Vergesst AR-Brillen! VR-Brillen sind die Zukunft

Eine alltagstaugliche AR-Brille, die Hologramme in den Raum beamt oder analoge und digitale Welt verschmelzen lässt: Sie könnte ein Wunschtraum bleiben. Doch das heißt noch lange nicht, dass das volle Potenzial der Technologie nicht in einer anderen Form ausgeschöpft werden kann. In diesem Beitrag schaue ich ins Jahr 2025, wage eine Prognose und erkläre, weshalb VR-Headsets die Zukunft der Augmented Reality sind.

Ich schreibe seit nunmehr fast fünf Jahren über VR und AR. In diesen fünf Jahren hatte ich eine Menge unterschiedlicher VR-Headset auf der Nase sitzen gehabt, aber erstaunlicherweise nur ein einmal eine AR-Brille. Das war 2017, als ich für die Gamescom Deutschland besuchte und an einem Stand Gelegenheit hatte, Hololens auszuprobieren.

Augmented Reality wird seit Jahren als das nächste, große Tech-Ding gehypt, das das Smartphone eines Tages ersetzen soll. Doch selbst heute noch sind AR-Brillen eine seltene und teure Art Technologie, der man nur selten in freier Wildbahn begegnet. Das ist frustrierend. Die hoch gehandelte, neue AR-Brille Nreal Light, die seit kurzem auch in Deutschland erhältlich ist, dürfte daran so schnell nichts ändern: Sie kostet viele hundert Euro und ist nur mit wenigen, teuren Smartphones kompatibel.

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Die AR-Brille Nreal Light ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber längst nicht alltagstauglich oder gut genug, dass sie Endverbraucher täglich nutzen werden. | Bild: Nreal

Ganz anders sieht es mit Virtual Reality aus. Die Technologie hat in den letzten fünf Jahren beträchtliche Fortschritte gemacht: Die Technik und die Ökosysteme sind gereift und man kann in fast jedem Elektronikgeschäft VR-Headsets kaufen, während schlanke, leistungsfähige und erschwingliche AR-Brillen für Endverbraucher noch nicht einmal das Licht der Welt erblickt haben und deren möglicher Marktstart immer weiter hinausgeschoben wird.

Das hat gute Gründe: Augmented Reality ist eine äußerst komplexe Technologie. Es ist bedeutend schwieriger, Licht über eine transparente Linse ins Auge zu leiten, als über einen Bildschirm, der direkt vor den Augen sitzt. Etwa zehnmal so schwierig, wie der Display-Experte, Industrieveteran und AR-Skeptiker Karl Guttag analysiert.  Guttag kritisiert die AR-Industrie seit Jahren für ihre unrealistischen Versprechen und hält es für unmöglich, eine gute AR-Brille zu bauen. „Gut“ meint hier: mit weitem Sichtfeld, hervorragender Bildqualität und einem alltagstauglichen und sozialverträglichen Formfaktor. Also gut genug für jedermann, nicht nur für Tech-Nerds und Fabrikarbeiter.

Die Milliarden, die Facebook und Apple in die AR-Forschung stecken, beeindrucken Guttag nicht. Die Gesetze der Physik lassen sich nicht verbiegen, egal, wie viel Zeit, Geld und Talent man darauf verschwendet, glaubt Guttag. Aber wenn Sci-Fi-AR im Formfaktor einer leichten Brille unmöglich ist, was könnte dann an ihre Stelle treten? Wo steht Augmented Reality realistischerweise in fünf oder gar zehn Jahren?

Ich kann mir zwei Entwicklungen vorstellen. Zum einen in Richtung schlanker und alltagstauglicher, aber technisch stark eingeschränkter AR-Brillen, deren Hauptfunktion eine KI-gestützte Alltagsassistenz ist. Zum anderen in Richtung von VR-Headsets mit immersiver Videodurchsicht-AR. Bei dieser AR-Darstellung wird die Umgebung mittels im Gehäuse integrierter Kameras aufgezeichnet und auf die Displays des VR-Headsets gestreamt, wodurch die eingefangene Realität digital beliebig erweitert werden kann.

