Die besten VR-Apps für Kunstliebhaber

Wer sich gern mit Kunst auseinandersetzt, findet in Virtual Reality reichlich interessantes Material. Egal, ob es sich um virtuelle Museen, VR-Neuinterprationen bekannter Kunstwerke oder ureigene VR-Kunst handelt: Es gibt viel zu entdecken.

Ich habe in den vergangenen Jahren eine Vielzahl Anwendungen getestet und kann Kunstliebhabern folgende VR-Apps empfehlen:

  • Art Plunge
  • Eye of the Owl – Bosch VR
  • Il Divino – Michelangelo’s Sistine Ceiling in VR
  • Museum of Other Realitites
  • The Homestead
  • The Isle of the Dead
  • The Kremer Collection VR Museum
  • The Museum of Throughview
  • The Night Café: A VR Tribute to Vincent Van Gogh
  • The Scream
  • The VR Museum of Fine Art
  • Mona Lisa: Beyond the Glass

Mehr Informationen sowie Links zu den Apps stehen bei MIXED.

“The Homestead” – Der Zauber realer Räume

Das Wallace Arts Centre ist eine Kunstgalerie, die im Pah Homestead in Auckland, Neuseeland untergebracht ist: einem im viktorianischen Stil gegen Ende des 19. Jahrhunderts gebauten herrschaftlichen Haus. Diese Umgebung diente dem Gründer des Fotogrammetrie-Startups Realityvirtual.co Simon Che de Boer als Grundlage für eines seiner ehrgeizigsten Projekte:  die bislang akkurateste digitale 3D-Nachbildung eines physischen Orts.

Bei der Fotogrammetrie wird ein Objekt oder eine Umgebung aus zahlreichen Perspektiven fotografiert und die Einzelbilder anschließend mithilfe spezieller Programme zu einem digitalen 3D-Ebenbild des Gegenstands oder Orts vernäht.

Es ist kein Zufall, dass sich Che de Boer der Fotogrammetrie und der detailgetreuen Rekonstruktion realer Orte verschrieb: Sein Sehvermögen ist zu mehr als 95 Prozent getrübt, sodass er Objekte und Oberflächen nur aus wenigen Zentimetern Entfernung in vollem Detailgrad erkennt. Durch die VR-Brille kann Che de Boer digital rekonstruierte Orte besser wahrnehmen, als wenn er vor Ort wäre.

The_Homestead_Kunstgalerie

Das Pah Homestead in VR mit fiktivem Außenbereich. | Bild: Realityvirtual.co

Dass Che de Boer vorzugsweise Kulturdenkmäler und Kunst digitalisiert, liegt nahe: Welche anderen menschlichen Artefakte erfordern ein derart genaues Hinsehen? In diesem Sinne ist die Wallace-Kunstgalerie der ideale Gegenstand, an dem sich Fotogrammetrie messen kann. Der Versuch gelingt: In Virtual Reality erkennt man auf den Gemälden die individuelle Maltechnik der Künstler sowie einzelne Pinselstriche, wenn man genug nahe herantritt. Selbst dick aufgetragene Acrylfarbkleckse treten in der Virtual Reality reliefartig hervor, sodass man fast meint, sie anfassen zu können.

Praktisch: Die meisten Kunstwerke sind mit einem Audiokommentar hinterlegt, der automatisch einsetzt, wenn man sich ihnen nähert. So kann man die Arbeiten betrachten und gleichzeitig etwas über deren Bedeutung lernen.

Nicht nur die Gemälde und Skulpturen beeindrucken: Der Raum als Ganzes ist realistisch wiedergegeben und ausgeleuchtet. Selbst so nebensächliche Details wie die Überreste entfernter Türangeln sind zu erkennen. An jedes Detail wurde gedacht: Der Kronleuchter und der kunstvolle Stuck an der Decke wurden ebenfalls originalgetreu digitalisiert. Echtzeit-Videoprojektionen virtueller Beamer fügen sich harmonisch ins Gesamtbild ein. Schaut man durch die Fenster, sieht man eine fiktive Küstenlandschaft, die man leider nicht betreten kann.

The_Homestead_Bild

Die Kunstwerke wirken zum Anfassen echt. | Bild: Realityvirtual.co

Interessant ist die Wirkung der VR-Erfahrung auf den Betrachter: Die Simulation gibt ja nur wieder, was schon existiert. Fantastische Elemente fehlen. Und dennoch wirkt der Ort trotz seines profanen Charakters geradezu magisch. Vermutlich deshalb, weil man weiß, dass er nicht echt ist. Durch die VR-Brille gesehen, gewinnen die realen Räume einen sonderbaren Zauber.

