um Slideshows hochauflösender VR-Fotografien:
Gerade von den Fotografien geht eine starke Suggestivkraft aus, die mich zu einer Neubewertung des immersiven Potenzials der immersiven Foto- und Videografie bewegt. Die Umgebung wirkt teilweise so echt, dass man die Hand nach ihr ausstrecken möchte. Was, wenn solch scharfe und lebensechte Aufnahmen eines Tages mit herkömmlichen VR-Kameras möglich wären?
Davon sind wir noch weit entfernt. Für die Bewegtbild-Aufnahmen verwendet Hübner eine Kombination aus Canons R5-Profikamera sowie dazugehörigem Canon-VR-Objektiv. Kostenpunkt: rund 6.000 Euro. Und mit der Aufzeichnung des Filmmaterials fängt die Arbeit erst an.
Hübner nutzt für die Nachbearbeitung mehrere Schichten Software: für das stereoskopische Ausrichten und Zuschneiden, das Stitchen, Entrauschen und Schärfen des Bildmaterials. Für die Aufnahmen des Schlosses Pillnitz kam zudem ein Folienfilter zum Einsatz, um die Belichtungszeit pro Frame und Sonnenstrahlen im 3D Bild zu verlängern.
Die VR-Fotografien wiederum wurden mit einem Stereo-Kamerasystem Marke Eigenbau aufgenommen, bestehend aus zwei Olympus PEN-F, die jeweils das linke und rechte Bild einfangen. Dank Sensor-Shifting-Technologie beträgt die Auflösung der Fotografien im rohen Format rund 100 Megapixel pro Auge, weshalb die Bilder nachträglich herunterskaliert werden müssen. Auch hier kommen bei der Nachbearbeitung mehrere Programme zum Einsatz, darunter die KI-basierte Bildoptimierungslösung Topaz.
Hübner beherrscht sein Handwerk. „Ich erforsche die Kameraeigenschaften, so wie jeder Fotograf seine Kamera kennenlernen sollte. Ich finde heraus, was mir die Kamera mit welchen Einstellungen liefert und ob ich mit Filtern zwischen Objektiv und Sensor eine Verbesserung schaffen kann“, sagt er. „Mit aktueller Software und Hardware suche ich nach einem optimalen und effizienten Workflow, um zu einem sehenswerten Ergebnis zu kommen und im Videobereich alles über die Grafikkarten rendern zu können.“ Sein VR-Content sei „jeweils das Ergebnis des Erreichten aus der jeweiligen Technik, einhergehend mit der weiterentwickelten Computertechnik und Software.“
Trotz aller Fachkenntnis: Hübner ist kein professioneller Foto- und Videograf und beschäftigt sich nur in seiner Freizeit mit immersiven Aufnahmetechniken. Die hat er sich in den vergangenen Jahren größtenteils selbst beigebracht, durch Ausprobieren und durch Unterstützung anderer Enthusiasten, die auf einschlägigen Plattformen ihre Erfahrungen austauschen.
Sein Hobby betreibt er seit 2010. Auslöser war der 3D-Boom, der jedoch schnell wieder abflachte. Als Google 2017 das VR180-Format einführte, rüstete Hübner seine Fuji-3D-Kamera zu einer 180-Grad-Kamera auf, indem er sie um Weitwinkellinsen und Weitwinkelkonverter erweiterte. In die VR-Videografie, also bewegte VR-Aufnahmen, stieg er vor knapp einem Jahr mit dem Erscheinen von Canons VR-Objektiv ein. Seine Slideshows und Videos lädt Hübner auf Meta Quest TV sowie die kostenlose VR-Videoplattform DeoVR hoch, das eine bessere Bildqualität bietet.
Für die Zukunft hofft Hübner auf günstigere 3D-Kameras für Privatanwender und ein erneutes Engagement seitens Google in das VR180-Format. Dann könne auch genügend hochwertiges Material für autarke VR-Brillen entstehen, das wiederum mehr Verbraucher anlockt. Auch bei Canon, das eine „sehr gute Lösung“ geschaffen habe, hofft Hübner, dass die Investitionen in Richtung VR weitergehen. Ihm ist aber auch klar, dass VR-Technik noch stärkere Verbreitung finden muss, bevor sich auch die VR-Fotografie weiterentwickeln kann. „Nur durch eine breite Nutzerbasis wird Virtual Reality für Privatanwender auf Dauer bestehen“, meint Hübner.
Seine Filme findet ihr in Meta Quest TV, indem ihr nach Thomas Huebner Dev sucht oder auf die Video-Links oben klickt. In der VR-App DeoVR findet ihr Hübners Kanal unter HuebiVR.
Dieser Beitrag erschien am 14. Januar 2023 bei MIXED.