Die schlanken, alltagstauglichen AR-Brillen hingegen bieten ein vergleichsweise enges Sichtfeld und einfaches Display und sind stark nutzenorientiert, beispielsweise für Sport oder Navigation, während die VR-Headsets eher zu Hause zum Einsatz kommen und der Unterhaltung, Arbeit oder Kommunikation dienen werden. Nur die Videodurchsichtgeräte können aufwendige Hologramme mit weitem Sichtfeld darstellen sowie analoge und digitale Welt vermischen, so wie sich das Magic Leap vor Jahren vorstellte. Dafür sind sie größer und klobiger als die zuvor erwähnten alltagstauglichen AR-Brillen.

VR-Headsets mit Videodurchsicht-AR sind weitaus leichter zu bauen als schlanke AR-Brillen: Zum einen, weil sie das Licht direkt ins Auge leiten, zum anderen, weil die Technik nicht in einem schlanken Brillenrahmen Platz finden muss. Videodurchsicht-AR löst außerdem gleich mehrere schwerwiegende Probleme transparenter AR-Displays.

AR-Objekte sind nicht mehr durchsichtig, was sie realistischer wirken lässt und sie sind auch bei hellem Tageslicht noch gut sichtbar, ohne dass der Bildschirm künstlich abgedunkelt werden muss. Außerdem lässt sich Dunkelheit simulieren, indem entsprechende Pixel abgeschaltet werden. Mit einem transparenten Display ist das nicht möglich, weil es Licht blocken müsste. Ein weiteres großes Problem und absoluter Immersionskiller ist das kleine Sichtfeld transparenter AR-Displays. Selbst 40-50 Grad sind schon eine technische Meisterleistung. Nur mit Videodurchsicht-AR sind Sichtfeldweiten jenseits der 90 Grad möglich.

Frei von Nachteilen ist aber auch diese AR-Technik nicht. Der Videoblick in die Umgebung ist schlechter als die natürliche Seherfahrung, es gibt technisch bedingte leichte Bildverzögerungen und das Farb- und Helligkeitsspektrum ist geringer. Geräte mit Videodurchsicht-AR werden außerdem niemals so schlank und alltagstauglich gebaut werden können, dass sie als herkömmliche Brillen durchgehen, müssen das aber auch nicht für jene Anwendungszwecke, in denen sie glänzen, wie zum Beispiel immersives AR-Gaming oder Bildungsanwendungen. Wegen des Formfaktors ist ihr Marktpotenzial allerdings bedeutend kleiner als das möglicher schlanker AR-Brillen.

Es gibt bereits Beispiele für gute VR-Headsets mit Videodurchsicht-AR-Technik. Ein Beispiel ist die Varjo XR-3. Das folgende Bild zeigt die Vorderseite des recht wuchtigen Geräts samt Kameras und Sensoren. Dank eines Lidar-Scanners kann das Headset die Umgebung dreidimensional abtasten und gewinnt so ein Tiefenverständnis, das AR-Effekte realistischer erscheinen lässt. Das Video der Umgebung wird auf ein hochauflösendes Display gestreamt, wodurch es sogar möglich ist, einen Faden durch ein Nadelöhr zu treiben. Die Technik funktioniert, ist aber noch recht teuer: Rund 5.500 Euro ruft das finnische Start-up für das Gerät auf, das es an Unternehmen und 3D-Designer vermarktet.

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Die AR-fähige Varjo XR-3 (links) und das reine VR-Headset VR-3 . | Bild: Varjo

Noch beeindruckender ist die Lynx R-1. Das Herzstück des erstaunlich kompakten Geräts ist ein optisches Modul, das nicht viel größer ist als ein Brillenetui. Ein weiterer Vorteil gegenüber der Varjo XR-3: Die Lynx R-1 kommt ohne Zuspieler und Kabel aus und hat alle Technik in einem schmalen Gehäuse integriert. Das periphere Sichtfeld liegt frei, sodass man links und rechts die unverfälschte Umgebung sieht. Das erhöht die Sicherheit und den Sehkomfort. Die Kopfhalterung kann man optional um ein Zubehör erweitern, das an den Seiten einfallendes Licht komplett abschirmt. So simuliert das Gerät einen VR-Modus.