The Homestead beweist eindrucksvoll, dass eine fotorealistische digitale Konservierung realer Räume möglich ist und markiert damit vielleicht den Anfang eines neues Erinnerungsmediums. In zehn oder fünfzehn Jahren wird das digitale Speichern unserer Lebensräume vielleicht so selbstverständlich sein wie Smartphone-Fotos, sodass künftige Generationen womöglich per VR-Brille in ihr Kinder- oder Jugendzimmer zurückkehren könnten.

Dieser Beitrag erschien am 25. August 2019 bei MIXED und wurde für dieses Blog überarbeitet.

VR-Horror als Grenzerfahrung oder: Wie ich zu einem Exorzisten wurde

Es gibt nur wenige Videospielgenres, die in der Virtual Reality so aufgehen wie das Horrorspiel. Der Grund: In VR gibt es scheinbar nichts mehr, das sich zwischen den Betrachter und den Gegenstand des Schreckens schiebt. Das Monster muss nicht erst aus dem Fernseher kriechen. Es steht vor einem.

Angst ist evolutionär bedingt eine der grundlegendsten und stärksten Empfindungen des Menschen. Kein Wunder also, dass auch der medial induzierte Horror einen großen Effekt auf das Gemüt hat. Dass die Unterhaltungsindustrie gerade dieses Gefühl so stark kultiviert, liegt wohl daran, dass es vergleichsweise leicht hervorzurufen ist. Man denke etwa an Jump Scares.

Zählt man diese beiden Faktoren zusammen – Angst als medial relativ leicht hervorzurufende Emotion und Virtual Reality als Medium, das wie kein anderes Unmittelbarkeit vorgaukelt –, so versteht man die Sonderrolle, die das Horrorgenre für das neue Medium einnimmt. Und weshalb Resident Evil 7 noch immer eines der bislang besten, weil wirksamsten VR-Spiele ist.

Virtual Reality bietet schon jetzt ein breites Spektrum an Erfahrungen. Wer jedoch auf höchste, ja fast schon existenzielle Intensität aus ist, findet sie am ehesten in der Horrorabteilung. Diesen Umstand hat mir am vergangenen Wochenende das Horrorspiel „The Exorcist: Legion VR“ eindrucksvoll in Erinnerung gerufen.

The_Exorcist_Legion_VR_Blutiges_Zimmer

Im offiziellen VR-Ableger der bekannten Horrormarke schlüpft man in die Rolle eines Bostoner Polizisten, der einer Reihe übernatürlicher Fälle auf den Grund geht und dabei wider Willen mit uralten Dämonen konfrontiert wird. Die muss man mittels authentischem Exorzistenwerkzeug aus Räumen und menschlichen Körpern vertreiben. Dazu gehört unter anderem ein metallverstärktes Kruzifix, Ampullen geheiligten Wassers und ein Spray, das Salze versprüht.

Entwickelt wurde das Spiel von Ryan Bousfield, dem Schöpfer des nicht minder furchterregenden VR-Horrorklassikers “A Chair in a Room”. The Exorcist VR trägt eindeutig Bousfields Handschrift und lebt wie seine erste Horrorerfahrung von Räumen, die klein und intim sind, fast fotorealistisch wirken und sorgfältig arrangiert sind. Damit zielt das Spiel voll und ganz auf das im VR-Kontext oft beschworene Präsenzgefühl: die Illusion, an einem anderen Ort zu sein.

In Exorcist VR verfeinert Bousfield dieses raumzentrierte VR-Design weiter und schafft so Szenen und Erfahrungen von großer Eindringlichkeit. Die Fokussierung auf Präsenz ergibt Sinn: Denn fühlt sich der Spieler erst einmal glaubhaft an einen Ort versetzt, packt ihn auch eher die Angst, wenn umheimliche Dinge passieren.

Mit Virtual Reality taucht man nicht nur in andere Welten ein. Man nimmt andere Identiäten und Körper an. Man kann einen Superhelden und Weltraumsoldaten verkörpern – oder einen Exorzisten. Mein MIXED-Kollege Matthias Bastian glaubt, dass die Verkörperung einer anderen Figur in bestimmten Fällen Immersion zerstören kann. Zum Beispiel dann, wenn man einen zu großen Unterschied zwischen der zu verkörpernden VR-Figur und einem selbst spürt.

The_Exorcist_Legion_VR_Katakomben

Dieser „Besuchereffekt“ kann eintreten, wenn man in die Rolle eines Charakters schlüpft, der schon bekannt ist oder übermenschliche Fähigkeiten besitzt, sodass eine Lücke in der Plausibilität der VR-Illusion entsteht. Ich hatte in dieser Hinsicht eine interessante Erfahrung mit The Exorcist VR gemacht.

