Es ist ein Problem, das so alt ist wie VR-Brillen selbst: Nach einer längeren Zeit in der Virtual Reality tun die Augen weh und der Schädel brummt. Die Ursache ist ein Phänomen, das auch als Vergenz-Akkommodation-Konflikt (VAK) bezeichnet wird.
Nimmt man ein Objekt in der natürlichen Umgebung in den Blick, so passieren zwei Dinge. Zum einen stellen sich die Augenbälle durch sanfte Rotation auf das Objekt ein, um eine optimale stereoskopische Sicht zu gewährleisten. Dieses Phänomen nennt man Vergenz. Zum anderen werden die Linsen mittels Muskelkontraktion so geformt, dass das Objekt scharf erscheint. Dieses Phänomen nennt man Akkommodation.
Diese Mechanismen der menschlichen Auges sind normalerweise aneinander gekoppelt und in beständiger Wechselwirkung. Setzt man sich ein VR-Headset auf, kommt es zu einem Konflikt dieser beiden Reflexe, was zu einer Ermüdung der Augen, Kopfschmerzen und sogar Übelkeit führen kann. Eine längere Verweildauer in Virtual Reality wird dadurch beträchtlich gestört. Daher wären VR-Brillen mit Gleitsicht-Feature ein großer Gewinn.
Die Ursache für den VAK liegt in der Bauweise aktueller VR-Headsets. Das Zusammenspiel aus Display und Linsen erzeugt eine einzige, feste Fokusebene in etwa zwei Meter Entfernung. Alles, was sich hinter diesem Bereich befindet, ist für das Auge unendlich weit entfernt und gleichmäßig scharf. Da natürliche Umgebungen aus unendlich vielen stufenlosen Fokusebenen bestehen, ist das eine optische Anomalie für das Auge.
Blickt man in Virtual Reality auf ein Objekt, das weiter als zwei Meter entfernt ist, so stellt das kein gravierendes Problem dar, da Vergenz und Akkommodation unter diesen Bedingungen mehr oder weniger ungestört zusammenarbeiten. Ein Konflikt zwischen diesen Mechanismen entsteht erst im Nahbereich: Die Augenbälle konvergieren, um das nahe Objekt in den Blick zu nehmen, während die Linsen aufgrund fehlerhafter Tiefeninformation davon ausgehen, dass das Objekt unendlich weit entfernt ist und in infolgedessen nicht richtig scharf stellen. Das Ergebnis ist ein unscharfes Abbild der gesamten virtuellen Umgebung. Dass Vergenz und Akkommodation auf Objekte in unterschiedlicher Entfernung hinarbeiten, irritiert das Gehirn, wodurch es bei längerer Verweildauer zu den oben genannten unangenehme Symptomen kommen kann.
Die Industrie arbeitet seit vielen Jahren an Displays, die Gleitsicht in VR ermöglichen sollen, also das natürliche Fokussieren und Scharfstellen virtueller Objekte in beliebiger Entfernung. Als besonders vielversprechend gelten varifokale Displays und Lichtfeld-Displays.
2015 entwickelte Meta einen wuchtigen Varifokal-Prototyp mit feinmechanischen Teilen. In den folgenden Jahren miniaturisierte und vereinfachte Meta die Technologie. Das Ergebnis ist ein Prototyp mit Namen Half-Dome 3, der auf unbewegliche Flüssigkristalllinsen setzt. Sie erzeugen durch unterschiedliche elektrische Ladung bis zu 64 verschiedene Fokusebenen und liefern dem Auge so die Tiefeninformation, die es benötigt, um korrekt auf nahe Objekte scharfzustellen.
Ein Nachteil varifokaler Displays ist, dass sie präzises und schnelles Eye-Tracking voraussetzen: Das VR-Headset muss ermitteln, was das Auge anblickt und die nächstgelegene Fokusebene aktivieren. Gerenderte künstliche Unschärfe liefert weitere Tiefeninformationen, die die Akkommodation unterstützt. Das folgende Video zeigt das Bild aus Metas frühestem Varifokal-Prototyp, der bereits erstaunlich gut funktioniert: Man sieht den Fokuspunkt des Auges und wie das System zwischen verschiedenen Fokusebenen wechselt.
Der Headset-Träger kann wie beim Blick in eine natürliche Umgebung durch Akkommodation abwechselnd Vorder- und Hintergrund fokussieren, wobei eine Ebene scharf, die andere unscharf wird. Besonders schön zeigt sich das beim Maschendrahtzaun.
Lichtfeld-Displays sind eine zweite vielversprechende Technologie, die den Vergenz-Akkommodation-Konflikt lösen könnte. Auf diese Lösung wettet unter anderem das Schweizer Start-up Creal (ausgesprochen wie englisch „see-real“), das seit fünf Jahren an Lichtfeldtechnologie arbeitet und seither verschiedene VR- und AR-Prototypen vorgestellt hat.
Creals Display ahmt das Verhalten von Licht nach, das von der natürlichen Umgebung reflektiert wird. Die Fokusebenen sind damit schon in der Bildinformation enthalten und müssen nicht eigens simuliert werden: Das Auge kann natürlich fokussieren, nicht einmal Eye-Tracking ist notwendig.
Creal hat Videos veröffentlicht, die das Lichtfeld-Display in der Praxis zeigen. Das jüngste Video stammt aus dem Juni und demonstriert den VR-Prototyp. Es zeigt hervorragend den fokalen Wechsel zwischen Vorder- und Hintergrund, je nachdem, was die Kamera fokussiert: einmal die Hand und Finger, einmal das Display dahinter.
Das Lichtfeld erscheint in der Bildmitte innerhalb eines hochauflösenden 30-Grad-Sichtfelds, das dem fovealen Bereich des Auges entspricht. Das umgebende Sichtfeld wird durch ein herkömmliches, niedriger auflösendes Display dargestellt. Dieses Prinzip eines Doppeldisplays kennt man von Varjos Premium-Headsets.
Da das Lichtfeld schmaler ist, sinkt auch der Renderaufwand, was ein Vorteil ist für den Einsatz der Technologie. Das Team arbeitet nun an einem fovealen Darstellungsbereich, der sich mit dem Auge bewegt, um das Display noch effizienter zu machen.
Der aktuelle VR-Prototyp ist noch sehr klobig, schwer und teuer in der Herstellung. Creal will die Größe des Headsets in den nächsten Jahren auf den Formfaktor einer Skibrille reduzieren.
Dieser Beitrag erschien am 24. Juli 2022 bei MIXED.