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Ein Renderbild der Lynx R-1 zeigt das optische Modul, die Kopfhalterung und die rückseitige Batterie. | Bild: Lynx

Mit einem Video demonstrierte das Pariser Start-up Lynx vor kurzem, wie überzeugend Videodurchsicht-AR mit der Lynx R-1 aussehen kann – obwohl das Gerät noch ein Prototyp ist. Digitale Objekte leuchten in satten Farben und verdecken die Umgebung komplett, so als wären sie Teil der physischen Umgebung. Kosten soll das Gerät zwischen 1.000 und 2.000 US-Dollar, wenn es auf den Markt kommt.

Apple wird laut Insider-Berichten zunächst ebenfalls auf ein VR-Headset mit Videodurchsicht-AR setzen. Hartnäckigen Gerüchten zufolge steigt der Konzern 2022 mit einem solchen Gerät in den XR-Markt ein und nicht etwa mit einer schlanken AR-Brille. Die Gründe sind naheliegend: Allein auf Basis von Videodurchsicht-AR kann man heute und wahrscheinlich auch in Zukunft das volle Potenzial der Augmented Reality ausschöpfen. Der Marktstart einer ebenfalls geplanten schlanken AR-Brille “Apple Glass” wurde hingegen auf 2025 (!) verschoben, glaubt man dem ab und an gut informierten Apple-Analysten Ming-Chi Kuo. Angesichts einer solch langen Entwicklungszeit dürfte Apple immer noch Grundlagenforschung betreiben – mit ungewissem Ausgang.

Die Beispiele Varjo, Lynx und Apple zeigen: Gute Videodurchsicht-AR ist schon heute in einer angemessenen Qualität umsetzbar, während für ähnlich leistungsfähige, schlanke AR-Brillen grundlegende Durchbrüche nötig wären.

Womöglich werden uns leichte, smarte Brillen in ein paar Jahren schon im Alltag und bei der Kommunikation unterstützen. Aber sie werden nicht in der Lage sein, das AR-Versprechen einer analog-digitalen Mischrealität einzulösen. Ich bin überzeugt, dass es VR-Headsets sein werden, deren Displaytechnik und Bauform, die dieses Ziel erreichen, die Fantasie der Menschen beflügeln und neue Formen der Unterhaltung und Kunst hervorbringen werden.

Dieser Beitrag erschien am 18. April 2021 bei MIXED und wurde für dieses Blog überarbeitet.

Smart Glasses: Wann kommt der Durchbruch?

In einer nicht allzu fernen Zukunft werden Brillen smart. Sie werden aussehen wie herkömmliche Brillen, aber alles können, was Smartphones tun. Und mehr: Sie erfassen die Welt, überlagern sie mit digitaler Information, lotsen Brillenträger mit digitaler Navigation im Sichtfeld zielsicher ans richtige Supermarktregal, verwandeln das Wohnzimmer in ein 3D-Videospiel oder beamen Freunde als Hologramme an die Küchenzeile.

Das jedenfalls ist die Vision von Facebook-Chef Mark Zuckerberg: eine Augmented-Reality-Brille, die die Umgebung wahrnimmt und nach Belieben digital erweitert. Dass dieser tollkühne Zukunftsentwurf gerade jetzt so viele Techkonzerne umtreibt, ist kein Zufall: Die größte und wichtigste Computerplattform der Gegenwart, das Smartphone, ist ausgereizt und fertig entwickelt, der Markt gesättigt. Was also verkaufen?

Das Silicon Valley sucht nach dem nächsten großen Ding, und Augmented Reality gehört zu den vielversprechendsten Kandidaten. Facebook investiert kräftig: Mehrere tausend Fachkräfte forschen an den technischen Grundlagen von AR-Brillen und entwickeln neue, intuitive Computer. Statt mit Maus, Tastatur oder Touchscreen bedient man sie mit Blicken, Worten, Gesten – ja selbst per Gedankenkraft. In diesem Jahr soll die erste smarte Brille des Technologiegiganten auf den Markt kommen, ausgerechnet in Kooperation mit EssilorLuxottica. Das lässt nicht nur die Augenoptikbranche aufhorchen, doch wird das den Durchbruch bringen? Werfen wir einen Blick zurück auf die Anfänge der Geschichte smarter Brillen.