Das Spiel gibt nur wenig Anhaltspunkte zum Hintergrund und Charakter der Hauptfigur: Man weiß, dass es sich um einen Polizisten handelt, der sich die Karriereleiter hochgearbeitet hat und sieht auf dem Schreibtisch ein gerahmtes Foto. Von diesen Indizien abgesehen, ist man frei, sich in die Rolle der Figur und deren Handlungen hineinzuprojizieren: das heißt Dämonen zu vertreiben, die sich in Menschen und Räumen manifestieren. Und genau das tat ich in The Exorcist VR, fast zwanghaft.

Manche Szenen erzeugten bei mir so heftige Angstzustände, dass ich mich dabei ertappte, wie ich, wahrscheinlich aus reiner Stressbewältigung, in der Rolle eines Exorzisten aufging. Ich tappte mit dem Kruzifix in der zitternden Hand durch die Dunkelheit, rief, als sich das Böse vor mir manifestierte, die Mächte des Himmels um Beistand an und schrie in den Raum: „Weiche hinfort, Dämon! Oder der Zorn Gottes wird auf dich hernieder regnen!“ Oder so ähnlich.

Ich glaube nicht an Dämonen und Götter, aber in diesem Augenblick stellte ich eine Kongruenz zwischen mir und meiner Rolle in der Virtual Reality her. Weshalb? Weil mir dieses vom Spiel diktierte Narrativ Kraft gab, die VR-Erfahrung durchzustehen. Und so zeigte mir The Exorcist VR erneut, wie mächtig Virtual Reality sein kann. Denn in welchem anderen Medium müsste ich mich am Ende fragen, wer denn nun am Ende besessen ist: die Figuren oder ich selbst?

Dieser Beitrag erschien am 25. Juli 2019 bei MIXED und wurde für dieses Blog überarbeitet.

“The Isle of the Dead” – Eine VR-Reise zum Totenreich

Die Toteninsel ist eines der berühmtesten und eindrucksvollsten Motive der Malerei. Der Schweizer Künstler Arnold Böcklin (1827 – 1901) malte fünf Fassungen des Sujets, die sich nur leicht unterscheiden (siehe Wikipedia). Einige der Gemälde haben eine bewegte Geschichte: Das vierte wurde während des Zweiten Weltkriegs zerstört, während die dritte Fassung eine Zeit lang in Hitlers Besitz war. Sie hängt und heute in der Alten Nationalgalerie in Berlin. Die Entwickler der VR-Erfahrung „The Isle of the Dead“ nahmen diese dritte Fassung als Vorlage.

Über Sinn und Zweck von VR-Umsetzungen klassischer Gemälde habe ich vor knapp zwei Jahren am Beispiel einer früheren VR-Adaption von Böcklins Toteninsel nachgedacht und bin dabei auch auf die Bedeutung des Werks eingegangen (siehe Beitrag Wenn aus Bildern Orte werden).

Diese erste VR-Umsetzung des Motivs, eine Koproduktion der SRG und der Schweizer DNA Studios, enttäuschte nach Erscheinen sowohl auf technischer als auch künstlerischer Ebene. Umso besser, dass jetzt eine neue, von ARTE France und der Pariser Medienagentur Les Produits Frais produzierte VR-Adaption greifbar ist, die Böcklin weitaus gerechter wird und auf den 75. Filmfestspielen von Venedig sogar Preis für die beste VR-Story gewonnen hat.

Isle_of_the_Dead

Die Toteninsel in Virtual Reality. | Bild: Les Produits Frais / ARTE France

Anstatt den VR-Nutzer lediglich in eine 3D-Rekonstruktion des weltberühmten Motivs zu versetzen, sucht die VR-Erfahrung einen eigenen Zugang zu Böcklins Gemälde. Das tut sie durch eine erweiterte Darstellung der Reise zum Totenreich, die das Diesseits umfasst.

Die VR-Erfahrung beginnt in einer Stadtwohnung, in der alles ganz normal erscheint – bis die bekannte Wirklichkeit auseinanderbricht und einer Traumwelt weicht, die glatt aus Christopher Nolans „Inception“ stammen könnte. Die umgebende Stadt und selbst die eigenen vier Wände stürzen in sich zusammen und versinken allmählich in einer Meeresflut.

Aus der Tiefe des grenzenlosen Ozeans steigen Bruchstücke der Zivilisation und antike Ruinen, bis in der Ferne hinter Nebelschwaden die Toteninsel erscheint. Dazu erklingt Sergeis Rachmaninoffs musikalische Interpretation der Toteninsel aus dem Jahr 1908. So ist die Szene an Dramatik kaum mehr zu überbieten.