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Mark Zuckerberg kündigt im September 2020 Smart Glasses an, die zusammen mit Ray Ban entwickelt werden. | Bild: Facebook / EssilorLuxottica

Alles begann im Jahr 2014, als Google Glass auf den US-Markt kam. Der tragbare Minicomputer hat eine Kamera integriert, ist an einem von vier wählbaren Brillenrahmen befestigt und projiziert eine schmale Nutzeroberfläche ins Sichtfeld, über die sich Google-Dienste wie die Internetsuche, Google Maps und Gmail nutzen, Anrufe tätigen oder Fotos und Videos machen lassen. Das Smartphone kann in der Tasche bleiben.

Bedient wird die Brille mit dem Google Assistant, also Sprachbefehlen und einem Touchpad, das sich an der Seite des Gehäuses befindet. Je nachdem, wie intensiv man Google Glass nutzt, reicht die Batterie nur wenige Stunden. Korrektionsgläser werden vom Augenoptiker geschliffen und eingesetzt. Ohne diese wiegt die Brille 36 Gramm.

Der Hype war riesig, doch das Gerät floppte. Google nahm Google Glass nach weniger als einem Jahr vom Markt. Für das Scheitern gab es zwei Gründe: das klobige Design und die Kamera, die als Bedrohung der Privatsphäre wahrgenommen wurde. Berichte aus dieser Zeit erzählen von Nutzern, die aus Restaurants geworfen und als „Glassholes“ beschimpft wurden.

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Mit Google Glass wagte sich Google früh vor – und scheiterte. | Bild: Google

Drei Jahre nach Marktstart brachte Google eine leicht verbesserte Version heraus, die auf Unternehmen zugeschnitten ist. Seither wird die smarte Brille professionell eingesetzt, etwa bei der Maschinenwartung und in der Logistik. So können Service-Techniker ihr Bild in die Zentrale übertragen und haben freihändig wichtige Checklisten im Blick. Das steigert die Produktivität. Diesen recht überschaubaren Markt teilt sich Google mit einer Reihe weiterer kleiner Hersteller wie Realwear und Vuzix.

Mit Microsoft HoloLens machte die AR-Brillentechnik 2016 einen Sprung nach vorne. HoloLens ist ein tragbarer Windows-Computer, hat Sensoren, die den Raum abtasten, wodurch der Brillenträger eine räumliche Vorstellung der Umgebung gewinnt, sowie ein hochentwickeltes Display, das detaillierte 3D-Grafik passgenau in den Raum projiziert. Zum Vergleich: Die Datenbrille Google Glass „besitzt“ keinerlei Raumverständnis und stellt Information nur statisch im Sichtfeld dar.

HoloLens hebt die Augmented-Reality-Erfahrung auf eine neue Stufe, indem sie hologrammartige 3D-Objekte in die Umgebung projiziert, mit denen man interagieren kann. Zum Beispiel kann der Brillenträger ein Möbelstück vor dem Kauf virtuell im Wohnzimmer aufstellen oder ein digitales Auto in der Einfahrt parken. Die Linse der HoloLens ist ein durchsichtiges Glas, das das Licht eines seitlich angebrachten Projektors ins Auge reflektiert. Herkömmliche Brillen können problemlos unter der HoloLens getragen werden.

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Viel Technik, aber auch viel Brille: Microsofts HoloLens 2. | Bild: Microsoft

So bahnbrechend Microsofts HoloLens auch ist, die AR-Brille ist kein Produkt für den Massenmarkt. Das wuchtige Design und der hohe Preis machen sie für Endverbraucher uninteressant. Microsoft verkauft HoloLens derzeit nur an Unternehmen. Hier dient sie der Schulung an detaillierten 3D-Modellen, wird für industrielles Prototyping eingesetzt oder unterstützt medizinische Eingriffe.