Isle_of_the_Dead_Wohnung_und_Meer

Die VR-Erfahrung bildet die Reise zum Totenreich als Übergang nach. | Bild: Les Produits Frais / ARTE France

Die VR-Erfahrung zeigt mehrere Perspektiven: Man steht zunächst selbst im Kahn, während man auf das Eiland zuschwebt. Später erscheint die weiße Figur vor einem, sodass man ihr wie in der klassischen Ansicht des Gemäldes über die Schulter sieht.

In der letzten Szene steht man umschlossen von der halbkreisförmigen Felsformation und nur wenige Meter von der Treppe entfernt, die ins dunkle, von Zypressen und Sträuchern verdeckte Innere der Insel führen. Weiter geht es nicht, denn das Totenreich selbst bleibt den Lebenden verschlossen – im Gemälde und in der Virtual Reality.

Begleitet wird die VR-Erfahrung von einer Stimme, die mehr über Böcklins Motiv und dessen Entstehung erzählt. Das ist zwar durchaus lehrreich, ich hätte mir jedoch gewünscht, dass man den Audiokommentar abschalten kann, um sich voll und ganz auf die VR-Erfahrung einzulassen.

Dieser Beitrag erschien am 07. Juli 2019 bei MIXED und wurde für dieses Blog überarbeitet.

Wen Virtual Reality glücklich macht

Drei Jahre nach Markstart ist noch immer unklar, ob Virtual Reality eine Zukunft als Spielemedium haben wird. Die Masse der Spieler lässt die Technologie nach wie vor kalt: Nur jeder zwanzigste PS4-Besitzer griff zu einer Playstation VR und gerade einmal ein Prozent aller Steam-Nutzer haben eine VR-Brille an ihren PC angeschlossen.

Ein Durchbruch ist zumindest für die nächsten Jahre nicht zu erwarten. Die Technologie ist längst nicht ausgereift und über Nacht dürften die VR-Brillen nicht so leicht, kabelfrei und hochperformant werden, wie es für ein signifikant größeres Publikum erforderlich wäre.

Aller Kinderkrankheiten zum Trotz: Mir bereitet Virtual Reality noch immer große Freude. Ich habe 2016 viel Geld ausgegeben für die ersten VR-Systeme und ich bereue es nicht. Virtual Reality erfüllte, ja übertraf meine Erwartungen trotz seiner technischen Unzulänglichkeiten. Zumindest bei mir hat die Technologie ein ganz bestimmtes Bedürfnis befriedigt. Aus diesem lässt sich wahrscheinlich schließen, für wen VR-Brillen schon heute eine lohnenswerte Anschaffung sind.

Ich spiele seit dreißig Jahren Videospiele. Doch das allein erklärt nicht, weshalb mich Virtual Reality so fasziniert. An Videospielen interessiert mich weniger die Spielmechanik. Auch habe ich kein Verlangen, nächtelang zu spielen, um mich mit anderen Gamern zu messen.

Was mich an Videospielen fasziniert, ist ihr Kunstcharakter: dass ein Videospiel Wirklichkeit auf eine neue Weise darstellt. Anders gesagt: Videospiele lassen mich etwas wissen, spüren oder tun, was ich so noch nicht gewusst, gespürt oder getan habe. Sie erweitern meinen Erfahrungshorizont und verändern damit, wie ich die Welt wahrnehme.

Natürlich interessiere ich mich auch für Technologie, aber nicht um ihrer selbst willen. Ich finde sie interessant, weil sie die Grundlage für neue Erfahrungen liefert. Genau das tut Virtual Reality: Sie schafft eine neue Perspektive, die das menschliche Streben nach neuen Erfahrungen befriedigt.

Mein Videospielfaszination hat vor zehn Jahren stark nachgelassen. Zu konventionalisiert und festgefahren schienen mir die Videospiele, wie Aufgüsse der immergleichen Spielkonzepte und Spielemarken. Was meine Leidenschaft für Videospiele erneut weckte, war die damals aufkommende Welle experimentierfreudiger Indie- und Kunstspiele und ein paar Jahre später Virtual Reality.

Wer die gleiche Neugierde und Experimentierfreude spürt, Kunst und neue Medienerfahrungen liebt und vor Technik nicht zurückschreckt, dürfte von Virtual Reality reich belohnt werden. Für die oder den könnte sich damit eine neue, aufregende Welt auftun.

Dieser Beitrag erschien am 28. Juni 2020 bei MIXED und wurde für dieses Blog überarbeitet.