Hoffnungen auf einen grundlegenden Durchbruch schürte das Unternehmen Magic Leap, das vorgibt, eine revolutionäre, alltagstaugliche AR-Brille in Entwicklung zu haben, die das Smartphone ersetzen kann. Mit spektakulären Konzeptvideos lockte das mysteriöse Start-up viele Investoren. Circa 2,3 Milliarden US-Dollar Risikokapital häufte man zwischen 2014 und 2018 an, der Unternehmenswert wurde zeitweise auf mehr als sechs Milliarden geschätzt. Ende 2017 wurde die AR-Brille enthüllt und enttäuschte: Weder Technik noch Formfaktor erfüllten die Erwartungen eines technologischen Quantensprungs. Die Brille floppte. Dem Beispiel Googles und Microsofts folgend, schwenkte Magic Leap auf den einzig denkbaren Abnehmer seiner Produkte um: Unternehmen.

Das Scheitern von Magic Leap und Microsoft mit Google Glass steht beispielhaft für den realitätsfremden AR-Hype der letzten Jahre, als man glaubte, dass fortschrittliche Augmented Reality den Durchbruch für smarte Brillen bringen könnte. Doch die erforderliche Technologie ist längst noch nicht weit genug und derzeit unmöglich so klein zu kriegen, dass sie in eine herkömmliche Brille passt. Deshalb verlegt sich die Branche auf ein anderes Ziel: Die Entwicklung smarter Brillen mit minimaler Technik, die dafür möglichst wie herkömmliche Brillen aussehen. Echte Augmented Reality ist in diesem schlanken Design zwar nicht umsetzbar, dafür lockt ein größerer Markt.

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Die Kamerabrille Spectacles fand wenig Anklang. | Bild: Snap

Dem pragmatischen Ansatz folgen derzeit fast alle Anbieter smarter Brillen. Das erste Experiment dieser Art ist die Sonnenbrille Spectacles, die 2016 auf den Markt kam und sich an Nutzer des Messaging-Dienstes Snapchat richtet. Sie hat eine Kamera integriert, die 3D-Videos aus der Blickperspektive filmt und um AR-Effekte erweitert. Die Brille sieht cool aus, doch die integrierten Doppel-Kameras schrecken ab. Ein Spielzeug eben, das für ein paar Stunden Spaß macht. Hersteller Snap baut aber kontinuierlich an weiteren Modellen.

Einen Schritt weiter geht das Start-up North, das 2018 eine schicke Datenbrille ohne Kamera auf den Markt brachte. Die Focals ist eine Art Smartwatch für die Nase. Sie wird drahtlos mit dem Smartphone gekoppelt und projiziert Handy-Benachrichtigungen wie Uhrzeit, Wetter, Navigation oder News direkt ins Sichtfeld. Das Display und die restliche Elektronik finden in den überdurchschnittlich dicken Brillenbügeln Platz, sodass sich die Focals, anders als Google Glass, erst auf den zweiten Blick als smarte Brille zu erkennen gibt. Mit 72 Gramm ist sie jedoch doppelt so schwer und das ohne Korrektionsgläser. Bedient wird sie mit einem Fingerring oder über Sprachbefehle. Ist der Akku nach einem Tag aufgebraucht, kann man die Brille im AirPod-Stil im mitgelieferten Etui laden.

So richtig am Markt beweisen konnte sich Focals nicht: Im Sommer 2020 kaufte Google das Start-up und stoppte die Entwicklung der Focals 2, obwohl die erste Focals-Brille bei Tech-Kritikern gut ankam, sich aber dennoch nicht verkaufte.

Smart-Glassers-Focals

Ein spannendes Brillenprojekt, das Google beendete, bevor es überhaupt eine Chance am Markt bekam: North Focals. | Bild: North

Eine weitere interessante Brille aus der Kategorie „Smart, schlank, leicht“ ist die Echo Frames von Amazon, die im Dezember 2020 auf den US-Markt kam. Die Brille hat weder Kamera noch Display integriert und setzt zur Steuerung auf die KI-Assistentin Alexa. Nutzer können mit Sprachbefehlen Musik abspielen oder Smartphone-Benachrichtigungen durchsagen lassen. Die Technik steckt wie bei der Focals in den Brillenbügeln. Mit 31 Gramm ist die Echo Frames leichter als Google Glass. Sie hat jedoch das gleiche Problem wie alle Datenbrillen: Sie kommt in einem vorgegebenen Rahmendesign und passt deshalb längst nicht allen.

Minimalistisch in Sachen Technik wird auch Facebooks erste Datenbrille, die im Laufe des Jahres erscheinen soll. Sie wird kein Display bieten und wohl auch auf integrierte Kameras verzichten, der genaue Einsatzzweck ist daher noch unklar. Von großer Bedeutung aber ist die Partnerschaft mit EssilorLuxottica. Denn entwickelt wird eine smarte Ray-Ban. Das coole stylische Image der Kultmarke muss also auch bei diesem Modell erkennbar bleiben.

Ebenfalls 2021 debütieren soll die Nreal Light, eine AR-Sonnenbrille aus China, die Telekom und Vodafone für circa 500 Euro in Deutschland auf den Markt bringen wollen. Sie bietet ähnlich aufwendige Technik wie HoloLens und Magic Leap One, aber in einer erstaunlich kompakten Form. Da es kaum Anwendungen geschweige denn ein App-Ökosystem für die AR-Brille gibt, wird auch Nreal Light wohl nicht der große Wurf. Eine Nische könnte das Gerät als TV- oder Monitor-Brille für digitale Displays auftun, die man freischwebend in den Raum projiziert.

Smart-Glasses-Nreal-Light

Nreal Light packt viel in Technik ins Brillengestell und hat dennoch keine wirklich Killer-Anwendung. | Bild: Nreal

Entsprechend fieberhaft wartet die Branche auf Apples Einstieg in den Markt. Der Konzern ist neben Facebook der größte Investor in AR-Technologie und arbeitet seit Jahren an smarten Brillen. Ob und wann die Brille kommt und was sie kann, ist offen. Die Einführung soll zwischen 2021 und 2023 geplant sein. Apple hat von allen Herstellern am ehesten das Rüstzeug, Design und Funktion so zu verbinden, dass viele Menschen Lust bekommen auf eine smarte Brille.

Sicher ist: Smarte Brillen werden sich rascher entwickeln als bisher, aber keine Quantensprünge hinlegen. Die nächsten drei bis fünf Jahre werden entscheidend sein. Die technischen Herausforderungen in Bereichen wie Displaytechnik, Miniaturisierung, Energieverbrauch und Wärmeentwicklung sind nach wie vor immens, Durchbrüche nicht in Sicht. Sollten die Bemühungen der Techkonzerne keine Früchte tragen, bleiben smarte Brillen dann das, was sie heute schon sind: ein Nischenprodukt für Unternehmen und professionelle Anwender.

Von einer weiteren Ausdifferenzierung in Sparten wie Gaming und Sport kann man ausgehen. Vor allem der Einsatz von Smart Glasses für Profisportler ist vielversprechend. Auf der opti 2020 in München präsentierte Sportbrillenhersteller Julbo eine Datenbrille, bei der etwa Radfahrer und Triathleten z.B. Geschwindigkeit und Herzfrequenz kontrollieren können. Selbsttönende Reactic-Gläser sorgen für zusätzlichen Komfort. Ein anderes Beispiel ist die Vuzix Smart Swim für Profischwimmer, die Informationen zum Trainingsstand in Echtzeit abbildet und sogar das Anschauen von Filmen unter Wasser ermöglicht. Bei der CES 2020, der jährlich stattfindenden Consumer Electronics Show in Las Vegas, wurde die Sport-Datenbrille mit gleich zwei Innovationspreisen ausgezeichnet.

Damit smarte Brillen wie Smartphones im Alltag ankommen, müssen sie bequem und schick sein und einen klaren Mehrwert bieten. Zu den technischen und inhaltlichen Hürden kommen gesellschaftliche: AR-Brillen sind Datensammelmaschinen. Sie entfalten ihr technisches Potenzial nur, wenn sie möglichst viele Informationen über die Nutzer und die Umgebung sammeln. Der Datenschutzdiskurs ist daher von entscheidender Bedeutung für die Zukunft. Gerade dann, wenn ein Unternehmen wie Facebook zu den führenden Herstellern gehört.

Dieser Artikel erschien zuerst bei eyebizz in der Ausgabe 2.2021.